Vinyl – hier spielt die Musik
29.12.2023 BaselbietDie LP feiert das 75-jährige Bestehen
In dem zu Ende gehenden Jahr 2023 wurde die Vinylschallplatte 75 Jahre alt. Im Verlauf ihres Bestehens hat sie Höhen und Tiefen erlebt. Ob die zuletzt festgestellte Renaissance anhält, wird sich weisen.
Robert ...
Die LP feiert das 75-jährige Bestehen
In dem zu Ende gehenden Jahr 2023 wurde die Vinylschallplatte 75 Jahre alt. Im Verlauf ihres Bestehens hat sie Höhen und Tiefen erlebt. Ob die zuletzt festgestellte Renaissance anhält, wird sich weisen.
Robert Bösiger
«Eine Weltsensation!» Diesen Titel trug die Presseeinladung, die die Firma Columbia verschickte und auf den 21. Juni 1948 ins noble Hotel Waldorf-Astoria nach New York einlud. Vor der versammelten Journaille legte Edward Wallerstein, seinerzeit Chef von Columbia, eine Schallplatte auf.
Dass wir uns richtig verstehen: Schon damals kannte man die Schallplatte. Doch was da aus den Lautsprecherboxen kam, haute das Publikum vom Hocker: So klar und deutlich wie nie zuvor erklang das Violinkonzert in e-Moll, Opus 64 von Felix Mendelssohn Bartholdy. Und: Im Gegensatz zu den herkömmlichen Schellack-Platten war das Vergnügen nicht nach drei Minuten bereits zu Ende. Plötzlich konnten ganze Symphonien und ganze Alben genussvoll gehört werden, ohne dass man ständig aufstehen und die Platte wechseln musste. Eine grossartige Innovation! Diese revolutionäre Platte war aus dem noch jungen Kunststoff Polyvinylchlorid hergestellt und nannte sich «Long-playing microgroove record» – kurz LP. Kurze Zeit darauf war die LP Branchenstandard. Diese denkwürdige Pressekonferenz fand vor 75 Jahren statt.
Totgesagte leben länger
Seither, in diesen 75 Jahren, erlebte die Vinyl-Schallplatte so einiges, erlebte Höhen und Tiefen. Mal war sie totgesagt, als ihr in den 1990er-Jahren die CD den Rang ablief. Doch das Blatt wendete sich gerade in den vergangenen paar Jahren wieder: Viele Musikliebhaber auf der ganzen Welt bescherten ihr eine veritable Renaissance – als bewusster Gegenpol zum digitalen Musikstreaming. Plötzlich stieg die Nachfrage mehr als um das Dutzendfache und die in vielen Ländern zuvor stillgelegten Presswerke wurden wieder betrieben oder neu erstellt. In den USA verzehnfachte sich der Absatz von Vinylplatten seit 2011. Im Jahr 2022 sollen in Deutschland 4,5 Millionen Schallplatten über den Ladentisch gegangen sein. Und auch in der Schweiz erlebte die LP ein Comeback: 2021 wurde mit LPs ein Umsatz von 4,8 Millionen Franken erzielt; im Vorjahresvergleich war dies ein Plus von 18 Prozent und so viel wie seit 1991 nicht mehr.
Der Grund ist klar: Der typische Vinyl-Aficinado möchte bewusst Musik hören und schätzt deshalb die Schallplatte als Gesamtkunstwerk aus Musik und Cover-Art. Für viele ist das Auflegen einer Schallplatte ein höchst haptischer Akt: Platte auswählen, sie aus der Hülle ziehen, mit den Fingerspitzen wenden, auf den Plattenteller legen, Staub abwischen und starten. Dann das Knistern, bevor es losgeht und man genüsslich den Klängen lauschen kann.
Bemerkenswert ist übrigens die Tatsache, dass es nicht nur ältere, «analoge» Semester sind, die die Musik auf Vinyl schätzen. Auch die Jüngeren entdecken den Reiz der Rillen. Und von diesem Boom haben auch die Hersteller von Plattenspielern profitieren können.
Wer heutzutage Vinyl-Schallplatten auflegt, setzt ein Statement. Zum Analogen und zur Entschleunigung. Es geht um das Erlebnis, ein Musikalbum aktiv durchzuhören und sich nicht bloss durch die Playlist eines leblosen Streamingdienstes zu klicken.
Vinylplatten sterben nie
Ob der Vinyl-Hype dauerhaft ist, ist nicht sicher. Denn einerseits sind die Herstellungskosten durch Pandemie und Energiekrise explodiert, was sich sogar bei Media-Markt bei den Preisen bemerkbar macht. Andererseits realisieren die Konsumenten, dass das PVC, der Grundstoff für die Schallplatte, hauptsächlich aus Erdöl besteht. Immerhin ist die Branche daran, das Vinyl zu substituieren respektive durch rezykliertes Vinyl zu ersetzen.
Fazit: Die LP wird weiterhin Höhen und Tiefen erleben. Aber sterben wird sie nie.