«Über Fusionen nachdenken»
29.12.2023 Baselbiet, Gemeinden, Gesellschaft, RegionDer Regionen-Manager Gerry Thoenen geht in Pension
Gerry Thoenen war unter anderem in den vergangenen Jahren Geschäftsführer der «Region Oberbaselbiet», geht nun aber in Pension. Vom Landrat wünscht er sich mehr Dampf bei der Schaffung gesetzlicher Grundlagen, ...
Der Regionen-Manager Gerry Thoenen geht in Pension
Gerry Thoenen war unter anderem in den vergangenen Jahren Geschäftsführer der «Region Oberbaselbiet», geht nun aber in Pension. Vom Landrat wünscht er sich mehr Dampf bei der Schaffung gesetzlicher Grundlagen, damit der Kanton Gemeinden bei Fusionen unterstützen kann.
Andreas Hirsbrunner
Ende Jahr tritt mit Gerry Thoenen (65) einer altershalber von der öffentlichen Bühne ab, der im Baselbiet auf einem Feld Entwicklungshilfe leistete, das hier lange Brachland war – der Ebene der Regionen. Eine Ebene, die sich langsam, aber kontinuierlich zwischen die beiden politisch-administrativen Ebenen Kanton und Gemeinden zu schieben beginnt. Dass mit Thoenen ein Aargauer im oberen Kantonsteil als eine Art Geburtshelfer und im unteren zumindest als Impulsgeber die regionale Zusammenarbeit vorantrieb, war alles andere als ein Zufall: Der Kanton Aargau ist in Sachen Regionalpolitik weit voraus.
Thoenen hat allerdings das Thema regionale Entwicklung nicht gesucht, es fiel ihm viel mehr etwa so in den Schoss wie der Jungfrau das Kind. Denn nichts deutete beim gelernten Drogisten, der zwischenzeitlich auch Ambulanz- und Leichenwagen fuhr, darauf hin, dass er dereinst in den Kantonen Aargau und Baselland zu einem wichtigen Akteur auf diesem Gebiet werden sollte. Doch der Familienvater brauchte vor drei Jahrzehnten ein begleitendes Einkommensstandbein, als er sich für ein Studium der Soziologie, politischen Philosophie und deutschen Sprachwissenschaft an der Uni Basel entschied. Und dieses Standbein sollte eben die regionale Entwicklung werden.
Visionäre und Motoren fehlen
Zuerst arbeitete er als Student bei der regionalen Zusammenarbeit im Fricktal. Dazu sagt er rückblickend: «Das war Zufall, ich hatte das nie auf dem Radar. Dann zog es mir den Ärmel hinein und ich habe nach dem Studium die Geschäftsstelle der ‹Regio Fricktal›, die aus 41 Gemeinden bestand, übernommen.» Bald gesellte sich auch die Geschäftsführung der Hochrheinkommission, die die Zusammenarbeit zwischen dem Aargau und Baden-Württemberg förderte, dazu.
2011 machte sich Thoenen selbstständig und führte auf Mandatsebene die Geschäfte von Gebilden wie der Regionalkonferenz Jura Ost, welche die Haltung der Region dies- und jenseits des Rheins zur möglichen Lagerung von radioaktiven Abfällen am Bözberg einbrachte, oder des Gemeindeverbands Regio Zurzibiet rund um Zurzach.
Ans Baselbiet tastete er sich als Moderator von Veranstaltungen zur regionalen Zusammenarbeit im Laufen- und Leimental heran. Richtig Fuss fasste er dann im Kanton, als er im Jahr 2014 in den beiden Frenkentälern Projektleiter des «Modellvorhabens Nachhaltige Raumentwicklung» wurde. Das war ein vierjähriger, vom Bund massgeblich mitfinanzierter Planungsprozess mit Testplanung sowie Zukunfts- und Ergebniskonferenz. Dieser schuf das konzeptionelle Fundament, auf dem der später von elf Gemeinden gegründete Verein Liestal Frenkentäler plus aufbauen sollte.
Es blieb beim «sollte», wie die «Volksstimme» zum fünften Geburtstag des Vereins in diesem Frühsommer berichtete: Der Verein bäckt sehr bescheidene Brötchen. Auch Thoenens Begeisterung über die Entwicklung hält sich in engen Grenzen: «Es braucht bei solchen Regionalverbänden Leute mit Visionen, die auch als Motor wirken.» Urs Hintermann sei so einer bei «Birsstadt» gewesen und dieser Verein mit zehn beteiligten Gemeinden entlang der Birs sei heute am weitesten im Kanton. Auch Thomas Noack sei bei der Testplanung für die beiden Frenkentäler ein Visionär und «Chrampfer» gewesen, doch heute fehle dort wie auch bei anderen Regionen so ein Kopf.
Und Thoenen wird grundsätzlich: «Ich dachte früher, der Spruch ‹Mir wäi luege›, den man dem Baselbieter nachsagt, sei ein Klischee. Aber der stimmt, Himmelherrgott nochmal.»
Das letzte Gemeindeseminar
Wobei sich Thoenens Enttäuschung auf die Entwicklung in den beiden Frenkentälern beschränkt, wo der Schwung nach einer intensiven und spannenden Testplanung verloren gegangen sei. In der «Region Oberbaselbiet» sei nie mit so grosser Kelle angerührt worden, weshalb auch die Erwartungen kleiner seien. Dazu komme, dass der Verein kurz vor der Corona-Zeit gegründet worden und durch die Pandemie etwas aus dem Tritt geraten sei, sagt der Nochgeschäftsführer; per Ende Jahr gibt er den Stab weiter an Bettina Fischer.
Als letzten Akt organisiert er am 19. Januar ein Gemeindeseminar in Sissach – insgesamt sein 70. – als Auftakt für ein regionales Entwicklungskonzept. Thoenen sieht das als Chance, näher zusammenzuwachsen und einen Aufbruchsgeist zu schaffen. Auch der geplante Naturpark Baselbiet habe das Potenzial, zu einer Klammer für den oberen Kantonsteil zu werden, «falls es dieses Mal wirklich klappt».
Wenn eine regionale Zusammenarbeit gut funktioniere, entlaste das die beteiligten Gemeinden, führt Thoenen als wichtigsten Vorteil an. Im Baselbiet aber gebe es strukturelle Probleme mit Klein- und Kleinstgemeinden, bei denen die beste regionale Zusammenarbeit nicht ausreiche: «Hier führt kein Weg daran vorbei, über Fusionen nachzudenken.» Denn ein System mit Kleinstpensen in der Verwaltung und nicht besetzten Behördenämtern führe früher oder später zu Qualitätsverlusten. Thoenen: «Der Behördenmangel wird sich akzentuieren. Das beelendet mich, weil man es wahrnimmt und trotzdem nichts passiert.» Leider fehlten im Baselbiet die gesetzlichen Grundlagen, damit der Kanton die Gemeinden bei Fusionen unterstützen könne. Der Landrat scheine hier eher zu bremsen als zu schieben, so Thoenen.
Die Misere habe auch mit einer Besonderheit im Kanton Baselland zu tun. Hier arbeiteten zwei Drittel des Verwaltungspersonals beim Kanton und nur ein Drittel bei den Gemeinden. Im Kanton Aargau sei das Verhältnis umgekehrt und bei den meisten übrigen Kantonen etwa halb-halb. Das führe dazu, dass ein mächtiger Kanton schwachen Gemeinden gegenüberstehe.
Letztere schimpften zwar oft über den Kanton, aber bei Problemen riefen sie sofort nach ihm, statt sich selbst zu organisieren. Und Thoenen hält fest: «Die Zusammenarbeit erfolgt meistens überkommunal. Einzig bei der Raumplanung werden die fünf bestehenden Regionenvereine vom Kanton als Partner angesehen.» So solle es auch auf anderen Gebieten laufen: Der Kanton anerkenne die Regionen als Partner, die für ein Themenfeld mandatiert werden und Koordinationsaufgaben übernehmen, führt er weiter aus.
Künftig weniger Gemeinden?
Und was denkt Thoenen, wie der Kanton Baselland in 20 Jahren aussieht? «Die Regionenvereine sind stärker und es gibt weniger Gemeinden. Wenn es noch 80 statt der heute 86 sind, ist das schon beachtlich.» Gleichzeitig betont der erfahrene Regionen-Manager: «Ich bin kein Fusionsapostel, Zusammenschlüsse sind kein Allheilmittel. Auch grössere Verwaltungsverbünde können dazu beitragen, dass Gemeinden gut funktionieren.»
Dass er mit 65 Jahren in Pension gehe, hätte er sich nicht vorstellen können, sagt Thoenen. «Ich dachte, ich werde ewig arbeiten, weil ich es so gerne mache.» Freude habe er zwar noch immer – er werde sein Pensum auch nicht auf null herunterfahren –, aber eine Autoimmunerkrankung mit ständigem Fieber kostete ihn vor einiger Zeit viel Kraft, sodass er Zweifel hatte, ob er überhaupt bis zum ordentlichen Pensionierungsalter durchhalten könne. Deshalb stehen nun vor allem Tätigkeiten wie Velofahren, Lesen, Kochen und Backen auf seinem Programm, worüber sich auch seine Frau freuen dürfte.