Wohnen ist mehr als ein Dach über dem Kopf
26.08.2025 Baselbiet«Sozialhilfe und Wohnraum» war Thema der Sissachertagung
Wohnen müsse vielfältiger gedacht werden, sagt Domenico Sposato, Geschäftsleiter der Caritas beider Basel. Sein Plädoyer für eine gesamtgesellschaftliche Betrachtungsweise der Thematik ist das ...
«Sozialhilfe und Wohnraum» war Thema der Sissachertagung
Wohnen müsse vielfältiger gedacht werden, sagt Domenico Sposato, Geschäftsleiter der Caritas beider Basel. Sein Plädoyer für eine gesamtgesellschaftliche Betrachtungsweise der Thematik ist das zentrale Fazit der 25. Sissachertagung des Verbands für Sozialhilfe Baselland.
Regula Vogt-Kohler
Mit einem kleinen Budget eine bezahlbare Wohnung zu finden, ist schwer. Angebote für günstigen Wohnraum gibt es zwar, aber die Nachfrage geht weit über den Kreis jener hinaus, die sich eine teurere Wohnung schlicht nicht leisten können. Erschwerend kommt hinzu, dass sich der Spielraum für die untersten Einkommen verkleinert hat. Dies besagen Daten der IAZI AG, einem Beratungsunternehmen im Immobiliensektor, auf die sich Thomas Noack (Leiter des Stadtbauamts Liestal und Landrat der SP) bei seinem Referat zu Wohnraumplanung und gemeinnützigem Wohnungsbau stützte, das er an der Sissachertagung des Verbands für Sozialhilfe Baselland in Sissach hielt.
Für die tiefsten 20 Prozent der Einkommen liegt der Anteil der Wohnkosten am Bruttoeinkommen nicht nur deutlich über dem aller anderen Einkommensklassen, sondern er hat auch deutlich zugenommen. Für die anderen ist die relative Belastung kaum gestiegen oder sogar gesunken. Ausgerechnet aber bei Personen in der Gruppe der tiefsten Einkommen sei gemäss Zahlen aus der Stadt Zürich die Wahrscheinlichkeit am grössten, dass sie eine Kündigung erhalten, sagte Domenico Sposato, Geschäftsleiter der Caritas beider Basel.
Gemeinden legen Grenzwert fest
Unfreiwillig auf Wohnungssuche befindet sich nicht nur, wer seine Bleibe durch Kündigung verliert. Wer Sozialhilfe bezieht, kann durch eine Verfügung dazu verpflichtet werden, nach einer günstigeren Wohnung Ausschau zu halten, wenn die durch die öffentliche Hand übernommenen Wohnkosten die Mietzinsgrenzwerte übersteigen. Da die Sozialhilfe im Kanton Baselland im Aufgabenbereich der Gemeinden liegt, sind diese auch für die Festlegung der Grenzwerte zuständig.
Gemäss Empfehlung der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) sollten diese Grenzwerte regelmässig überprüft werden. Die Frage sei nicht nur, ob eine Gemeinde so aufgestellt sei, dass das wirklich stattfinden könne, sondern auch in welcher Weise, hielt Sposato fest. Konkret: Was sind «fundierte Methoden», was sind «aktuelle Daten»? Und wann herrscht in einer Region «knapper und teurer Wohnraum»? «Eine Konstellation, die gemäss Skos zu einer Anpassung der Mietzinsgrenzwerte führen sollte.» Es gehe um Fragen, die nicht nur bei der Sozialhilfe und den dafür zuständigen Behörden angesiedelt seien, sagte Sposato.
Wohnen decke nicht nur die elementarsten Bedürfnisse ab, sondern habe unter anderem auch soziale Funktionen. Das heisst: Ohne eine eigene Wohnung fehlt mehr als ein Dach über dem Kopf. «Wohnraum ist der Ort der sozialen Reproduktion», sagte Sposato. Angesichts der zentralen Rolle des Wohnens für das Gesellschaftsleben frage sich auch, wie sinnvoll die geltenden Unterstützungsansätze sind. Aus der Perspektive der Caritas erreiche man mit einer Subjektförderung durch Mietzinszuschüsse et cetera keine Entschärfung der Wohnproblematik, sagte Sposato. Sein Fazit: «Wohnen muss gesamtgesellschaftlich gedacht werden. Solange das nicht der Fall ist, lösen wir keine Probleme.»
«Strafe» für günstige Mieten
Wie kann man gemeinnützigen Wohnungsbau fördern? Die von Thomas Noack vorgelegten Zahlen zeichnen ein ernüchterndes Bild: Nur gerade 3,9 Prozent der Wohnungen befinden sich im Besitz von gemeinnützigen Wohnbauträgern. Für eine Erhöhung dieses Anteils spielen die Bodenpreise beziehungsweise die Verfügbarkeit des Bodens eine wesentliche Rolle. Gemeinden könnten Boden für gemeinnützigen Wohnungsbau abgeben, meinte Noack. Aus dem Verzicht auf Gewinn ergebe sich aber ein Dilemma hinsichtlich der Gemeindefinanzen. Zudem müsse eine Gemeinde zuerst einmal über Bauland verfügen, das sie einsetzen könne.
Auf einen weiteren Aspekt machte ein Tagungsteilnehmer aufmerksam: «Gemeinden mit günstigem Wohnraum werden bestraft mit vielen Sozialhilfebezügern.» Das sei ein grosses Dilemma und ein politisches Problem, sagte dazu Noack und plädierte für eine andere Verteilung der Sozialhilfekosten und eine Regionalisierung der Sozialhilfe.
Housing First: Wohnen ist ein Menschenrecht
rv. Der zentralen Bedeutung eines sicheren Zuhauses trägt «Housing First», ein Angebot der Heilsarmee und der Sozialhilfe Basel-Stadt, Rechnung. «Housing First» richtet sich an langjährige Obdachlose. «Wohnen ist ein Menschenrecht», sagte Thomas Frommherz, Bereichsleitung Wohnbegleitung und «Housing First» bei der Heilsarmee, an der Sissachertagung. Eine eigene Wohnung fördere die Selbstheilungskräfte. Deshalb steht die Wohnung am Anfang und nicht am Ende des Unterstützungsprozesses. Nach einer vierjährigen Pilotphase ist das Projekt im Dezember 2024 in den Regelbetrieb übergegangen.