Surferin im Haifischbecken
23.10.2025 RegionBeatrice Stirnimann steuert die «Baloise Session» durch schwierige Gewässer
Dieser Tage findet die «Baloise Session» zum 40. Mal statt. CEO Beatrice Stirnimann, die in Liestal aufwuchs, holt mit ihrem Team nationale und internationale Musikgrössen in die ...
Beatrice Stirnimann steuert die «Baloise Session» durch schwierige Gewässer
Dieser Tage findet die «Baloise Session» zum 40. Mal statt. CEO Beatrice Stirnimann, die in Liestal aufwuchs, holt mit ihrem Team nationale und internationale Musikgrössen in die Event-Halle der Messe Basel. Das ist in den vergangenen Jahren nicht einfacher geworden.
Marianne Ingold
«Ich höre ‹drei, zwei, eins› – dann gehe ich raus auf die Bühne.» An jedem Konzertabend der «Baloise Session» begrüsst Festivalorganisatorin und CEO Beatrice Stirnimann persönlich das Publikum und sagt die auftretenden Künstlerinnen und Künstler an. Das sei im Unterschied zu ihrem Vorgänger Matthias Müller nicht ihre Lieblingsbeschäftigung. Nach seinem Tod 2016 sei ihr jedoch klar gewesen, dass sie trotz Bühnenangst seine Rolle übernehmen würde, erzählt Stirnimann: «Das Festival braucht ein Gesicht. Es ist wichtig, dass mich Publikum und Sponsoren kennen.»
Mittlerweile hat sie sich ans Auftreten gewöhnt. Dabei geholfen haben ihr Moderationscoach Roger Thiriet und Ex-FCB-Trainer Christian Gross, dessen Tipp lautete: «Kneif die Pobacken zusammen!», sowie ein kleines Ritual: «Vor jedem Bühnenauftritt trinke ich ein Gläschen Whisky. Abgesehen davon konsumiere ich praktisch keinen Alkohol – und Whisky schon gar nicht.»
An einem Konzerttag ist Beatrice Stirnimann rund um die Uhr im Einsatz: Am Morgen sitzt sie beim Coiffeur und erledigt Büroarbeit. Danach begrüsst sie die Stars des Abends am Flughafen, im Hotel oder am Veranstaltungsort. Bis zu deren Auftritt kümmert sie sich um Interviews, Foto-Shootings und andere Termine. Manchmal müssen vor einem Konzert noch letzte Verträge unterschrieben oder Gagen gezahlt werden. «Ich bin einfach da, falls es auf oder hinter der Bühne Probleme gibt, und sorge für gute Vibes», fasst sie ihre Rolle zusammen. Nach der Türöffnung begrüsst sie die geladenen Gäste, geht bei Abendhelferinnen und -helfern vorbei und mischt sich unters Publikum, bevor sie es von der Bühne aus begrüsst. Und nach Konzertende kann es früher Morgen werden, bis die Bands verabschiedet sind.
Ein permanenter Prozess
Kaum sind die drei Konzertwochen im Oktober und November vorbei, wird abgebaut und nachbearbeitet. Jedes Jahr produziert die «Baloise Session» einen Kalender mit Porträtfotos der aufgetretenen Künstlerinnen und Künstler. Von allen muss das Gut zum Druck eingeholt werden. Nach dem Versand fährt Beatrice Stirnimann in die Ferien und arbeitet von dort aus am Programm für das kommende Jahr. Wenn ihre Mitarbeitenden zwischen Weihnachten und Neujahr frei haben, räumt sie ihr Büro auf, macht die Buchhaltung und bereitet den Geschäftsabschluss vor.
Im Frühling reist sie zu Musikagenturen in den USA und England, um Bands für das darauffolgende Festivaljahr zu gewinnen. Auch Konzertausstrahlungen gilt es zu verhandeln, denn an der «Baloise Session» gilt die Regel: «No TV, no show.» Wer nicht gefilmt werden will, tritt nicht auf. Im Sommer steht das Netzwerken im Vordergrund: «Ich treffe viele Leute, um sie für das Festival zu begeistern», sagt sie. «Danach stehe ich schon wieder voll unter Strom, um das Programm fertigzustellen.» Parallel dazu werden die Werbekampagne und der Aufenthalt der Bands in Basel vorbereitet. Nach der Medienkonferenz startet der Ticketverkauf, und dann beginnt bereits das nächste Festival. «Es ist ein permanenter Prozess mit hohem Druck», sagt Stirnimann.
Zum Ausgleich macht sie viel Sport: Crossfit, Yoga, Windsurfen und Wingfoilen. Auch am jährlichen «Swiss Economic Forum» kann sie auftanken: Dort unterhält sie sich mit anderen Unternehmerinnen und Unternehmern über ganz andere Themen als über ihr Festival. Ihr langjähriger Partner hat als Medizintechnik-Ingenieur nichts mit der Musikbranche zu tun: «Sonst würde es nicht gehen», meint sie. Auch den Bezug zum Baselbiet behält sie, obwohl sie schon lange in der Stadt wohnt: Sie geht an die Liestaler Fasnacht, zum Essen auf die Sissacher Fluh, trifft sich mit alten Schulfreundinnen oder erholt sich beim Wandern oder Velofahren auf dem Land.
Stirnimann wuchs auf dem Areal der Brauerei Ziegelhof in Liestal auf, wo ihr Vater arbeitete. Nach der Schulzeit und einem Au-pair-Jahr in Lausanne begann sie eine Lehre als Hotelfachassistentin im «Bad Bubendorf», musste in den ersten beiden Monaten Berge von Tellern abwaschen und war unglücklich. Sie brach ab, verkaufte drei Monate lang in der «Rheinbrücke» in Liestal Lampen, Kaffeemaschinen sowie Staubsauger und leistete sich mit dem verdienten Geld einen dreimonatigen Sprachaufenthalt in England, bevor sie in eine KV-Lehre wechselte und später an der Fachhochschule Betriebswirtschaft studierte. Einige Jahre später folgte ein Nachdiplomstudium in Kommunikation.
Bereits als Studentin kam Stirnimann über Bekannte zur damaligen «Rheinknie Session», kontrollierte als Abendhelferin Billette, wies Plätze an und lernte dabei das Festivalteam kennen. Ein erstes Job-Angebot der «Session» schlug sie aus, weil sie bereits bei einer anderen Firma unterschrieben hatte. Fünf Jahre später, 1999, wurde eine Stelle als Marketingleiterin frei: «Im Bewerbungsgespräch fragte mich Matthias Müller, ob ich überhaupt irgendwo länger bleiben könne. Ich antwortete: ‹Wenn ich das Richtige finde, kann ich dort ganz lange arbeiten›», erzählt Beatrice Stirnimann. «Und das hat sich ja bewahrheitet.»
Glück, Geschick und Geld
Heute hat Stirnimann als Konzertveranstalterin, CEO, Aktionärin und Verwaltungsratsmitglied der Trägerfirma die Hauptverantwortung für die «Baloise Session» inne. Diese Aufgabe ist mit den Jahren nicht einfacher geworden. Weltweite Krisen stellen ein grosses Risiko dar. Anspruchsvoll sind auch die Umwälzungen in der Musikbranche: Börsenkotierte Unternehmen kaufen Künstlervermittlungsagenturen, Konzertveranstalter und Hallen auf. Viele Bands werden nur noch innerhalb dieser Grosskonzerne vermittelt. «Es ist ein Haifischbecken geworden», sagt Stirnimann. «Als kleiner, unabhängiger Veranstalter wie wir braucht es Glück, um überhaupt noch jemanden zu bekommen. Aber wir schaffen es immer wieder!» Nötig dafür seien ein guter Ruf, Verhandlungsgeschick und ab und zu ein höheres Angebot.
Den betriebswirtschaftlichen Hintergrund kann Stirnimann in ihrem Job gut brauchen: «Man muss hier mit Zahlen umgehen können», sagt sie. Die «Baloise Session» ist kleiner und intimer als grosse Open Airs: «Bei uns sitzt man bei Kerzenlicht an einem Klubtisch.» Das bedeutet eine geringere Anzahl Ticketverkäufe bei gleich hohem finanziellem Aufwand: «Oft verlangt eine Band dasselbe, egal, ob sie vor 50 000 Leuten auftritt oder vor 1500 wie bei uns.» Die «Baloise Session» ist denn auch auf zusätzliche Sponsoren und auf eine Auslastung von mindestens 95 Prozent angewiesen: «Wir müssen unsere Konzerte ausverkaufen», betont Stirnimann. Dazu müssen die Künstlerinnen und Künstler genügend bekannt und erfahren mit Auftritten auf einer grossen Bühne sein. Eine Chance bei der Suche nach geeigneten Acts sind die Sozialen Medien: «Ich bin häufig auf Instagram, Tiktok, Spotify und Youtube», sagt Stirnimann. So stiess sie vergangenes Jahr auf die damals 18-jährige Sängerin Jacotène aus Australien: «Ich war begeistert und wir haben sie gebucht.»
Geerdet und ausdauernd
Trotz ihrer «Tellerwäscherinnen»- Karriere ist Beatrice Stirnimann auf dem Boden geblieben: «Ich bin eine realistische Person und weiss, wo ich herkomme. Bei Bedarf wasche ich im Backstage-Bereich auch einmal Gläser ab.» Diese Haltung vorzuleben, sei für sie als Chefin wichtig: «Dann ist auch der Teamspirit anders.» Um ihre Ziele zu erreichen, habe sie sehr viel Ausdauer: «Ein Nein ist für mich ein Ansporn, um es nochmals zu versuchen.» Sie müsse auch immer offen sein für Neues, um das Festival weiterzubringen. Die Liste mit Musikerinnen und Musikern, die sie noch nach Basel holen möchte, ist lang.
Anlässlich des 40-Jahre-Jubiläums der «Baloise Session» wird auch der Youtube-Kanal des Festivals ausgebaut. Fehlende Ausstrahlungsrechte werden eingeholt, damit möglichst alle früheren Konzerte aufgeschaltet werden können. Derzeit noch offen ist, ob und wie sich die geplante Fusion von Baloise und Helvetia auf die «Baloise Session» auswirken wird. Dazu sagt Stirnimann: «Mit den Basler Versicherungen haben wir einen Vertrag, der bis 2029 läuft, und seit 1998 eine tolle Partnerschaft. Ich hoffe natürlich, dass wir diese weiterführen können.»

