«Wildschweine sind keine Schädlinge»
26.04.2024 Bezirk LiestalDer alteingesessene Jäger Ruedi Schweizer erzählt
Ruedi Schweizer gibt sein Amt als Obmann der Schwarzwildkommission an der heutigen Jahresversammlung von Jagd Baselland nach 23 Jahren Tätigkeit ab. Die «Volksstimme» hat den Liestaler zu Themen rund um die ...
Der alteingesessene Jäger Ruedi Schweizer erzählt
Ruedi Schweizer gibt sein Amt als Obmann der Schwarzwildkommission an der heutigen Jahresversammlung von Jagd Baselland nach 23 Jahren Tätigkeit ab. Die «Volksstimme» hat den Liestaler zu Themen rund um die Schwarzkittel befragt.
Elmar Gächter
Herr Schweizer, was fasziniert Sie an der Jagd und am Schwarzwild?
Ruedi Schweizer: Die Jagd ist für mich eine Passion. Wer diese nur als Hobby ausübt, ist fehl am Platz und sollte es lieber bleiben lassen. Sich mit Wild und Fauna auseinanderzusetzen, ist ebenso anspruchsvoll wie bereichernd: Es ist eine Aufgabe, die wir Jäger aus gesetzlichen Gründen wahrnehmen müssen. An den Wildschweinen fasziniert mich, wie schlau und lernfähig sie sind. War es vor 30 Jahren noch mehr oder weniger unproblematisch, eine Sau zu schiessen, hat sich dies radikal geändert. Wenn die Tiere heute mein Auto nur schon von Weitem hören, sind sie schon längst auf und davon. Als ich das Fahrzeug gewechselt habe, hat es kaum zwei Wochen gedauert und sie haben auch dieses wieder erkannt.
Es ist also schwieriger geworden, Wildschweine zu erlegen?
Die Tiere wurden in den vergangenen Jahren extrem nachtaktiv. Einer der Hauptgründe ist, dass der Wald immer mehr als Naherholungsgebiet für verschiedene Aktivitäten genutzt wird. So finden die Wildschweine tagsüber kaum mehr Ruhe und ziehen sich zurück. Zudem haben sie sich auf ihr Feindbild Mensch/Jäger eingestellt und reagieren ganz anders, wenn Leute in der Nähe sind. Ihre Einstände, wo sie sich tagsüber aufhalten, wechseln permanent. Auch die Kirrungen suchen sie zu verschiedenen Zeiten auf. Konnte ich früher beim Ansitzen darauf zählen, dass die Rotten sich wie ein Schweizer Uhrwerk fast minutengenau jeweils an diesen Ablenkfutterstellen zeigten, ist dies heute völlig anders. Vor 40 Jahren rechnete man durchschnittlich 6 bis 7 Stunden ein, um eine Wildsau zu erlegen. Heute sind es 20 bis 30 Stunden.
Dabei gibt es doch immer mehr Schwarzkittel.
Das ist so. Ihr Nahrungsangebot in unseren Wäldern ist extrem gestiegen. Die Buchen und Eichen tragen wegen der Klimaänderung, speziell der Trockenheit, praktisch alle zwei Jahre Früchte, was das Angebot an optimalem Futter gegenüber früher fast verdreifacht und die Population von Schwarzwild massiv gefördert hat.
Wie kann der «optimale» Bestand von 500 Wildschweinen in den Wäldern des Baselbiets – so propagiert es das Schwarzwildkonzept des Amts für Wald – erreicht werden?
Die Abschusszahlen sind aus den vorgenannten Gründen zurückgegangen. Es gab Jahre, da hat man im Baselbiet bis gegen 1500 Wildschweine jährlich geschossen. Hätten die Jäger nicht ihren Job gemacht, wäre der Bestand ins Unermessliche gewachsen. Im abgelaufenen Jagdjahr waren es noch 659 Abschüsse, dies sind 30 Prozent mehr als im Vorjahr, trotz schwieriger Umstände. Der Bestand an Schwarzwild hat sich zwar vermehrt, er hält sich aber in einem überschaubaren Rahmen. Unsere Aufgabe ist es, den Wildschweinen das Leben auf den Feldern so unbequem wie möglich zu machen, sodass sie sich in den Wald zurückziehen. Dort richten sie keine Schäden an: Sie lockern den Boden und leisten einen grossen Beitrag für das Gedeihen des Waldes. Im Übrigen sind die Schäden an den landwirtschaftlichen Kulturen zurückgegangen, unter anderem, weil die Wildschweine sich wegen des grossen Nahrungsangebots vermehrt in den Wäldern aufhalten.
Geschossen werden vor allem Jungtiere. Weshalb?
Ziel ist es, auch auf nationaler Ebene, die Abschusszahlen möglichst auf Jungtiere – auch Frischlinge – auszurichten. Ein Frischling kann bereits nach sieben bis acht Monaten geschlechtsreif sein. Nur so können wir die Entwicklung der Population regulieren. Wenn wir nicht vorher eingreifen, dann haben wir etwas falsch gemacht. Die statistischen Zahlen zeigen, dass wir im vergangenen Jahr 80 Prozent Frischlinge, 15 Prozent Überläufer (mittelalterliche) und 5 Prozent alte Tiere erlegt haben. Auf der andern Seite wollen wir starke Keiler und Leitbachen schonen, denn Letztere sorgen in einer Rotte für Ordnung und Struktur.
Welche grösste Herausforderung sehen Sie für die Schwarzwildjagd in der Zukunft?
Die Afrikanische Schweinepest ist bis 70 Kilometer an unsere südliche Landesgrenze herangerückt. Erreicht sie uns, stellt das eine Katastrophe dar. Dies gilt nicht allein für die Wildschweinpopulation, auch die Bevölkerung wäre direkt betroffen, indem die Waldflächen in einem grösseren Umkreis nicht mehr betreten werden dürften. Die Jagd würde eingestellt und wir Jäger würden zu Seuchenpolizisten. Mir macht dieses Szenario ehrlich gesagt Angst. Ich habe in meinen Jahresberichten von Jagd Baselland immer wieder auf dieses Thema hingewiesen und die Jäger gebeten, nicht in verseuchten Gebieten im Ausland jagen zu gehen. Das Risiko, die Pest mit Schuhen, Jagdutensilien oder dem Auto einzuschleppen, ist viel zu gross. Auch ist vom Mitbringen von Schweine- oder Wildschweinfleisch aus betroffenen Gebieten dringend abzuraten.
Worauf blicken Sie nach 23 Jahren als Obmann der Schwarzwildkommission gerne zurück?
Da gibt es sehr viele schöne Erinnerungen. Stolz bin ich, dass es uns gelungen ist, die Jägerschaft für eine waidmännische Jagd zu sensibilisieren. Zwar mit einem starken Abschuss der jungen Schwarzkittel, aber weg vom Fleischjäger zum Bestandsregulierer. Die Schwarzwildjagd war immer ein brisantes Thema, nicht nur in Jägerkreisen. Ich habe mich stets dagegen gewehrt, dass die Wildschweine als Schädlinge bekämpft werden. Sie sind eine Wildart, die in unseren Breitengraden sehr wohl ihre Berechtigung hat. Ganz toll war, dass wir mehrere Jahre in unserem Revier Frischlinge markiert haben, um ihr territoriales Verhalten zu beobachten. Wir stellten fest, dass besonders die weiblichen Tiere weitgehend sesshaft blieben, die männlichen das Revier verlassen haben. Es gab auch Jahre, da wanderten wegen Nahrungsmangel ganze Rotten – teilweise bis in den Kanton Zürich – aus.
Zur Person
emg. Der 72-jährige Ruedi Schweizer wohnt mit seiner Frau in Liestal und erfreut sich an zwei Töchtern und vier Grosskindern. Schweizer bezeichnet sich als beruflicher Allrounder und leitete unter anderem drei Jahre lang die Niederlassung Hongkong der ehemaligen Uhrenfabrik Oris Hölstein. Später hat er sich mit zwei Kollegen selbstständig gemacht, diese Firma in der Zwischenzeit jedoch verkauft. Er ist beruflich immer noch aktiv, nimmt sich allerdings mehr Zeit für die Jagd: Mit seiner Frau und der sechsjährigen Hündin Banji ist er viel zu Fuss unterwegs. In der Familie Schweizer ist die Jagd fast schon Tradition: Bereits sein Urgrossvater und sein Vater waren Jäger.
Anti-Jagd-Demonstration von «Hunt Watch»
vs. Die Organisation Hunt Watch wird heute anlässlich der Generalversammlung (GV) von Jagd Baselland gegen das Jagen und die damit verbundene «Trophäenschau» demonstrieren. Dies vor dem Eingang zum Kuspo in Münchenstein von 16 bis 19 Uhr, wo die GV abgehalten wird.
In den vergangenen Monaten hat die Organisation verschiedene Jagdvereine kritisch begleitet, darunter Treibjagden in der Schweiz, Deutschland und Frankreich. Dabei hätten Tierrechtsaktivisten Jagdaktivitäten dokumentiert und auf mögliche Missstände hingewiesen, wie «Hunt Watch» vorgestern in einer Mitteilung schrieb. Darin sind mehrere Konflikte zwischen Jagd- und Tierrechtsaktivisten aufgelistet, die in den vergangenen Monaten aufgeflammt sind. Neben Strafanzeigen seien auch Sachbeschädigungen verübt worden und Drohungen gegen Mitglieder von «Hunt Watch» eingegangen.