Waldenburg verliert einen Sitz
09.07.2024 BaselbietWahlrechtsreform vor Abstimmung im Landrat
Das Wahlgesetz des Landrats soll übersichtlicher werden – nicht nachvollziehbare Sitzsprünge sollen der Vergangenheit angehören. Nun steht die Vorlage. Schon jetzt ist klar: Der Wahlkreis Waldenburg verliert einen Sitz.
...Wahlrechtsreform vor Abstimmung im Landrat
Das Wahlgesetz des Landrats soll übersichtlicher werden – nicht nachvollziehbare Sitzsprünge sollen der Vergangenheit angehören. Nun steht die Vorlage. Schon jetzt ist klar: Der Wahlkreis Waldenburg verliert einen Sitz.
Nikolaos Schär
Das Wahlgesetz für die Landratswahlen ist bekanntlich kompliziert. Etliche Verfahrensschritte sind nötig, bis die 90 Sitze des Kantonsparlaments verteilt sind und stets gibts Kritik an einzelnen Sitzzuteilungen, die nicht als logisch empfunden werden. Dies soll sich nun ändern: Voraussichtlich bis Ende Jahr wird der Landrat die Wahlrechtsreform beschliessen – ausser der FDP und SVP sind alle Parteien dafür. Damit das neue Gesetz 2027 erstmals zum Einsatz kommen kann, muss dieses von den Baselbieterinnen und Baselbietern in einer Volksabstimmung gutgeheissen werden.
Anlass für die Reform des Wahlrechts gaben die berüchtigten Sitzsprünge innerhalb der vier Wahlregionen mit 12 Wahlkreisen. In diesen Regionen wurde bis anhin die Anzahl Sitze, die jeder Partei zusteht, anhand der Anzahl der Wählerstimmen ermittelt. Bei der Aufteilung der Stimmen auf die Sitze bleiben meist Restmandate übrig, da die Parteien entweder nicht genügend Stimmen für einen Sitz erzielen oder nach der Zuteilung der Sitze Reststimmen übrig bleiben. Da die Restmandate über die gesamte Wahlregion verteilt werden, kann ein Restmandat in einen anderen Wahlkreis in derselben Wahlregion wandern, wenn dieser seine ihm zustehenden Sitze schon erreicht hat. Geschehen so 2023 bei der «Mitte»-Partei: Dario Rigo erhielt mit 379 Stimmen im Wahlkreis Gelterkinden das letzte Restmandat, das eigentlich Marcel Zimmermann mit 854 Stimmen im Wahlkreis Sissach zugestanden hätte, das aufgrund der schon vergebenen 7 Sitze in Sissach jedoch an Gelterkinden abwanderte.
Das Wahlsystem mit Wahlkreisen und -regionen führt laut einem Bericht von Professor Daniel Bochsler, der anlässlich der neuen Reform von der Geschäftsleitung des Landrats in Auftrag gegeben wurde, ausserdem zu einer disproportionalen Zuteilung von Stimmen und Sitzen. In einem Schweizer Index, der diese Eigenschaft untersucht, rangiert der Kanton Baselland im hinteren Feld. Damit die Wählerstimmen die Sitzverteilung künftig besser abbilden, wurde Bochsler beauftragt, ein neues Modell für das Baselbiet zu erarbeiten.
Regionale Verankerung bleibt
Um eine ideale Zuteilung zu erreichen, müsste man ein System einführen, das den ganzen Kanton als einen einzigen Wahlkreis betrachtet – wie bei den Nationalratswahlen. Um jedoch das Gewicht zwischen den Regionen nicht zuungunsten des bevölkerungsschwachen Oberbaselbiets zu verschieben, bleiben die Wahlkreise erhalten. Die Wahlregionen hingegen werden verschwinden. In einem ersten Schritt wird über den ganzen Kanton gesehen ermittelt, welche Partei wie viele Sitze erhält. Danach wird mit dem Doppelproporz entschieden, wie die Sitze der Parteien auf die Wahlkreise verteilt werden. Das System nennt sich «Doppelter Pukelsheim» in Anlehnung an den Mathematiker. Dieses Wahlrecht wurde unter anderem bereits im Kanton Zürich eingeführt.
Die SVP monierte bei der Vernehmlassung, dass dadurch Sitzsprünge immer noch möglich seien. Laut Parteipräsident Peter Riebli ist die Reform nur gerechtfertigt, wenn diese die Sitzsprünge komplett eliminiert, was bei der jetzigen Vorlage nicht der Fall sei. Laut Bochslers Simulationen verringern sich die Sitzsprünge von bislang drei bis vier im Durchschnitt auf ein bis zwei pro Wahl. Solange es Wahlkreise gebe, liessen sich diese nicht verhindern, hält Bochsler fest.
Die bisherige «6-Sitze-Garantie» für jeden Wahlkreis hingegen wird abgeschafft. Damit die Wahlkreise ungefähr die gleiche Sitzzahl wie bisher haben werden, entschied sich die Geschäftsleitung des Landrats, die für die Ausarbeitung der Vorlage zuständig war, eine Mindestgarantie von nur noch einem Sitz für jeden Wahlkreis einzuführen. Somit werden nach Abzug von 12 Sitzen noch 78 Sitze mit dem Nationalproporz nach der Zahl der Stimmberechtigten auf die Wahlkreise aufgeteilt. Daraus resultieren folgende Sitzverschiebungen: Der Wahlkreis Oberwil mit seinen zehn Mandaten verliert den 2019 gewonnenen Sitz wieder. Münchenstein (6), das 2023 ein Mandat abgeben musste, gewinnt dieses nach der neuen Berechnungsmethode zurück. Bitter wird es für den Wahlkreis Waldenburg (6), der dank der Aufhebung der «6-Sitze-Garantie» ein Mandat verlieren wird, das in den Wahlkreis Laufen mit seinen neu sieben Sitzen abwandert.
Verfahren wird transparenter
In der Vorlage wird festgehalten: Die Reformen des Wahlsystems würden für die Parteien keine grösseren Veränderungen bringen. Bei den grössten Parteien, namentlich der SVP und der SP, könne es zu Sitzverlusten kommen – kleinere Parteien würden hingegen profitieren. Laut der SP ist die Reform im Interesse der Demokratie, da der Wählerwille besser abgebildet werde und das Verfahren transparenter sei, deshalb stehe man hinter der Vorlage, trotz der allfälligen Nachteile für die eigene Partei. Der Präsident der SVP Baselland, Peter Riebli, gibt sich kämpferisch: «Da die SVP in der Wählergunst steigt, würden wir solche systemimmanente Verluste bei kommenden Wahlen trotz der Reform wettmachen.»
In den Modellrechnungen, die Bochsler anhand der Wahlresultate von 2023 vornahm, lässt sich trotz des spekulativen Charakters jedoch keine systematische Benachteiligung der grossen Parteien erkennen: Die SVP und SP hätten demnach keine Sitze verloren. Leidtragende der Reform wären die FDP und die Grünen mit je einem Sitzverlust gewesen. Einen Sitz gewonnen hätten die GLP und die EVP.
Die EVP hätte laut Modellrechnung neu sogar Fraktionsstärke erreicht (5 statt 4 Mandate). Dies sei sehr erfreulich, endlich werde der Wählerwille sauber abgebildet, sagte EVP-Präsident Martin Geiser. Jedoch äusserte sich die EVP in der Vernehmlassung negativ über die «hohe» Hürde des Quorums. Nimmt eine Liste die Hürde von kantonsweit 3 Prozent der Stimmen oder 5 Prozent in wenigstens einem Wahlkreis nicht, scheidet sie bei der Mandatsverteilung aus.
Die EVP setzte sich für eine tiefere Hürde ein, mit der Begründung: Alle Stimmen, die das Quorum nicht erreichen, seien für die Demokratie «verlorene» Stimmen. Geiser dementierte, dass die EVP besorgt sei, diese Hürde nicht zu schaffen. Kleine Parteien dürfen jedoch seiner Meinung nach nicht aufgrund einer zu hohen Hürde ausgeschlossen werden. Doch letztlich setzte sich bei der Geschäftsleitung des Landrats die Überzeugung durch, das Quorum beizubehalten, um Kleinstparteien zu verhindern, welche die Parlamentsarbeit erschweren würden. Es wurde festgehalten, dass eine solche Regelung bundesverfassungskonform sei.
Die meisten Parteien waren sich einig, dass durch die Reform das Wahlsystem übersichtlicher werde und dies für die Wählerinnen und Wähler ein demokratiepolitischer Gewinn sei. Die Abschaffung der «6-Sitze-Garantie» würde zwar zu einer genaueren Abbildung der Bevölkerungsstärken in den Wahlkreisen führen, schmälert jedoch mit dem Sitzverlust im Wahlkreis Waldenburg die Bedeutung des Oberbaselbiets. Die Sitzgarantie für jeden Wahlkreis bildet laut Bochsler die Verhältnisse von 2023 ziemlich gut ab. Das bevölkerungsschwache Oberbaselbiet ist aus mittel- und langfristiger Perspektive jedoch nicht davor gefeit, weitere Sitze einzubüssen.
Am Schluss wird die Stimmbevölkerung darüber entscheiden, ob 2027 nach dem Doppelproporz gewählt wird. Da eine komplizierte Vorlage selten zu mobilisieren vermag und sich ausser der FDP und SVP alle Parteien hinter die Vorlage stellen, hat die Wahlrechtsreform gute Erfolgschancen an der Urne.
Wahlrechtsreform: EVP wäre klare Siegerin im Oberbaselbiet
nsc. Noch muss die Wahlrechtsreform einige Hürden meistern, damit das Stimmvolk 2027 mit dem «Doppelten Puckelsheim» den Landrat wählen darf. Der bei Professor Daniel Bochsler bestellte Bericht fördert jedoch schon jetzt einige interessante Verschiebungen zutage. Anhand einer Simulation rechnete Bochsler vor, wie das Kantonsparlament ausgesehen hätte, wäre 2023 nach dem neuen System gewählt worden.
Dem Wahlkreis Sissach wurde 2023 aufgrund der Anzahl an Wahlberechtigten ein siebter Sitz zugesprochen. Die SP hoffte damals, diesen zusätzlichen Sitz zu gewinnen, scheiterte jedoch laut der Vizepräsidentin der SP, Sandra Strüby, ganz knapp an der SVP, die mit Nicole Roth einen dritten Sitz erlangte.
Mit dem neuen Wahlgesetz wäre der Sitz von Nicole Roth zurück zur SP gewandert. Um den zweiten Sitz der SVP hinter dem Parteipräsidenten Peter Riebli hätten somit gleich mehrere Kandidaten und Kandidatinnen kämpfen müssen. Brisant dabei ist, dass Matthias Liechti, Nicole Roth, Sarah Regez und Christian Ritter sich ein knappes Rennen lieferten.
Im Wahlkreis Gelterkinden würde die «Mitte» ihren einzigen Sitz in der Region an die EVP verlieren. Dario Rigo hätte für Sandra Grossmann Platz machen müssen.
Für den Sitzverlust im Wahlkreis Waldenburg aufgrund der Aufhebung der «6-Sitze-Garantie» hätte die FDPlerin Andrea Kaufmann-Werthmüller über die Klinge springen müssen.
Im Wahlkreis Liestal hätte die EVP zugunsten der Grünen einen Sitz geholt. Somit wäre die klare Gewinnerin im Oberbaselbiet mit zwei zusätzlichen Sitzen die EVP. Die FDP verliert einen Sitz, den sie in anderen Wahlkreisen nicht kompensiert hätte. Den gewonnenen Sitz in Sissach hätte die SP andernorts wieder eingebüsst.