Steine im Bauch
11.06.2025 PersönlichWie freute ich mich als Knabe immer auf die Sommerferien. Baden, frei, Wald, Fussball mit Freunden. Und vielleicht wieder Jesolo. Nicht zu vergessen die frischen Kirschen, an denen ich mich nie satt essen konnte. Während heute die Kirschenernte bereits vor der Tür steht, verknüpfte ...
Wie freute ich mich als Knabe immer auf die Sommerferien. Baden, frei, Wald, Fussball mit Freunden. Und vielleicht wieder Jesolo. Nicht zu vergessen die frischen Kirschen, an denen ich mich nie satt essen konnte. Während heute die Kirschenernte bereits vor der Tür steht, verknüpfte ich die süssen Früchte damals noch klar mit dem Beginn der Ferien. Half ich mal beim «Günnen», schafften die meisten Kirschen den Weg vom Zweig zum Chratten nicht.
In Florian Schneiders Lied verspeist der Schanggi vom Untere Biel, wohl des Reimes willen, die Kirschen «mit Stäi und mit Stiil». Ich beliess und belasse es bis heute hingegen bei den Steinen. Ihnen wird immer eine Abenteuerfahrt durch meinen Verdauungstrakt gegönnt. Alle Warnungen, der Stein könne sich auf dieser fast acht Metern langen Achterbahnfahrt verirren und im Blinddarm landen, schlug (und schlage) ich ebenso in den Wind wie alles andere, was ein gesteigerter Kirschenkonsum auch noch anrichten könnte. Mich würden sie an der Steinspucker-Olympiade auf dem Dietisberg glatt in Arrest schicken wegen Verschwendung von Munition.
Doch da lauern ja noch ganz andere Gefahren: Die Warnung meiner Mutter, mir wüchsen wegen zu viel Fussball am Fernseher quadratische Augen, tat ich als mittelmässigen Spass ab. Selbst die eher nachvollziehbare Mahnung, nach dem Training die Haare zu trocknen, um die drohende Hirnhautentzündung abzuwenden, nahm ich selbst im Winter nie ernst. Um mit meinen Mitspielern um die Poleposition vor dem Garderobenspiegel zu balgen, fehlten mir Zeit, Lust und Eitelkeit. Zudem legt der Fahrtwind auf dem Mofa eine so schnittige Frisur, wie sie Kamm und Föhn im Verbund nie schaffen.
Solche Ammenmärchen denken sich nicht nur die Mütter aus, sondern auch Fussballtrainer. Stopp, hiess es beim Pausentee. «Mehr als ein Becher gibt Steine in den Bauch», warnt der Experte. Da hatten wir sie wieder, diese Steine im Bauch, die schon dem grimmigen Wolf bei Rotkäppchen und seinem Oma zum Verhängnis wurden. Als dann Jahre später im Fussball die Zeit anbrach, in der sich die Spieler pausenlos die Flaschen zuwarfen und dabei fast das Kicken vergassen, löste sich in mir das einzige Ammenmärchen, dem ich je auf den Leim gegangen bin, in Luft auf. Auch die Zahl 13 verursacht bei mir selbst an einem Freitag nie Unbehagen. Es sei denn, ich trug sie im Fussball als Rückennummer, die immer Ersatzbank bedeutete. Und heute verspricht uns diese Zahl sogar einen zusätzlichen Monatslohn.
Doch zurück zum Strand in Jesolo. Wir tobten uns im Meer aus, die Augen vom Salz gerötet. Kurz mal schutten, dann flugs ins Wasser zurück. Als die Sonne zu ihrer Höchstform auflief, befahl uns die Mutter zum Zmittag. Es gab Tomaten mit Aromat drauf, Wassermelonen und Brot mit Mortadella sowie zum Dessert ein einstündiges Badeverbot. Der Magen benötige alle Energie zum Verdauen. Wer jetzt ins Wasser gehe, gehe unter wie – richtig – ein Stein. Und so übten wir Vernunft und lagen eine Stunde lang in der prallen Sonne.
Jürg Gohl ist Autor «Volksstimme» und Kulturpreisträger des Kantons Baselland 2025