Tauschen, handeln und ausbeuten
03.06.2025 PersönlichChrista Dettwiler
Internet und einer unheilbaren «déformation professionelle» sei Dank, klinke ich mich jeden Tag kurz in den galoppierenden Wahnsinn der grossen weiten Welt ein und trinke dazu meist kopfschüttelnd meinen Morgentee.
Die ...
Christa Dettwiler
Internet und einer unheilbaren «déformation professionelle» sei Dank, klinke ich mich jeden Tag kurz in den galoppierenden Wahnsinn der grossen weiten Welt ein und trinke dazu meist kopfschüttelnd meinen Morgentee.
Die Unverfrorenheit, mit der heutzutage um Macht, Reichtum oder Schlagzeilen gebuhlt wird, ist atemberaubend. Ganz besonders im nördlichen Teil unseres Kontinents, wo Pokern Politisieren abgelöst hat. Vor allem diese unsägliche Zollgeschichte hat mich ins Grübeln gebracht.
Handel ist doch eigentlich aus Überfluss entstanden. Wer mehr hat, als er braucht, versucht den Überfluss entweder zu tauschen oder zu verkaufen. Einer hat Wald, die andere macht Heu, diese hat Tiere, jener Apfelbäume. Ich pflücke Hagebutten für die Nachbarin, dafür erhalte ich Buttenmost oder frische Eier. Aus derart einfachen und schlüssigen Anfängen hat sich eine Weltwirtschaft entwickelt, die völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Die Kosten dafür tragen die Umwelt und jene Menschen, die im Poker um billigste Preise und stets erschöpftere Ressourcen nicht nur schlechte Karten haben, sondern gar nicht bis zum Spieltisch kommen.
Chile ist ein Paradebeispiel dafür, was eine solche Politik für Folgen hat. Das Land ist reich an Ressourcen, an fleissigen, geschickten Menschen. Als Präsident Salvador Allende in den 1970er-Jahren begann, die Kupferindustrie, die sich grösstenteils in USamerikanischen Händen befand, wieder in staatlichen Besitz zu nehmen, besiegelte er auch gleich ihr Ende. Die USA schlugen mit einem Handelsembargo zurück und taten alles, um den linken Allende loszuwerden. Mit ihrer Unterstützung führte Augusto Pinochet den Militärputsch an, sperrte Gegner ein, folterte, tötete. Gleichzeitig wurde der nationale Reichtum weitgehend privatisiert, die Natur geplündert. Die von Milton Freedman begeisterten «Chicago Boys» – Ökonomen, die als Politiker auftraten – taten dann den Rest.
Heute ringen die Menschen immer noch mit den Folgen. Wasser bleibt privatisiert, wer zahlen kann, kontrolliert quasi den Wasserhahn, mit entsprechenden Folgen für Kleinbauern. Aktuell proben die «pescadores artesanales», die in Kooperativen organisierten Kleinfischer, den Aufstand. Die Regierung versucht seit vergangenem Jahr, die Fangquoten zulasten der Industriefischerei zu verändern. Aber die rechte Mehrheit blockt das Gesetz im Senat ab.
Der Run auf die Seltenen Erden in Chile geht erst so richtig los, seit neue Vorkommen entdeckt worden sind. Elon Musk ist schon ganz gierig darauf. Man kann nur hoffen, dass die jetzige Regierung noch Zeit hat, um den Abbau einigermassen umweltverträglich zu gestalten. Wenigstens ist die Köhlerei hier im Süden noch in privater Hand und erlaubt Kleinbauern mit Holzkohle etwas Kohle zu machen.
Die Journalistin Christa Dettwiler ist 2022 gemeinsam mit ihrem Sohn und dessen Ehefrau von Rünenberg nach Chile ausgewandert. Sie erzählt regelmässig von ihrem Alltag.