Überleben in einer Betonwüste bei mehr als 40 Grad
04.12.2025 BaselbietBei uns noch nicht vorstellbar – oder doch?
Hitzewellen bescherten im Sommer grossen Teilen von Südeuropa hohe Temperaturen, Athen war mit Temperaturen von 45 Grad besonders betroffen. Wie gehen die Menschen damit um? Und was sollten wir davon lernen?
Heinz ...
Bei uns noch nicht vorstellbar – oder doch?
Hitzewellen bescherten im Sommer grossen Teilen von Südeuropa hohe Temperaturen, Athen war mit Temperaturen von 45 Grad besonders betroffen. Wie gehen die Menschen damit um? Und was sollten wir davon lernen?
Heinz Döbeli
Die Skala des Fieberthermometers, mit dem bei mir als Kind die Körpertemperatur gemessen wurde, hörte bei 42 Grad Celsius auf. Auf die Frage, warum er nicht auch noch höhere Temperaturen anzeigt, bekam ich die Antwort, dass man stirbt, wenn das Fieber noch höher steigt.
Unser Körper produziert Wärme, beim Sport mehr, beim Sitzen oder Liegen weniger. Um die Körpertemperatur konstant bei 37 Grad zu halten, muss gekühlt werden, und das geschieht mit Schwitzen. Das wirkt aber nur, wenn der Schweiss verdunsten kann. Je trockener die Luft ist, desto besser geht das. Das merkt man, wenn in einer Sauna Wasser auf die heissen Steine geschüttet wird. Die gefühlte Hitze steigt, man schwitzt mehr, der Schweiss tropft zu Boden statt auf der Haut zu verdunsten und zu kühlen.
Entscheidend ist die Kombination von Luftfeuchtigkeit und Temperatur. Bei 50 Prozent Luftfeuchtigkeit erträgt man 40 Grad, bei 68 Prozent 36 Grad und bei 100 Prozent nur noch 31 Grad. Diese Bedingungen kann der Mensch noch einige Stunden ertragen, dann wird er lethargisch und es droht der Kollaps, etwa durch Hitzschlag oder Herzinfarkt.
Stadtteil wie ein Backofen
Wie lebt es sich in einem Stadtteil, der im Sommer zum Backofen wird? Zum Beispiel in Kypseli, einem der bevölkerungsreichsten und am dichtesten besiedelten Stadtteile von Athen, drei Kilometer nordöstlich der Akropolis. Dort wohnt meine Schwägerin. Nach dem Hitzesommer von 2024 fragte ich sie, wie man Temperaturen von 40 Grad überlebt. «Wir hängen herum wie tote Fliegen und trinken literweise Wasser!» Schlimm sei es vor allem für betagte Personen.
Diesen Herbst waren wir wieder dort, aber auf meine gleiche Frage kam die erstaunliche Antwort, dass sie dank eines neu für das Publikum hergerichteten Parks mit dessen grossen Bäumen, den Blumen, einem Bächlein und den vielen Sitzgelegenheiten nun einen Zufluchtsort hätten, wo sie den Tag verbringen können.
Was heute eine grüne Lunge für die Anwohner ist, hat eine bewegte Vergangenheit. Im 19. Jahrhundert wurde Kypseli landwirtschaftlich genutzt. Es standen bereits einige Villen dort, auch zwei Bäche durchflossen das Gebiet. Später war ein Teil des Geländes militärischer Übungsplatz. Diese Fläche blieb deshalb frei, als ab dem Jahr 1930 der Rest von Kypseli dicht überbaut wurde. Bis vor wenigen Jahren war dieses Gelände unzugänglich, dann wurde es vom Militär nicht mehr gebraucht und der öffentliche Garten konnte angelegt werden. Viele freuen sich über die grüne Oase mitten in der Betonwüste, sogar die Schildkröten kehrten zurück. Einige Bewohner ärgern sich, weil wegen der Umgestaltung einige Parkplätze aufgehoben wurden.
Athen, Ziefen, Liestal, Luzern
Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt pro Person 9 bis 15 Quadratmeter öffentliche Grünfläche mit Bäumen, um die Gesundheit und das Wohlbefinden zu fördern. Athen hat aber nur 2,5 Quadratmeter pro Einwohnerin und Einwohner. Die Behörden sind sich dieses Problems bewusst. Sie gewichteten die Gesundheit der Bewohner höher als das Gewohnheitsrecht einiger Automobilisten und verwandelten die freie Fläche in einen öffentlichen Garten.
In der Schweiz ist so etwas komplizierter. Bei uns hat der Souverän (das Volk) das letzte Wort. In Ziefen beispielsweise musste vor 20 Jahren eine infolge Kalkablagerung verstopfte Röhre in der Kirchgasse ersetzt werden. Neben dem Ersatz der Röhre (Kosten: 320 000 Franken) wurde der Gemeindeversammlung auch eine Teiloffenlegung des dortigen Bächleins vorgeschlagen (Kosten: 275 000 Franken). Die Einwände gegen die Teiloffenlegung betrafen unter anderen die Verkehrsbehinderung und den Wegfall von Parkplätzen. Der Souverän entschied sich für die Teiloffenlegung und sparte damit Geld. Die Realisierung kam sogar etwas günstiger als veranschlagt. Ausserdem: Wasser lebt, kühlt und macht Freude.
In Liestal kostete die Umgestaltung der Rathausstrasse mehr, nämlich 3,9 Millionen Franken. Seit 2017 ist diese Strasse autofrei und ein Wohlfühlort. Wer es nicht selbst gesehen hat, kann sich nicht vorstellen, dass sich vor 70 Jahren der gesamte Verkehr, inklusive Tanklastwagen mit Anhänger, durch Liestals Tor quälten.
In Athen entschieden die Behörden für mehr Grün, in Ziefen wurde das Revitalisierungsprojekt im ersten Anlauf angenommen, in Liestal brauchte es drei Versuche.
Wie viele Versuche werden wohl in Luzern nötig sein? Dort lehnte der Souverän diesen September eine Initiative der jungen Grünen mit 58,5 zu 41,5 Prozent ab. Die Initiative hatte zum Ziel, vier Quartiere auf Kosten vieler Parkplätze zu begrünen.

