Tomate-Liebi
11.09.2025 PersönlichScho vo wyttem häi si hellrot glüüchtet. Okay lüüchten isch villicht biz übertriibe, aber me het die Tomaten uf däm Holzregal scho guet gsee. Si sy in däm dunkel beizte Regal vorme Gartehaag schön ufdrapiert gläge. Oobe sy Gumfigleeser gstande, ...
Scho vo wyttem häi si hellrot glüüchtet. Okay lüüchten isch villicht biz übertriibe, aber me het die Tomaten uf däm Holzregal scho guet gsee. Si sy in däm dunkel beizte Regal vorme Gartehaag schön ufdrapiert gläge. Oobe sy Gumfigleeser gstande, alli mit Stoffdeckel, so lyycht vergilbti, farbigi Stöffli mit nautische Mootiv druff, liebevoll mit ere zaggede Scheer usgschnitte. Uf däm Regal hets es Schild gha, wo mit ufgmoolter Schrift gross JAM gstanden isch und drunter «Oogst van eigen Erf» – «Ernte vom eigenen Hof» uf Holländisch. Zig Gumfigleeser sy so ufgräit gsi, alli uf holländisch mit em Vermerk «Texel» aagschriibe. Uf deeren Inslen ime Dörfli isch das Regal gstande, unden innen ebe die Tomate. Uf jeederen isch es chlyses, orangschs Pryys-Chlääberli druf kläbt mit Pryyse vo 70 Cent bis 1.20 Euro.
Ich chönnt jetz e paar aktuelli Anekdötli verzelle, bini doch erscht grad wiider zrugg von ere Wuche Familieferie z Nord-Holland. Do z Bayern goht d Schuel eben erscht Mitti Septämber wiider los. Wie toll euse Hund der Wind im Fääli gfunde het oder ass ichs jeedes Mol luschtig find, ass z Holland mit ere Gloggen oder an der Huustür lüte «bellen» heisst.
Aber i wett nomol zu däm Momänt aane zoome: Uf d Insle Texel in es winzigs Inseldörfli. Dört in es unspektakulärs Syyteströössli mit chlyyne dunkelbruune Bachstei-Hüüsli, meischtes ohni Vorhäng. Und vor eim Huus ebe das Gstell mit de Tomate mit dene Pryys-Chlääberli druff. Ich stell mir das denn immer gärn vor, wie so öppis entstoht. Do wohnt es älters Ehepaar, nenne mir se Wilhem und Gerritje, sy ärnten e Schwetti Tomaten us em Gärtli hinter ihrem Bachstei-Hüüsli. Schnäll isch klar, ass si die vor em Huus bi de Gumfene, wo d Gerritje liebevoll yykocht het, wäi verchaufe. So überlegge sy für jeedi einzelni Tomate e bassende Pryys. Der Wilhem schrybt denn mit syner akurate Schrift die chlyne Chlääberli aa und drückt se sorgfältig uf syni Ärnt.
Denn chunnt sone Bayrisch-schwyyzerischi Tourischtefamilie, wo im Verbyygoh amüsiert Tomate-Föteli macht. Mir häi eus scho chly gwunderet, ass überall Gmües und chaufbari Keramikkunscht vor de Hüüser umme stoht. Die Familie dräit äxtra nomol um und chauft e paar Tomate vom Regal. E paar Hüüser wyter ligge riise Zucchetti – uf Holländisch Courgette – in ere Schachtle mit eme «Gratis!»-Schild.
Spöter häi mer in euser Feriewohnig es feins Znacht mit em Gmües us de Gärtli vom Dorf kocht. Und mir häi drüber spekuliert, öb si die Tomaten ächt nid doch im Laade zum Aktionspryys kauft häi und sich jetz ins gschäftsdüchtige Füschtli lache. Aber my Maa het gmeint, das häige sy sich denn verdient. Mi hets aber dunkt, die Tomate sy eifach zue fein und fruchtig für so gwöhnlichi us em Laade. Si sy ämmel jeede liebevoll ufkläbte Cent wärt gsi.
Marianne Lindner-Köhler, 1981 im Baselbiet geboren und aufgewachsen, lebt mit ihrer Familie in München. Als Mary Long tritt sie auf bayerischen und Schweizer Poetry-Slam- und Kleinkunstbühnen auf.