Worte, die bleiben
04.11.2025 NiederdorfDer «Lyrische Salon» feierte seine Premiere
Das Waldenburgertal hat auch poetische Traditionen. Mit dem «Lyrischen Salon» rückt das Industriemuseum jene Frauen ins Licht, deren literarische Stimmen fast vergessen sind – ein Abend zwischen Erinnerung, ...
Der «Lyrische Salon» feierte seine Premiere
Das Waldenburgertal hat auch poetische Traditionen. Mit dem «Lyrischen Salon» rückt das Industriemuseum jene Frauen ins Licht, deren literarische Stimmen fast vergessen sind – ein Abend zwischen Erinnerung, Sprache und Geschichte.
Hanspeter Gautschin
Im 19. Jahrhundert waren Literatursalons Orte, an denen Frauen erstmals öffentlich zu Wort kamen – als Leserinnen, Denkerinnen und Schreibende. Diese Tradition nimmt das Industriemuseum Waldenburgertal auf und eröffnete am Freitagabend im Rahmen des «IMW-Flash» den neu gestalteten Salon mit einer Lesung, die Vergangenheit und Gegenwart eindrücklich verband.
Die Initiative stammt von Helene Koch-Schmutz, Stiftungspräsidentin des Museums. Sie wollte das weibliche Schaffen jener Zeit sichtbar machen – als Gegenstück zur kommenden Ausstellung «Tüftler, Denker, Macher – Innovationen aus dem Waldenburgertal». Während dort technische Pioniere im Mittelpunkt stehen, lenkt der «Lyrische Salon» den Blick auf die literarischen Stimmen des Tals. «Viele dieser Frauen haben gestickt, gemalt und vor allem geschrieben, aber kaum jemand erinnert sich heute an sie», sagte Koch im Gespräch mit der «Volksstimme».
Das Programm spannte einen weiten Bogen über eineinhalb Jahrhunderte regionaler Literatur. Die Ururenkelinnen von Gedeon Thommen, Veronika Vionnet und Ursula Diehr, verkörperten mit ihren Lesungen jene Verbindung von Familiengeschichte, künstlerischem Erbe und kultureller Verantwortung, die dem Abend seine besondere Tiefe verlieh.
Veronika Vionnet, ausgebildete Innenarchitektin, studierte Architektur in Chicago und arbeitete im Büro von Ludwig Mies van der Rohe. In der Schweiz führte sie später ein eigenes Atelier mit Schwerpunkt auf Umbauten denkmalgeschützter Häuser im Baselbiet. Bei der Lesung trug sie das Gedicht «Abendsmatt» vor – eine Naturbetrachtung aus dem Nachlass ihrer Mutter Dorette Huegin-Straumann, die selbst Kunstmalerin war. Mit ruhiger, klarer Stimme verlieh sie den Versen jene leise Melancholie, die vielen Texten aus dem Tal eigen ist.
Ursula Diehr, ihre Cousine, ist Kunsthistorikerin und arbeitet derzeit bei einer internationalen Kunstmesse. Nach Studien der Bildhauerei in Florenz und der Kunstgeschichte in Philadelphia war sie in Galerien, Auktionshäusern und kulturellen Institutionen tätig. Ihre Lesung von Gedichten ihrer Mutter Susanna Diehr-Straumann (1932–2013) aus dem Band «Mohn und Schatten» brachte eine andere Klangfarbe in den Abend: Worte über Abschied, Zugehörigkeit und das fragile Gleichgewicht zwischen Leben und Vergänglichkeit.
Ein besonderes Zeichen der Kontinuität setzte der 92-jährige Hans Straumann, ehemaliger Direktor der Uhrenmacherschule Solothurn und Sohn des Arztes Dr. med. Roland Straumann. Er las ein berührendes Gedicht seiner Grossmutter Fanny Straumann-Thommen (1862–1928) aus dem Bändchen «Wenn d’Bättzytglogge lütet» – ein Moment, der viele im Publikum bewegte.
Mehr als Fabriken und Maschinen
Auch Elisabeth Thommen (1888– 1960), die kämpferische Journalistin und frühe Verfechterin der Gleichberechtigung, wurde mit einem Gedicht gewürdigt – als Stimme, die weit über das Tal hinaus wirkte. Und dass Dichtung nicht nur den Gebildeten vorbehalten war, zeigte sich an Ida Schweizer-Buser (1925– 1985), die durch ihre Liebe zu Johann Peter Hebel und Traugott Meyer zum Schreiben fand. Helene Koch-Schmutz las ihre heitere Novelle «Hühner im Teig», welche die Zuhörerinnen und Zuhörer zum Schmunzeln brachte.
Zum Abschluss sorgte Rémy Suter mit einem augenzwinkernden Gedicht des Hölsteiner Dichters und Mundart-Lyrikers Franz Krattiger (1922–2011) – «Es Hoor in dr Suppe» – für einen leichten, humorvollen Ausklang. Der Historiker und Präsident des Museumvereins war es auch, der durch den Abend führte. Er spann die Fäden zwischen den Texten, stellte biografische und historische Bezüge her und zeigte auf, wie stark das Waldenburgertal von weiblicher Kulturarbeit geprägt war – oft im Verborgenen, doch von eindrücklicher Kraft. Mit Anspielungen auf den Literaturnobelpreisträger Carl Spitteler, der Marie Hunziker-Thommen, die Schwester von Gedeon Thommen, in seinen Schriften mit Anerkennung bedachte, verlieh er dem Abend eine besondere Tiefe und historische Resonanz.
Projektionen von Porträts, Landschaften, Büchern und Familienfotos schufen einen ruhigen visuellen Rahmen, der das Gehörte ergänzte, ohne es zu überlagern. Das Publikum folgte aufmerksam, oft still, mit spürbarer Anteilnahme. Beim anschliessenden Apéro im Museum wurde weiterdiskutiert – über Literatur, Erinnerung und die Wurzeln eines Tals, das mehr hervorgebracht hat als Fabriken und Maschinen.
Denn der «Lyrische Salon» bildet den Auftakt zu einer umfassenderen Erzählung, die im April 2026 ihre Fortsetzung findet: in der Sonderausstellung «Tüftler, Denker, Macher – Innovationen aus dem Waldenburgertal». Sie zeigt, dass in diesem engen Tal nicht nur Gedichte und Geschichten entstanden, sondern auch Ideen, welche die Welt veränderten. Viele der hier wirkenden Pioniere schrieben tatsächlich Industriegeschichte – mit Erfindungen, die vom Waldenburgertal aus ihren Weg in die internationale Technik- und Medizinalwelt fanden.

