Wer helfen will, soll das dürfen
31.10.2024 BaselbietIn Schulräte und Sozialhilfegremien der Gemeinden sollen niedergelassene Ausländer gewählt werden können. Ein Betroffener schildert seine Motivation – und die Umstände, die ihn heute an der Mitarbeit in seiner Wohngemeinde hindern.
Peter ...
In Schulräte und Sozialhilfegremien der Gemeinden sollen niedergelassene Ausländer gewählt werden können. Ein Betroffener schildert seine Motivation – und die Umstände, die ihn heute an der Mitarbeit in seiner Wohngemeinde hindern.
Peter Sennhauser
«Gewählt wird, wer sich zur Verfügung stellt», sagt Thomas Füglistaller, Präsident des Verbands für Sozialhilfe Baselland (VSO): Kandidaten und Kandidatinnen für arbeitsintensive Gremien in der Gemeinde zu finden, sei zumindest in den kleineren Dörfern zunehmend schwierig. Der Vorsteher der Sozialhilfebehörde in Rothenfluh erzählt, dass es in den grösseren Gemeinden noch ein bisschen besser sei: Dort gebe es Ortsparteien, und der Wahlkampf und der Einsitz in einem Gremium könne dem Renommee dienen oder gleich der Einstieg in eine politische Karriere sein.
Gerade im Oberbaselbiet aber sei regelmässig «Klinkenputzen» angesagt, wenn eine Ersatzwahl anstehe. «Die Entscheidung fällt mit der Bereitschaft einer Kandidatin oder eines Kandidaten, oft ungeachtet seiner oder ihrer fachlichen Eignung.»
Ein Fachmann im Umgang mit Menschen in besonderen Situationen wäre Konrad H. (Name geändert). Langjähriger Einwohner einer der 12 Iniativgemeinden (siehe Kasten), spricht H. den Dialekt jener Schweizer Region, in der er aufgewachsen ist. Er hält aber den Pass eines europäischen Nachbarlandes. Aufgrund seines sozialen Engagements wollte der Kantonsangestellte auch in der Wohngemeinde seinen Beitrag leisten und stellte sich auf Anfrage zur Verfügung. Die Gemeindepräsidentin war begeistert, bis sie feststellte, dass Einwohnerinnen und Einwohner mit Niederlassung C nicht einmal im Schulrat mitarbeiten dürfen, der für die Ausbildung ihrer Kinder zuständig ist.
«Genau diese Situation haben wir zwei- oder sogar dreimal erlebt», sagt die Anwiler Gemeinderätin Petra Huth. Selber eingebürgert und mit den Hürden bestens vertraut, ergriff die Politikwissenschaftlerin zusammen mit Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderats – im Wortsinn – die Initiative: Aus dem Gespräch mit Exekutivmitgliedern anderer Orte ergab sich die «Wählbarkeitsinitiative», die den Gemeinden die Befugnis darüber verleihen will, ob sie Ausländer mit C-Niederlassung für bestimmte Gremien wählbar machen wollen (siehe Kasten).
Ein Sechstel der Einwohnerschaft
Für Konrad H. wäre das nicht mehr als zeitgemäss: In der Schweiz aufgewachsen, musste er vor einigen Jahren die angestrebte Einbürgerung aufgrund der hohen Kosten und der mit jedem Ortswechsel neu beginnenden Fristen abbrechen. Der Vorgang sei keine erfreuliche Erfahrung gewesen, und trotzdem hegt H. keinen Groll. Heute hat er sich mit seiner Situation abgefunden, «es ist nicht mehr existenziell für mich, auch auf dem Papier ein Schweizer zu sein».
Ähnliche Fälle dürfte es im Baselbiet viele geben: Zwei Drittel der hier lebenden 75 000 Ausländer verfügen über die Niederlassungsbewilligung C. Bei knapp 300 000 Einwohnern ist also ein Sechstel der Bevölkerung von der Wählbarkeit ausgeschlossen. Unter diesen 50 000 Menschen dürften viele in zweiter oder dritter Generation in der Schweiz leben, die wie Konrad H. noch nicht einbürgert sind.
Im Beruf längst kein Thema mehr
Eingebettet in die Wohngemeinde, würde Konrad H. nach wie vor gerne sein fachliches Wissen einbringen und die dringend nötige Hilfe anbieten. Mit Menschen zu arbeiten und ihnen zu helfen, erfülle ihn mit Freude. Und dass er es aufgrund eines fehlenden Papiers nicht tun kann, versteht er immer weniger: «Als ich in den 1980er-Jahren meine kaufmännische Ausbildung gemacht habe, empfand ich es noch als ungewöhnlich, dass ein ‹Ausländer› im öffentlichen Dienst arbeiten durfte. Heute spielt es fast keine Rolle mehr, ob ich eine C-Bewilligung oder einen Pass habe.»
Was im Erwerbsleben gang und gäbe sei, müsste seiner Meinung nach in anderen Bereichen noch viel eher angepasst werden. «Dass in den freiwilligen Gremien der Aufenthaltsstatus noch eine grössere Rolle spielt als die fachliche Eignung, kann ich nicht nachvollziehen.»
Die Gemeinden sollen die Wahl haben
sep. Die Kantonsverfassung soll so angepasst werden, dass Gemeinden ausländischen Einwohnern mit Bewilligung C die Wahl in Schulräte und Sozialhilfebehörde ermöglichen können. Das verlangt die gestern in Liestal eingereichte «Wählbarkeitsinitiative», die vom Gemeinderat Anwil als federführende Gemeinde lanciert worden war. Fünf unterzeichnende Gemeinden hätten gereicht, um den Baselbieter Landrat zur Behandlung des Begehrens zu verpflichten. Nicht weniger als elf Gemeinden haben sich in Abstimmungen hinter das Anwiler Anliegen geschart: Biel-Benken, Binningen, Bottmingen, Häfelfingen, Känerkinden, Langenbruck, Lauwil, Oltingen, Oberdorf, Rünenberg und Zeglingen. Die Gemeinde Nusshof will an der Dezember-Gemeindeversammlung nachträglich noch über die Beteiligung abstimmen.
An der Einreichung der Gemeindeinitiative wies Petra Huth darauf hin, dass «es bei der erbetenen Handlungsfreiheit um einen Grundsatz geht, von dem entweder alle Gemeinden – und zwar unabhängig von ihrer Grösse – profitieren oder eben nicht.» Denn das freiwillige Engagement nehme überall ab, und oft seien es die gleichen Menschen, die sich hier wie dort engagierten. «Aber es geht auch darum, ‹die Politik im Dorf zu halten›, weil interessierte Gemeinden über den Pool an Kandidierenden in eigener Kompetenz entscheiden könnten», so Huth.
Im nächsten Schritt muss der Landrat entscheiden, ob er die Verfassungsänderung ausarbeiten und beschliessen oder die Initiative ablehnen will. Im ersten Fall wird danach an der Urne über die Anpassung abgestimmt, im zweiten kann das Stimmvolk an einer zwingenden Abstimmung den Landrat zu einer Erarbeitung eines Vorschlags verpflichten. Lehnt das Stimmvolk den Vorschlag oder wie zuvor schon der Landrat die Initiative ab, bleibt alles beim Alten. Wird die Änderung eingeführt, dann kann jede Gemeinde via Gemeindeordnung festlegen, ob und nach wie vielen Jahren Einwohner mit einer C-Bewilligung in den Schulrat oder die Sozialhilfe gewählt werden können.
In anderen Kantonen gibt es das passive Wahlrecht für Niedergelassene bereits: Im Jura, im Kanton Neuenburg, in der Waadt und in Freiburg können Menschen ohne Schweizer Pass mit C-Bewilligung auf Gemeindeebene gewählt werden; in Appenzell Ausserrhoden und Graubünden sind Ausländer und Ausländerinnen, die in der kommunalen Politik wahlberechtigt sind, auch für entsprechende Ämter wählbar.