Zwischen den Zeilen
28.10.2025 PersönlichNeulich sass ich mit Freunden in einem Café. Wir redeten über Serien, Ferien und das Wetter – also über alles und irgendwie nichts. Ich lachte, trank meinen Kaffee, nickte an den richtigen Stellen. Trotzdem machte sich ein Gefühl von Abwesenheit breit. Nicht, weil die ...
Neulich sass ich mit Freunden in einem Café. Wir redeten über Serien, Ferien und das Wetter – also über alles und irgendwie nichts. Ich lachte, trank meinen Kaffee, nickte an den richtigen Stellen. Trotzdem machte sich ein Gefühl von Abwesenheit breit. Nicht, weil die Gespräche belanglos waren, sondern weil sie sich anfühlten wie eine Oberfläche, unter der das Wasser nie wirklich in Bewegung kommt.
Später, auf dem Heimweg, wurde mir klar: Ich vermisse die Art von Gesprächen, die tiefer gehen. Die, bei denen man das Zeitgefühl verliert, weil man endlich über das spricht, was zwischen den Zeilen steht.
Es ist nicht so, dass ich Smalltalk nicht schätze. Manchmal ist er genau richtig und genug, ein sanftes Gleiten über die Oberfläche, ohne dass man sich völlig offenbart. Aber wenn er zum einzigen Modus wird, wenn sich alle Begegnungen so anfühlen, dann wird die Leichtigkeit zur Last.
Mit einem Freund habe ich neulich in meiner Küche bei einer Tasse Tee genau darüber gesprochen. Er skizzierte mir ein Bild, das mir nicht mehr aus dem Kopf geht: Vor uns auf dem Küchentisch lagen kleine Pakete. In jedem steckte ein Thema, das uns beschäftigt: Zweifel über die eigene Arbeit, die Frage, ob man zu viel oder zu wenig von anderen erwartet, Träume, die man sich nicht auszusprechen traut. Wir öffneten ein imaginäres Päckchen, legten es in die Mitte und sprachen darüber. Wir drehten und wendeten es, suchten neue Perspektiven, bis wir fühlten: Jetzt haben wir genug verstanden. Dann öffneten wir das nächste.
So funktionieren die Gespräche, nach denen ich mich nicht leer fühle. Es geht nicht (immer) darum, Lösungen zu finden oder Ratschläge zu geben. Es geht darum, gemeinsam hinzuschauen. Manchmal erkenne ich in einem eigenen Paket plötzlich etwas Neues, weil jemand die richtige Frage stellte oder eine Erfahrung teilte, die mir einen neuen Blickwinkel eröffnete. Oder weil das laute Aussprechen eines Gedankens ihn klarer macht, als er je in meinem Kopf war. Diese Art von Gesprächen führe ich immer seltener. Vielleicht habe ich verlernt, mir Zeit zu nehmen für das, was nicht sofort greifbar ist?
Ich habe nur einen kleinen Freundeskreis, aber er bedeutet mir alles. Es sind Menschen, die zu viel nachdenken, sich in Fragen verlieren und genau deshalb verstehen, warum manche Gespräche unter die Oberfläche gehen dürfen und müssen. Mit ihnen kann ich Pakete öffnen, die ich sonst verschnürt für mich behalte.
Smalltalk kann ich. Aber die langen Gespräche am Küchentisch sind die, die ich brauche. Nicht jeden Tag, nicht mit jedem. Aber regelmässig, mit den richtigen Menschen. Sonst bleibt die beschriebene Leere zurück.
Ich höre nicht selten den Satz: «Du machst alles komplizierter, als es ist.» Vielleicht. Aber: Erst wenn man diese Kompliziertheit zulässt, versteht man, was zwischen den Zeilen geschrieben steht.
Melanie Frei, Redaktorin «Volksstimme»

