«So ein Entscheid verdient grosse Sorgfalt»
06.11.2025 BaselbietPeter Weber begleitet Gemeinden auf dem Weg zu einer Fusion
An sieben Gemeindefusionsprojekten hat Peter Weber bereits mitgewirkt. Aktuell begleitet er jenes von Rünenberg, Kilchberg und Zeglingen («Rü-Ki-Ze»). Sein wichtigstes Ziel ist nicht eine vollzogene Fusion, sondern eine objektive und neutrale Auslegeordnung als Entscheidungsgrundlage.
Christian Horisberger
Herr Weber, am 11. November werden Sie in Rünenberg für die Prüfung einer Gemeindefusion werben …
Peter Weber: … Ich möchte klarstellen, dass ich für nichts werbe. Es geht mir darum, die möglichen Auswirkungen einer Fusion aufzuzeigen, gemeinsam mit den Gemeinderäten. Am kommenden Dienstag wird es mein Part sein, die Ergebnisse des Grundlagenberichts von 2024 aufzuzeigen, der beschreibt, wo die drei Gemeinden stehen.
Sieben Fusionsprojekte haben Sie bisher begleitet, vom ersten, der 2010 aus fünf Dörfern entstandenen Gemeinde Mettauertal, wurden Sie Gemeindeammann. Was hat die Fusion dort im positiven Sinne bewirkt?
Vier der fünf Gemeinden waren mausarm und mit ihren Steuerfüssen im Kanton Aargau am obersten Limit. Heute haben wir eine gut funktionierende Verwaltung mit geregelten Stellvertretungen. Die Gemeinde hat die Bau- und Nutzungsplanung revidiert, Bauland erworben und als Einfamilienhausparzellen verkauft. Seit der Fusion wuchs die Gemeinde von 1800 auf 2200 Einwohnerinnen und Einwohner, die Steuerkraft wuchs dank zugezogener guter Steuerzahler um 1000 Franken pro Einwohner und der Steuerfuss ist auf einem vernünftigen Niveau – wenn auch immer noch über dem kantonalen Durchschnitt. Mettauertal ist schuldenfrei, hat ein Vermögen von drei Millionen Franken und hatte nie Probleme, Gemeinderäte zu finden.
Welche Befürchtungen haben sich bewahrheitet – im Speziellen betreffend Identitätsverlust und geringeren Einfluss einzelner Dorfteile?
Eine einzige: Partikularinteressen lassen sich nicht mehr so leicht durchsetzen wie früher. Die Gemeindeversammlung von Mettauertal, im Durchschnitt sind es 100 bis 150 Personen, betrachtet das Gesamte. Konnte zum Beispiel der Turnverein eines Dorfs die von ihm gewünschte Sanierung der Turnhalle an der Gemeindeversammlung früher durchdrücken, bringt er die dafür nötigen Leute nun nicht mehr zusammen. Oder wenn es um Erschliessungsbeiträge geht, reicht es auch nicht mehr, wenn sich Betroffene zusammentun, um dagegen zu opponieren.
Die Gemeindefinanzen sind bei Fusionen ein starker Antrieb. Der Kanton Aargau ist sehr spendabel, während im Baselbiet erst eine Vorlage in Arbeit ist, wonach Gemeinden für Fusionen Kantonsbeiträge erhalten sollen – aber nur einen Bruchteil dessen, was der Aargau springen lässt. Reicht dieser Anreiz aus?
Nein. Aber die zur Debatte stehende Pauschale von 300 000 Franken pro beteiligte Gemeinde genügt, um die durch den Vollzug einer Fusion entstehenden Kosten zu decken. Kommt die Vorlage durch, so wäre dies ein erster Schritt; ein Zeichen, dass der Kanton dazu beiträgt. Hat das Baselbiet einmal eine gesetzliche Grundlage für die Unterstützung von Fusionen, kann diese aufgrund der gemachten Erfahrungen angepasst werden. Daher ist es gut, den Spatz in der Hand zu nehmen, statt die Taube auf dem Dach zu wollen, die nicht kommt.
Was hat der Kanton Aargau von den vielen Millionen, die er in Gemeinden pumpt, die fusionieren?
Sehr viel. Ich bin davon überzeugt, dass die 15 Millionen, die Mettauertal vom Kanton bekommen hat, inzwischen zurückgeflossen sind: in Form von zusätzlichen Steuereinnahmen und einem tieferen Verwaltungsaufwand durch die geringere Anzahl Ansprechpartner. Nicht zu vergessen die höhere Effizienz bei gemeindeübergreifenden Infrastrukturprojekten des Kantons. Eine Umfahrung zum Beispiel kann am Nein von nur einer betroffenen Gemeinde scheitern. Sind die Räume grösser, muss der Kanton weniger Partner ins Boot holen.
Aufgrund positiver Erfahrungen dürften Gemeindefusionen im Aargau mehrheitlich als Chance betrachtet werden. Im Baselbiet hingegen ist eine Fusion für eine Gemeinde eher der letzte Ausweg aus einem Notstand. Oder sehen Sie das anders?
Nein. Hier ist die Eigenständigkeit sehr weit oben angesiedelt. Die Frage ist, wie man Eigenständigkeit definiert. Wenn fast alle Ausgaben einer Gemeinde vorgegeben sind, kann kaum von Eigenständigkeit gesprochen werden. Eine Gemeinde ist dann eigenständig, wenn sie sich mit einem Teil ihrer Steuereinnahmen über die Pflicht hinaus Dinge leisten darf, die sie sich auch leisten kann. Eine gesunde finanzielle Basis ist für die Selbstbestimmung elementar.
Holen Sie mit dem Finanz-Argument auch Fundamentaloppositionelle ab?
Wer gegenüber einem grösseren Gebilde grundsätzlich skeptisch ist, wird es vermutlich auch bleiben.
Eine Fusion ist einerseits eine Frage der Arithmetik. Andererseits stimmen viele Menschen in einer solchen Frage weniger mit dem Kopf als mit dem Herzen ab. Wie gewinnen Sie diese?
Mit qualitativ guten Gesprächen über die Situation, wie sie ist. Der partizipative Prozess wird die Mitwirkenden der einzelnen Arbeitsgruppen in die Fragestellungen involvieren, wodurch sie grösseres Wissen über das Funktionieren der Gemeinden gewinnen und dieses hoffentlich auch in ihre Familien und Vereine tragen. Damit breit diskutiert wird, muss ausserdem mehrfach objektiv und neutral über den Stand des Projekts informiert und Feedback eingeholt werden. Die Erfahrung zeigt mir, dass die Vorstellung, wie eine Gemeinde funktioniert, weitgehend nicht mit den effektiven Mechanismen und Schwierigkeiten einer Gemeinde übereinstimmt.
Sie sprechen die Arbeitsgruppen an. Wie sind diese zusammengesetzt?
In allen Arbeitsgruppen sollen jeweils zwei Einwohnerinnen oder Einwohner der drei Gemeinden vertreten sein und jeder sollte auch ein Gemeinderatsmitglied angehören. In sieben solchen Arbeitsgruppen werden die einzelnen Themen vertieft geprüft, die im Grundlagenbericht benannt wurden.
Eines davon dürfte die Verwaltung sein: Rünenberg, Kilchberg und Zeglingen haben seit langer Zeit eine gut funktionierende gemeinsame Verwaltung und kooperieren auch bei Feuerwehr, Werkhof und Schule. Das dürfte für die Fusion sprechen.
Es ist eine gute Anfangskonfiguration: Eine gut funktionierende Zusammenarbeit schafft Vertrauen und man erfährt auch, wie die anderen ticken. Hingegen sind bereits bestehende Kooperationen in Bezug auf die finanziellen Effekte einer Fusion nicht ideal: Wo bereits zusammengearbeitet wird, entfällt Einsparungspotenzial, das mit einer Fusion ansonsten ausgeschöpft werden könnte.
Die Voraussetzungen waren bei der geplanten Fusion von Arisdorf und Hersberg ähnlich: Man teilt seit Langem fast alles. Die Hersberger waren vom Zusammenschluss aber nicht überzeugt und er scheiterte. Weshalb?
Der Prozess war nicht oder zu wenig partizipativ. Der Projektleiter hatte den Bericht ausgearbeitet und der Bevölkerung vorgelegt. Das ist nicht mein Weg. Ich erklärte den Gemeinderäten von «Rü-Ki-Ze» im Vorfeld, dass ich ihnen für die Hälfte des budgetierten Betrags für die Fusionsprüfung einen pfannenfertigen Bericht vorlegen könnte. Nur würde keiner glauben, was drinsteht, weil er von einem Externen erstellt worden wäre. Bei Arisdorf-Hersberg kam hinzu, dass in Hersberg kurz vor der Abstimmung Behauptungen aufgestellt wurden, die nicht stimmten. Doch der Gemeinderat vermochte diese nicht zu entkräften, weil er die Fusion befürwortete und von Skeptikern deshalb als nicht objektiv eingeschätzt wurde.
Wie hätte die Situation gerettet werden können?
Der Gemeinderat hätte den Prozess unterbrechen und den kritisierten Punkt ausdiskutieren lassen können. So ein Vorgehen wird geschätzt und schafft Vertrauen. Das ist überhaupt das Wichtigste: Man muss das Vertrauen haben, dass der Prozess objektiv, korrekt und neutral abläuft.
Was ist in «Rü-Ki-Ze» anders als in Arisdorf und Hersberg?
Ich habe das Gefühl, die Verbundgemeinden stehen sich näher als Arisdorf und Hersberg.
Für die vertiefte Fusionsprüfung soll die Bevölkerung mit ins Boot steigen. Bei der ersten Info-Veranstaltung in Zeglingen blieben die meisten Stühle leer. Wie wollen Sie die Menschen zur Mitarbeit motivieren?
Vor einem Jahr, als wir erstmals informierten, waren wir zu vorsichtig. Das Wort «Fusion» wurde vermieden, stattdessen wurde von «Synergiegewinnung» gesprochen. Ich bin überzeugt, dass «Fusion» einen anderen Effekt gehabt hätte.
Und wenn das Interesse wiederum lau ist?
Das glaube ich nicht. Aber falls tatsächlich nur 20 oder 30 Personen aufkreuzen sollten, wüsste ich nicht, wie ich die Leute sonst abholen könnte.
Dann wären die Gemeinderäte gefordert, Mitwirkende für die Arbeitsgruppen zu gewinnen.
Oder man setzt eine Krisensitzung an und diskutiert über einen Abbruch der Übung …
Ich kann nicht für die Gemeinden reden, aber ich würde davon abraten. Das Fernbleiben könnte ja auch als Zeichen der Zustimmung interpretiert werden, im Sinne von: «Was soll man darüber noch gross diskutieren?» Hier bin ich aber dezidiert der Ansicht, dass ein Entscheid von so grosser Tragweite grosse Sorgfalt verdient.
Sieben Arbeitsgruppen soll es geben. Bei welchen Themen wird am leidenschaftlichsten diskutiert, wenn nicht gestritten?
Meiner Erfahrung nach bei Kultur und Vereinen, weil es dort auch um die finanzielle Unterstützung durch die Gemeinde geht. Im Bereich Bau und Raumplanung können die Meinungen auch weit auseinanderliegen, da muss man unter Umständen eine Fachperson beiziehen. Die Finanzen haben immer Potenzial für Differenzen, die Schule je nach Ausgangslage: Wenn zum Beispiel vier Schulleiter ihre Gärtchen verteidigen, sind Konflikte programmiert. Und selbstverständlich der Ortsname und das Wappen. Ich empfehle, beides schon während des Projekts festzulegen.
Gesetzt den Fall, die Kredite werden gesprochen, die Fusion wird geprüft, zur Zustimmung empfohlen und am Schluss trotzdem abgelehnt: Haben Sie dann versagt?
Nein. Ich wäre auch nicht erfolgreich, würde zugestimmt. Als Berater bin ich neutral. Nicht ich, sondern die Argumente müssen überzeugen. Ich hätte versagt, wenn nicht sauber dargestellt würde, weshalb eine Fusion zur Annahme oder Ablehnung empfohlen wird.
Was würde das Scheitern für die Gemeinden bedeuten? Ausser Spesen nichts gewesen?
Ganz und gar nicht. Der Bericht ist eine gute Momentaufnahme für jedes Dorf. Man erhält ein genaues Bild von der eigenen Gemeinde und davon, wo ihre Stärken und Schwächen liegen. Aus dem Prozess gehen auch Ideen für die Entwicklung der Dörfer hervor. Daher kann der Schlussbericht als Arbeitspapier für die Gemeinderäte betrachtet werden.
Mr. Gemeindefusion
ch. Peter Weber (67) hat sich im Kanton Aargau als Begleiter von Gemeindefusionen einen Namen gemacht. An seiner ersten war er als Gemeindeammann von Wil, einer von fünf beteiligten Gemeinden, direkt involviert. Daraus ging die Gemeinde Mettauertal hervor, deren erster Ammann Weber wurde. Seither hat er sechs weitere Gemeindefusionsprojekte im Kanton Aargau betreut. Erst einmal kam der Zusammenschluss, der unter seiner Projektleitung geprüft wurde, nicht zustande. Nun begleitet er die Fusionsprüfung in «Rü-Ki-Ze».
Weber ist gelernter Automechaniker, bildete sich im Bereich Marketing und Verkauf weiter und betreut seit mehr als 20 Jahren in selbstständiger Tätigkeit Schweizer Produktionsbetriebe beim Marktaufbau in Deutschland. Seit drei Jahren baut er für die Firma Hüsser Gmür + Partner den Beratungsbereich für Gemeinden auf. Er ist verheiratet, Vater dreier erwachsener Kinder und siebenfacher Grossvater und lebt mit seiner Ehefrau in Mettau, einem Ortsteil von Mettauertal im obersten Teil des Fricktals. In der Freizeit ist er sportlich unterwegs: früher als Handballer, Turner und Leichtathlet, heute auf dem Tennisplatz.

