Tanzen, Feiern und noch einmal davonkommen
17.10.2025 GesellschaftAm 18. September feierte Chile sich selbst. Die «Fiestas Patrias» zelebrieren den Tag, an dem Chile die Unabhängigkeit von Spanien erlangte. Obwohl die Feierlichkeiten auf zwei Tage angesetzt sind, nehmen viele Chilenen sie zum Anlass, vier Wochen durchzufeiern. Und das in einem ...
Am 18. September feierte Chile sich selbst. Die «Fiestas Patrias» zelebrieren den Tag, an dem Chile die Unabhängigkeit von Spanien erlangte. Obwohl die Feierlichkeiten auf zwei Tage angesetzt sind, nehmen viele Chilenen sie zum Anlass, vier Wochen durchzufeiern. Und das in einem Land, das von offiziellen Feiertagen nur so strotzt.
Die Unabhängigkeit ist noch gar nicht so lange her, gerade einmal 215 Jahre. So klingen in einem zentralen Element der Feierlichkeiten noch durchaus spanische Töne an: im traditionellen Tanz «Cueca». Der Mann, gestiefelt und gespornt, mit Hut und Poncho, nähert sich der Dame im weiten Rock an, entfernt sich, nähert sich. Beide tänzeln und stampfen und schwingen weisse Tüchlein. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass sie sich schon von Anfang an einander ergeben …
Musik, Tanz und Umzüge sind jedoch höchstens Begleiterscheinungen zur wichtigsten Aktivität der Nationalfeierlichkeiten: Essen und Trinken. Die Legende sagt, Chilenen nähmen während dieser Zeit um die drei Kilo zu, und in den Läden sind die Fleischtheken leergekauft. So hängen auch bei unseren Nachbarn gleich zwei gehäutete Rinder zwischen den Bäumen.
Viele Läden führen während des ganzen Monats September Verlosungen durch. Meistens gibt es einen Grill zu gewinnen. Auch in unserem Gemüseladen. Der Hausschlosser hat ein wahres Monstrum aus zwei halben Metallfässern mit Rädern und ausklappbaren Griffen zusammengeschweisst. Ein wahres Prachtstück.
Auch sind alle Läden ausgiebig mit Girlanden, Fahnen und Lampions in den chilenischen Nationalfarben geschmückt. Vor jedem Wohnhaus weht ebenfalls die chilenische Flagge. Das ist Vorschrift. Es ist nicht nur gesetzlich angeordnet, eine Fahne aufzuhängen, sie darf auch nur auf ganz bestimmte Weise aufgehängt werden, sonst droht ein Bussgeld von rund 50 Franken.
Allerdings wird dieses Gesetz nicht sonderlich nachhaltig durchgesetzt. Die Polizei drückt auch einmal ein Auge zu. So wie bei mir. Kürzlich bin ich zum dritten Mal in eine Verkehrskontrolle geraten. Diesmal konnte ich mich nicht so einfach herausreden. Der Beamte wusste besser Bescheid als die anderen. Mein Schweizer Fahrausweis ist hier nicht gültig, denn es gibt zwischen beiden Ländern kein entsprechendes Abkommen. Und das wusste der Mann überraschenderweise.
Ich erklärte ihm, dass ich nach wie vor auf mein definitives Visum warte und deshalb keinen chilenischen Fahrausweis erwerben könne. Im Übrigen eine so komplizierte Prozedur, dass mir jetzt schon davor graut. Nach etwas Hin und Her und einem genauen Blick auf Yvonne und den Chnöpperli auf dem Rücksitz, entschied er sich, mich ohne Busse davonkommen zu lassen, und meinte: «Ja, gut, dann fahren sie einfach nicht so oft und nicht so weit.» Ich hätte ihn küssen können.
Die Journalistin Christa Dettwiler ist 2022 gemeinsam mit ihrem Sohn und dessen Ehefrau von Rünenberg nach Chile ausgewandert. Sie erzählt regelmässig von ihrem Alltag.