Zwei n, zwei s
14.10.2025 Persönlich«Wenn du ein Pint der scheusslichen schwarzen Brühe trinkst, bezahle ich es», sagt Kommilitone Felix, «und dann gleich noch eines obendrauf.» Er studierte mit mir in Basel Anglistik. Gemein- und strebsam reisten wir einst per Nachtzug und Schiff nach London, um im Land ...
«Wenn du ein Pint der scheusslichen schwarzen Brühe trinkst, bezahle ich es», sagt Kommilitone Felix, «und dann gleich noch eines obendrauf.» Er studierte mit mir in Basel Anglistik. Gemein- und strebsam reisten wir einst per Nachtzug und Schiff nach London, um im Land von Shakespeare in die Sprache, die Kultur und die Literatur einzutauchen. Bald aber fokussierten wir uns auf «Liter on Tour» und anstelle von Shakes- auf Lagerbier. Das ist die langweilige Lyonerwurst unter den englischen Bieren. Erst danach kam ich auf das eingangs erwähnte «Guinness». All diese Erinnerungen wurden am Sonntag in mir wach, als eine Zeitung unter dem Titel «ein Mythos im Glas» über das Kulturgut schrieb.
Es war nicht Liebe auf den ersten Schluck. Doch spätestens nach der Hälfte des halben Liters fand ich Gefallen an diesem «dunklen, obergärigen Bier aus der englischen Porter-Tradition mit Aromen von Kaffee und Kakao», wie ich nun erfahre. Habe ich mir doch immer gedacht. Fortan hielt ich ihm immer die Treue. Vorausgesetzt, man erhielt es «draught» («draft» gesprochen), also direkt aus dem schwarzen Zapfhahn an der Theke.
Das Gebräu stammt aus Irland. Das Land brachte auch James Joyce hervor, den alle Anglistik-Studenten gelesen haben, die Zeit und Pfund nicht sinnlos in Pubs liegen liessen. Zugegeben: Dieses Bier hat drei gewichtige Nachteile. Es kostet leicht mehr; der Ausschank zieht sich in die Länge, weil Liebhaber, abgesehen von einer dünnen Krone, keinen Schaum dulden; und spätestens nach dem zweiten Pint wird die Orthografie (zwei n, zwei s) zum grösseren Stolperstein als der Hund, der mitten im Pub auf dem Weg zur Toilette döst.
Bald einmal verblasste auch die Lust am schwarzen Gebräu. Wann immer aber mich eine Reise in den englischen Sprachraum führte, gehören der Besuch eines Pubs und ein «pint o’ Guinness» hinzu. Die Begleitung macht sich zwar nichts aus Bier und aus dem Spelunken-Groove, der dort herrscht. Sie drückt aber ein Auge zu, und ich verdrücke daneben eine Träne der Nostalgie, die mein Guinness mehrt. Ein zweites Pint auf die Kosten von Felix wie damals bei der Premiere liegt nicht mehr drin.
Guinness versteht es auch hervorragend, sich mit Geschichte und einem hartnäckig konservativen Auftritt zum Kult zu erheben. Als ich mir einst bei einem Sportanlass im Ruhrpott wie gewohnt ein T-Shirt als Erinnerung kaufte, verliess ich den Laden und das Land des langweiligen Lagerbiers mit einem pechschwarzen Stück mit einem aufgenähten bunten Tukan. Dieser jonglierte zwei berühmte schwarze Gläser auf dem Schnabel.
Vor weit mehr als 30 Jahren schenkte mir die Wirtin eines Pubs in Liestal, das «draught Guinness» führte, ein schwarzes T-Shirt. Es zeigt nur die dünnen, weissen Umrisse zweier Guinness-Gläser sowie den Schriftzug «Sláinte!» für Prost auf Irisch. Längst hat ihm Miele zugesetzt. Doch es hat bisher jedes Ausmisten überstanden, und ich trage es im Verborgenen regelmässig als persönliches Prost «for the good times». Auch beim Schreiben. Denn da ist Bier auf der Brust willkommen, im Kopf aber tabu.
Jürg Gohl ist Autor «Volksstimme» und Kulturpreisträger des Kantons Baselland 2025