«Wir können bald nur noch den Schaden begrenzen»
29.08.2024 BaselbietSie ist gekommen, um zu bleiben: Die Asiatische Hornisse wird in diesem Jahr das Baselbiet möglicherweise ganz erobern und sich in den kommenden Jahren stark vermehren. Gabriel Stebler (34) vom kantonalen Amt für Umweltschutz und Energie sagt im Interview, weshalb allzu viel Widerstand ...
Sie ist gekommen, um zu bleiben: Die Asiatische Hornisse wird in diesem Jahr das Baselbiet möglicherweise ganz erobern und sich in den kommenden Jahren stark vermehren. Gabriel Stebler (34) vom kantonalen Amt für Umweltschutz und Energie sagt im Interview, weshalb allzu viel Widerstand zwecklos ist und wie der Bund die Bekämpfung des Insekts erschwert.
David Thommen
Herr Stebler, Sie sind Leiter des Ressorts «Störfallvorsorge und Chemikalien» im kantonalen Amt für Umweltschutz und Energie. In Ihrer Funktion bekämpfen Sie auch die Asiatische Hornisse. Ist das invasive Insekt ein «Störfall»?
Gabriel Stebler: (lacht) Der Name des Ressorts ist diesbezüglich tatsächlich etwas irreführend und hat historische Gründe … Aber zu unseren Aufgaben gehört seit Langem auch die Biosicherheit, wozu die Bekämpfung invasiver Organismen gehört – und damit auch die Bekämpfung der Asiatischen Hornisse.
Warum fällt die Asiatische Hornisse in Ihre Zuständigkeit, während sich das Ebenrain-Zentrum mit dem ebenfalls invasiven Japankäfer befasst? Warum braucht es für zwei invasive Insekten zwei Ämter und zwei kantonale Direktionen?
Die Frage ist berechtigt. Wir stellen bei der Bekämpfung invasiver Organismen so etwas wie eine «Zweiklassengesellschaft» fest: Es gibt eine Aufschlüsselung in «Landwirtschaft» und «Umwelt». Der Japankäfer ist ein starker Schädling in der Landwirtschaft, weshalb es in der Politik eine starke Lobby gibt. Es wird sehr viel Geld für die Bekämpfung des Käfers freigegeben. Bei Organismen, die wie die Asiatische Hornisse dem Bereich «Umwelt» zugeschlagen werden, gibt es diese starke Lobby nicht. Entsprechend steht für die Bekämpfung wenig Geld zur Verfügung, vor allem auf Bundesebene. Die Kantone müssen weitgehend selbst entscheiden, wie wichtig sie das Thema finden und wie viel Geld sie einsetzen wollen.
Wenn sich die Asiatische Hornisse stark ausbreitet, dürfte dies ebenfalls Einfluss auf die Landwirtschaft haben. Werden die Bienenbestände vom Eindringling dezimiert, lässt die Bestäubungsleistung nach …
Offensichtlich ist dies in der Politik mittlerweile bemerkt worden. Im National- und Ständerat wurden in letzter Zeit mehrere Vorstösse eingereicht, vor allem aus der Westschweiz.
Sie haben sich vor wenigen Wochen an die Baselbieter Öffentlichkeit gewandt und dazu aufgerufen, nach der Asiatischen Hornisse Ausschau zu halten und Vorkommen zu melden. Hat Ihr Aufruf genützt?
Ja, aufgrund der Berichterstattung in den Medien haben wir zahlreiche Meldungen über Sichtungen erhalten. Allerdings verhält sich das Insekt zum jetzigen Zeitpunkt noch eher unauffällig und wird daher kaum entdeckt. Dies hängt damit zusammen, dass die Hornissen derzeit von ihren kleinen Vornestern in Bodennähe in die soeben fertiggestellten grossen Hauptnester hoch in den Bäumen umziehen. In den Hauptnestern werden ab nun Königinnen in riesiger Zahl grossgezogen. Für die Aufzucht wird viel tierisches Protein benötigt, weshalb die Hornissen nun schon bald einmal ausschwärmen werden, um Honig- und Wildbienen zu erbeuten. Im Vorjahr waren die Angriffe auf Bienenstöcke durch Hornissen vor allem im September und Oktober zu beobachten. In diesem Jahr kann man das Ausmass bisher noch nicht abschätzen.
Mit wie vielen Hauptnestern im Baselbiet rechnen Sie in diesem Jahr schlimmstenfalls?
Wir sind einigermassen glücklich, wenn die Zahl unter 50 bleibt, schlimmstenfalls kann es auch eine dreistellige Zahl werden. Effektiv entdeckt haben wir bis heute erst zwei Hauptnester.
Im «günstigen Fall» 50 Nester? Das wäre eine enorme Zunahme! Im Vorjahr sind lediglich acht Hauptnester entdeckt worden …
Es ist zu befürchten, dass wir uns am Beginn einer exponentiellen Entwicklung befinden. Mit den momentanen Massnahmen und den zur Verfügung stehenden Mitteln können wir es vielleicht noch während zwei Jahren schaffen, die Situation einigermassen stabil zu halten. Auf längere Sicht dürfte uns dies aber nicht gelingen. Spätestens in einigen Jahren werden wir wohl dauerhaft mit einer gewissen Hornissen-Dichte leben müssen. Wir können dann nicht mehr jedes Nest bekämpfen, sondern nur noch den Schaden begrenzen. Die finanziellen Mittel, die uns heute zur Verfügung stehen, werden nicht lange reichen. Hier brauchen wir bald politische Entscheide.
Die Hoffnung, dass die Asiatische Hornisse dank eines Sonderefforts bei uns in diesem Jahr ausgerottet wird, haben Sie also aufgegeben?
Das ist leider komplett unrealistisch. Klar, könnte man nun einen riesigen Aufwand betreiben und versuchen, quasi sämtliche Hornissen zu töten. Doch das Insekt wird danach einfach wieder einfliegen – und der ganze Aufwand war umsonst. In Frankreich, Deutschland und Italien hat sich die Asiatische Hornisse festgesetzt und sie verbreitet sich rasend schnell. Jeglicher Versuch, das Insekt vom Baselbiet oder der Schweiz fernzuhalten, würde über kurz oder lang scheitern.
Was weiss man über den Ausbreitungsweg?
Gemäss heutigem Kenntnisstand befand sich ein Hornissennest in einem Hochseecontainer aus Asien, der in Bordeaux an der französischen Westküste gelöscht wurde. Das war im Jahr 2004. Seither breitet sich die Hornisse in Europa ziemlich gleichmässig mit einem Tempo von etwa 50 Kilometern pro Jahr von West nach Ost aus – häufig entlang von Gewässern. Bei uns im Baselbiet war das Einfallstor das Laufental. Heute befindet sich die Hauptfront auf einer Linie von Basel nach Bern, doch mittlerweile werden Funde bis an den Bodensee gemeldet. So wird das ostwärts weitergehen. In Italien und Deutschland verläuft der Vorstoss ganz ähnlich. Bloss merkt man das dort vielleicht noch weniger; Monitoring und Bekämpfung sind dort deutlich weniger weit.
Man weiss, dass die Asiatische Hornisse im grossen Ausmass Honigund Wildbienen erbeutet. Was bedeutet das für die Schweiz?
Das ist leider noch wenig untersucht. Was man weiss: Bei sezierten Hornissen, die im Wald leben, hat man im Magen vorwiegend Wildbienen gefunden, bei Hornissen, die ihre Nester im Offenland haben, waren es vor allem Honigbienen. Wir vermuten, dass es vor allem im Wald sehr viele Nester gibt, doch dort finden wir sie kaum.
Sind sie in Massen im Wald, sind sie vermutlich auch bald auf dem Feld …
Ja. Prinzipiell ist die Anwesenheit der Asiatischen Hornisse der heimischen Insektenwelt alles andere als förderlich. Wie wir aus Frankreich wissen, kann bei hoher Dichte der Einfluss auf die Imkerei ganz massiv sein. Einerseits werden viele Honigbienen Opfer der Hornissen, schwerer wiegt aber, dass die Bienen aus Furcht den Stock ganz einfach nicht mehr verlassen. Die Imker müssen ihre Völker dann mit Zuckerwasser durchfüttern. Das gibt einerseits keinen guten Honig mehr, andererseits dürfte die Bestäubungsleistung nachlassen, wobei es dazu noch keine genaueren Erkenntnisse gibt.
Können die Bienenstöcke gesichert werden?
Man kann Gitter montieren, durch welche die Bienen in den Stock hineinkommen, die grösseren Hornissen hingegen nicht. Bloss nützt das nicht viel. Die Hornissen beherrschen den Schwebeflug und «stehen» dann vor dem Stock. Da traut sich keine Biene mehr heraus. Und falls doch, wird sie gepackt.
Bienen sind in aller Regel recht wehrhaft. Warum nicht bei dieser Hornissenart?
Unseren Bienen fehlt eine Verteidigungsstrategie, weil sie diesen Feind nicht kennen. Ganz anders bei der Östlichen Honigbiene: Diese stürzen sich in grosser Zahl auf die Hornisse, bilden einen Klüngel um sie und beginnen, zu vibrieren. Dabei entsteht so viel Wärme, dass es die Hornisse quasi «verkocht».
Müsste man hierzulande Asiatische Honigbienen halten, um dem Problem mit den Hornissen Herr zu werden?
Der Gedanke ist interessant. Die Imker dürften allerdings wenig begeistert sein, da die Östlichen Honigbienen deutlich weniger Honig produzieren als unsere.
Mit welcher Methode können die Hornissen am besten bekämpft werden?
Es gibt aktuell nur eine gute Methode, doch die ist leider verboten. Gemeint ist der Einsatz von Schwefeldioxid. In Bezug auf die Umweltschädlichkeit ist dies ein verhältnismässig sehr sanfter Stoff. Sobald das Gas im Nest mit Feuchtigkeit in Kontakt kommt, entsteht Schwefelsäure, die sehr effizient wirkt. Die Säure baut sich danach rasch und rückstandsfrei ab – im Gegensatz zu einigen synthetischen Insektiziden, die auch ein Bienengift sind.
Schwefeldioxid wäre also ein ideales Mittel, ist aber verboten?
Dieser Wirkstoff ist in der EU nicht zur Insektenbekämpfung zugelassen. Und wenn etwas in der EU nicht zugelassen ist, dann ist es in der Schweiz schwierig, da sich die Bundesstellen bei Zulassungen immer auf Entscheide der EU-Behörden abstützen.
Wäre eine Notfallzulassung angebracht?
Wir Kantone hatten beim Bund mit einer solchen Forderung bisher keinen Erfolg. Dem Vernehmen nach hat man sich in der Westschweiz allerdings schon über das Verbot hinweggesetzt. Das Problem ist, dass es keine Versicherungsdeckung geben wird, falls ein Mensch zu Schaden kommt. Die Anwendung ist heikel.
Wie wird Schwefeldioxid eingesetzt?
Das Gas wird in einer Druckflasche komprimiert und mit einer langen Lanze, die man bis zu 25 Meter ausfahren kann, gezielt in das Hornissennest geleitet. Die Methode ist effizient und vor allem auch günstig, da Schwefeldioxid fast nichts kostet. Bei uns ist die Bekämpfung deutlich teuer: Wir müssen jemanden beauftragen, auf höchste Bäume zu klettern, um ein Nest zu zerstören. In einem Fall gleich ennet der Schweizer Grenze im Elsass musste sogar ein Waldbaum gefällt werden, um an das Nest heranzukommen.
Man hätte also eine gute Methode, darf sie aber nicht anwenden?
Ja, wobei das Problem noch weiter geht: Im Wald gilt ein absolutes Verbot für Biozide. Auch das müsste überdacht werden, wenn man ein taugliches Mittel wie Schwefeldioxid hat. Fakt ist: Heute haben wir vor allem im Wald kein gutes Rezept. Auf dem Feld darf man immerhin zugelassene Biozide anwenden, auch wenn diese zweifelhafte Umweltauswirkungen haben können.
Was ist die langfristige Perspektive? Wird sich in absehbarer Zeit ein Fressfeind finden, der dafür sorgt, dass der Hornissenbestand tief bleibt?
Das wird sich zeigen. Heute weiss man, dass der Wespenbussard oder der Bienenfresser natürliche Feinde sind, bloss sind diese Vögel bei uns nicht oder kaum anzutreffen. Doch man darf auf Entwicklungen hoffen. Seit einiger Zeit stellt man beispielsweise fest, dass die Meise gemerkt hat, dass die giftige Raupe des Buchsbaumzünslers in kleinen Mengen durchaus gefressen werden kann. Vielleicht kommt bei der Hornisse ebenfalls bald ein einheimischer Vogel auf den Geschmack.
Die Imker beobachten ihre Bienenstöcke derzeit genau und melden, sobald sie die Anwesenheit von Asiatischen Hornissen feststellen. Was passiert dann?
Falls mehrere Hornissen herumschwirren, alarmieren wir einen Imkertrupp, der probiert, eine der Hornissen mit einem Netz einzufangen. Das Insekt kommt anschliessend in eine Kühlbox auf Eis. Man kühlt es so stark herunter, bis es sich nicht mehr bewegt. Dann kann ihm mit einem Faden ein Minisender umgebunden werden. Sobald die Hornisse wieder beweglich ist, lässt man sie fliegen und man verfolgt das Funksignal bis zum Nest. Die Methode ist gut: Im Vorjahr hat jede unserer Besenderung den gewünschten Erfolg gebracht. Auf dem Land funktioniert die Methode übrigens besser als in der Stadt. Dort stören die vielen Gebäude den Funkempfang.
Gefühlt bekommen wir es die ganze Zeit mit neuen invasiven Neophyten zu tun. Welches ist die nächste Tierart, die bei uns quasi auf der Schwelle steht?
Aktuell scheint sich der Waschbär festsetzen zu können. In der Öffentlichkeit noch weniger bekannt sind tropische Plattwürmer in allen Farben, die vermehrt gesichtet werden, vor allem in Familiengärten. Ob sie Schaden anrichten, wissen wir derzeit noch nicht. Ferner beobachten wir zunehmend tropische Ameisenarten. In der Westschweiz gibt es solche, die aggressiv sind. In einem Fall musste ein Friedhof abgesperrt werden, weil Attacken auf Besucherinnen und Besucher festgestellt wurden. Weitere invasive Tierarten sind möglicherweise schon da, wir haben sie einfach noch nicht bemerkt. Viele der Arten sind vermutlich auch nur kurz hier und sterben dann aus, weil die klimatischen Bedingungen nicht passen.
Nicht jeder Neophyt ist also eine Gefahr?
Zum Problem werden die wenigsten der neu eingeschleppten Tier- und Pflanzenarten: Nur eine von 100 Arten hat ein grösseres Schadenspotenzial für Gesundheit oder Biodiversität. Bei dieser einen Art wartet man mit der Bekämpfung aber leider häufig zu lange zu, da das Schadensausmass stets unterschätzt wird.
Was wäre aktuell ein Beispiel dafür?
Die Tigermücke. In Allschwil und teilweise auch in Münchenstein gibt es momentan eine sehr hohe Dichte. Viele Menschen fühlen sich dort regelrecht terrorisiert. Es gibt Leute, die ihre Gärten nicht mehr bewirtschaften, da sie dauernd gestochen werden – auch am helllichten Tag. Wir bekommen mittlerweile täglich Beschwerden. Das Problem wird von einer breiteren Öffentlichkeit erst jetzt wahrgenommen, dabei läuft von unserer Seite schon seit mehreren Jahren ein Sensibilisierungsprogramm, was aber nicht bei allen angekommen ist. Würden unsere Empfehlungen konsequent umgesetzt, sähe die Situation heute möglicherweise besser aus.
Und jetzt ist es zu spät, um die Tigermücke wieder zu vertreiben?
Vermutlich werden wir keinen der invasiven Organismen wieder wegbekommen. Es geht eher darum, den Schaden in Grenzen zu halten. Wird die Tigermücke anhaltend bekämpft, kann die Situation einigermassen erträglich bleiben. Ein Vergleich zwischen dem Tessin und Norditalien zeigt, dass im Tessin die Plage weniger gross ist, da viel in die Bekämpfung investiert wird.
Die Tigermücke wurde bislang bis unterhalb von Liestal nachgewiesen. Wann kommt sie bei uns im Oberbaselbiet an?
Ich wohne in Rothenfluh und hoffe, dass es noch lange dauert. Und vielleicht bleiben wir sogar ganz verschont. Wir vermuten, dass die Tigermücke in den Entwässerungsschächten überwintert. Wir im Oberbaselbiet haben den Vorteil, dass wir über Trennwassersysteme verfügen und viel sauberes Abwasser direkt in die Bäche abgeführt wird. Unterhalb von Liestal geht hingegen so gut wie alles Abwasser in die Kläranlagen. Das Wasser steht dort länger und in den Kanälen ist es im Winter wärmer. Vielleicht sind wir im Oberbaselbiet also etwas im Vorteil. Doch dies ist die optimistische Sicht …
… und die pessimistische?
Natürlich können auch hier lokale Populationen auftreten. Doch wenn die Sensibilisierung hoch genug ist und man stets schnell genug reagiert, kann man es schaffen, lokale Populationen wieder wegzubringen. Hier sind die Gemeinden stark gefordert. Es müssen bei einem Befall Larvizide in den Schächten eingesetzt werden, die einzig für Stechmücken schädlich sind, dazu müssen alle Bewohnerinnen und Bewohner dafür sorgen, dass Wasser in ihrer Umgebung nicht über längere Zeit steht. Das Wasser in Tiertränken beispielsweise muss regelmässig erneuert werden, Spritzkannen müssen geleert werden und so weiter. Es sind kleine Dinge, die bei der Bekämpfung der Tigermücke eine grosse Wirkung haben.
Sichtungen der Asiatischen Hornisse können über die offizielle Meldeplattform www.asiatischehornisse.ch gemeldet werden.
Zur Person
tho. Gabriel Stebler (34) ist seit fünf Jahren Leiter des siebenköpfigen Ressorts Störfallvorsorge und Chemikalien im Amt für Umweltschutz und Energie (AUE), das zur kantonalen Bau- und Umweltschutzdirektion gehört. Stebler hat Chemikant gelernt und anschliessend Biotechnologie studiert. Gearbeitet hat er zuerst in der Pharmabranche und wechselte dann als Inspektor ins Sicherheitsinspektorat des Kantons, das auf Bio- und Chemiesicherheit spezialisiert ist. Stebler ist verheiratet und wohnt in Rothenfluh.