«Stärken, was sich stärken lässt»
21.11.2025 BaselbietIG «Lebendige Traditionen» will Vereine und die Volkskultur stützen
Viele Vereine der Laienkulturszene kämpfen mit Mitgliederschwund oder Geldsorgen. Die Interessengemeinschaft Lebendige Traditionen Baselland (IG-LT BL) will ihnen helfen. Wie, erzählen ...
IG «Lebendige Traditionen» will Vereine und die Volkskultur stützen
Viele Vereine der Laienkulturszene kämpfen mit Mitgliederschwund oder Geldsorgen. Die Interessengemeinschaft Lebendige Traditionen Baselland (IG-LT BL) will ihnen helfen. Wie, erzählen Präsident Andreas Wirth und Geschäftsleiter Patric Fasel.
Carolina Mazacek
Herr Fasel und Herr Wirth, was versteht man eigentlich unter «lebendige Traditionen»?
Andreas Wirth: Es geht um Traditionen, Brauchtum und Praktiken, die von Generation zu Generation weitergegeben werden und uns ein Gefühl von Identität und Kontinuität vermitteln. Diese gilt es zu achten und mit Lust und Freude weiterzupflegen. Auch die Offenheit zur Weiterentwicklung wird entscheidend sein für die Sichtbarkeit der lebendigen Traditionen in der Zukunft. Deshalb haben wir den Slogan «Tradition lebt, Kultur bewegt» in unser Logo aufgenommen. Das heisst, wir bleiben nicht stehen.
Warum ist Laienkultur wichtig?
Wirth: Die Laienkultur ist äusserst facettenreich. Sie reicht vom Schwingen und Hornussen bis zum Volkstanz, Jodel oder Musikverein. Wir tanzen, singen und musizieren gemeinsam. All diese Aktivitäten tragen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei. Es spielt dabei keine Rolle, wo die Menschen und ihre Traditionen herkommen. Das Bestreben ist es, ein tolerantes Miteinander aller im Baselbiet gelebten Traditionen zu fördern.
Welche Rolle spielen andere Kulturen in der Schweiz?
Wirth: Das ist eines der Ziele: die Möglichkeit für multikulturelle Zusammenarbeit zu schaffen. Wie können wir alle ins Boot holen, damit ein Austausch zwischen Schweizer Kultur und anderen Kulturen stattfindet?
Herr Wirth, wie kam es zu dem Wunsch, eine Interessengemeinschaft zu gründen?
Wirth: In allen Kantonen der Schweiz gibt es ein offizielles Förderprogramm für die Profikultur, für die Laienkultur sind die Grundlagen der Förderung und die zur Verfügung stehenden Mittel vergleichsweise bescheiden. Deshalb haben die Vertreterinnen und Vertreter von Vereinen und Verbänden ab dem Jahr 2019 im Rahmen des Strukturentwicklungsprozesses «mini Tradition läbt» mit Amtsträgern aus dem Kulturbereich diskutiert, wie die Laienkultur nachhaltig im Baselbiet gefördert werden kann. Dabei kristallisierten sich die folgenden Herausforderungen heraus: Finanzierung, Netzwerk, Information, Mitglieder- und Nachwuchswerbung sowie Kommunikations- und Öffentlichkeitsarbeit. Die IG-LT BL setzt damit um, was die Vereine und Verbände gefordert haben.
Worum geht es konkret in der geplanten Förderstrategie?
Wirth: In der Schweiz kommt ein Grossteil der Kulturfördergelder der Profikultur zugute. Die Laienkultur erhält trotz ihrer rund 400 000 Aktiven einen vergleichsweise kleinen Anteil. Wir möchten, dass die Vereine konsistent und gut gefördert werden. In den letzten Jahren haben wir viele unserer Ziele erreicht.
Wie ist IG Lebendige Traditionen organisiert?
Wirth: Wir sind ein Verein, der eine Geschäftsstelle betreibt. Vom Swisslos Fonds Baselland haben wir eine Anschubfinanzierung für drei Jahre erhalten. Ziel ist, die lebendigen Traditionen in Bezug auf nachhaltige Unterstützung und Förderung voranzubringen.
Was meinen Sie mit nachhaltig?
Wirth: Erstens ist es wichtig, dass die Volkskultur weiter gepflegt wird und sich auch weiterentwickelt. Zweitens ist es entscheidend, dass es Nachwuchs und Mitglieder gibt. Und drittens ist es wichtig, dass die Leute Interesse daran haben und zu den Veranstaltungen kommen.
Was heisst das konkret?
Wirth: Unser Ziel ist es nicht, dass die Vereine von uns abhängig werden. Deswegen ist die Selbstermächtigung der Leute wichtig. Wir vermitteln ihnen das nötige Wissen und die Fähigkeiten, damit sie alle Hürden selbst bewältigen können. Wir sind auch eine Plattform, auf der sich die Vereine treffen und über Probleme und Lösungen austauschen können.
Wie kommt man darüber hinaus zu Lösungen?
Wirth: Wir haben eine Vision, die sich in mehrere Bereiche unterteilen lässt. Die Bedeutung der IG Lebendige Traditionen wird auf jeder politischen Ebene breit akzeptiert und geschätzt, sodass dieses Angebot als wichtiger Teil wahrgenommen wird. Die Vereine sollen in jeglicher Hinsicht erfolgreich sein. Die Geschäftsstelle hat sich etabliert und die IG Lebendige Traditionen ist als Vertreterin der Vereine anerkannt.
Die Vision ist ambitioniert. Wie wollen Sie sie umsetzen?
Wirth: Wir schauen, was die Vereine brauchen, und passen unser Angebot entsprechend an. Mit unserem Input möchten wir ihnen helfen, ihre Herausforderungen zu bewältigen. Sei es, indem sie sich strukturell gut organisieren, ihre Aktivitäten Zulauf haben, eine gute Nachwuchsförderung betreiben oder sich weiterentwickeln, beispielsweise durch Fusionsprojekte zwischen verschiedenen Vereinen. Dazu möchten wir beitragen, etwa durch Workshops und Kurse, Austauschplattformen oder mehr Sichtbarkeit in den Sozialen Medien und auf der Website.
Herr Fasel, was hat Sie dazu bewogen, die Leitung der Geschäftsstelle zu übernehmen?
Patric Fasel: Es ist eine spannende Herausforderung, eine selbsttragende Geschäftsstelle von Grund auf aufzubauen. Mein Hintergrund ist nicht musikalisch oder traditionell, sondern in der bildenden Kunst und der Bildung. Das Thema Lebendige Traditionen empfinde ich als ein spannendes Arbeitsfeld. Man weiss oft nicht, warum eine Tradition existiert, aber man hat oft eine Ahnung davon, welche Konsequenzen ihr Verlust hätte. Gerade in unserer heutigen Zeit, in welche der soziale Zusammenhalt vielerorts bröckelt, ist es wichtig, das zu stärken, was sich stärken lässt. Und hier kommt die IG ins Spiel.
Welche Bedeutung haben junge Menschen in der Laienkultur?
Fasel: Die jungen Menschen sind die, welche unsere Traditionen in die Zukunft tragen. Heute sind Junge oft globaler vernetzt, deshalb ist das Lokale oft weniger präsent. Somit sind die Schule und die Sozialen Medien zentrale Orte, wo man sie abholen kann. Deswegen planen wir, Unterrichtsmaterial und Angebote für die Schulen zur Verfügung zu stellen.
Wirth: Es soll noch vermehrt ein multikultureller Austausch stattfinden, indem an der Schule ein Tanz aus Serbien oder ein Lied aus der Ukraine aufgeführt wird.
Wie können Vereine ihre Mitgliederstruktur so gestalten, dass sie langfristig bestehen können?
Fasel: Wenn ein Verein keine jungen Menschen hat, ist er nicht nachhaltig. Deshalb bemühen sich viele Vereine um den Nachwuchs.
Wirth: Viele vergessen jedoch die Altersgruppe der 40- bis 60-Jährigen, die in manchen Vereinen weniger vorhanden ist. Hier sehe ich auch aufgrund der demografischen Entwicklung Potenzial für die Zukunft.
Wo besteht Ihrer Meinung nach noch Handlungsbedarf?
Wirth: Es stellt sich die Frage, wie das Vereinswesen gestaltet werden muss, damit die zuvor genannten Herausforderungen erfolgreich gemeistert werden können. Wir als Geschäftsstelle und Vorstand können diese Änderungen, sei es eine grundlegende Reform des Vereins oder eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Vereinen, nicht direkt umsetzen. Unsere Aufgabe ist es vielmehr, die Vereine und Verbände zu unterstützen, damit sie ihren eigenen Weg finden, um erfolgreich zu sein und ihre Bedürfnisse zu erfüllen.
Zu den Personen
cam. Patric Fasel (1987) hat Kunst und Kunstpädagogik studiert und war jahrelang an einer Hochschule in den Bereichen Lehre, Programmleitung und Kunstvermittlung tätig. Heute arbeitet er für die IG Lebendige Traditionen Baselland, wo er sich für die Förderung und Vernetzung kultureller Akteure engagiert. Nebenbei betreibt er eine kleine Bierbrauerei und widmet sich seiner unabhängigen Forschung zum Thema Leadership.
Andreas Wirth (1961) hat Pharmazie studiert und ist seit 1979 Volkstanzleiter in verschiedenen Gruppen mit einem schweizerischen und internationalen Repertoire. Er war 30 Jahre bei der Schweizerischen Trachtenvereinigung (STV) tätig. Aktuell ist er Vizepräsident der Interessengemeinschaft Volkskultur (IGV), Gastdozent Volkstanz an der HSLU, Präsident der IG Lebendige Traditionen BL und leitet die Trachtengruppe Waldenburgertal.

