Sie malt mit Worten
25.11.2025 Bezirk LiestalDurch den Schmerz fand Nicola Renfer zur Poesie
Eine Corona-Erkrankung 2022 veränderte Nicola Renfers Leben. Sie musste ihren Beruf aufgeben und lebt heute mit chronischen Schmerzen. Während ihrer Behandlung entdeckte sie ihr Talent als Lyrikerin. Seither strömen die Texte ...
Durch den Schmerz fand Nicola Renfer zur Poesie
Eine Corona-Erkrankung 2022 veränderte Nicola Renfers Leben. Sie musste ihren Beruf aufgeben und lebt heute mit chronischen Schmerzen. Während ihrer Behandlung entdeckte sie ihr Talent als Lyrikerin. Seither strömen die Texte nur so aus ihr heraus.
Marianne Ingold
Ein langer weisser Gang beim Eingang zur Kunstausstellung «ArtLiestal» im Hanro-Areal. An den Wänden, neben Feuerwehr- und Notausgangsschildern, stehen blaue Buchstaben: «bilder. bilder bilden. bilder bilden ab. up geht’s.» Ein paar Schritte weiter: «kreativ trifft tief. positiv.» Diese Wortspiele stammen von Nicola Renfer, die sich auch von Kunstwerken in der Ausstellung zu Kurzgedichten inspirieren liess: «trotz dem alltagsregen. nicht aufregen. trotzdem alltag leben.» und «mal ebbe, mal flut. im Wechsel kommt’s gut.»
Am vergangenen Donnerstagabend las Renfer an der «ArtLiestal» längere Texte und nahm das Publikum dabei mit auf eine Reise durch die Jahreszeiten – vom bunten Herbst über den weissen Winter zum pastellfarbenen Frühling bis in den farbenfrohen Sommer. Damit habe sie bewusst einen Bezug zur Malerei schaffen wollen: «Farben und Naturmotive, die in der Malerei präsent sind, kommen auch in meinen Texten häufig vor», sagt Renfer. Sie male einfach mit Sprache und Tönen statt mit Öl oder Acryl: «die poesie, mein pinsel. malt mir meine insel.»
Nicola Renfer wuchs in Liestal auf und lebt mit ihrer Familie in Frenkendorf. 20 Jahre lang arbeitete sie als Lehrerin für Geschichte und Italienisch, bis im Jahr 2022 eine Corona-Infektion ihr Nerven- und Immunsystem angriff und ihr Leben radikal veränderte. Nach langwierigen Abklärungen erhielt die Krankheit einen Namen: Myalgische Enzephalomyelitis /Chronic Fatigue Syndrom (ME/CFS). Renfer musste ihren Beruf aufgeben und lebt seither mit chronischen Schmerzen, rascher Erschöpfung, hoher Reizempfindlichkeit und starken Medikamenten.
«weg, was war.»
Doch im Leid fand sie ihre Leidenschaft, die Lyrik. Ihr erstes Gedicht schrieb sie am 16. August 2022, am Tag, nachdem ihr ein Rheumatologe das Schreiben empfohlen hatte. «Ich weiss noch genau, wie ich mich fragte, was ich denn schreiben solle. Doch dann sprudelte es nur so – wie ein Fluss.» Bis zur nächsten Sprechstunde habe sie einen halben Ordner gefüllt, erzählt sie und lacht. Zwar habe sie schon immer gerne mit der Sprache gespielt, aber Gedichte? «Das hätte ich mir nie zugetraut!»
Oft lag sie tagelang im abgedunkelten Zimmer und sprach ihre Texte ins Handy, die sie anschliessend in den PC transferierte, unterstützt von Mann und Sohn. So entstand bis heute ein Korpus von etwa 2000 Texten in unterschiedlicher Länge. «Ein häufiges Motiv ist, wie man vom Schlechten ins Gute kommt», sagt Nicola Renfer. «Meine Botschaft lautet, dass man aus allem etwas Positives machen kann.» Als sie ihre Gedichte behandelnden Ärzten und anderen Menschen in ihrem Umfeld zeigte, hätten alle gesagt, die dürfe sie nicht für sich behalten, denn damit könne sie auch anderen helfen.
«mein weg wird klar.»
Schon bald kam eine Anfrage für eine Plakatausstellung in der Rehab Basel. Mittlerweile nennt sich Renfer «die archiTEXTin» und bietet in ihrem Webshop Taschen, Karten, Bleistifte und Kalender an, die mit ihrer Wortkunst bedruckt sind. Daneben arbeitet sie mit Gesundheitsinstitutionen zusammen und trägt ihre Poesie unter anderem im Rahmen von medizinischen Referaten vor. Gesundheitlich beeinträchtigte Menschen können ihren Gedichten im Rahmen von «Kultur am Bettrand» gratis lauschen. Die Kosten dafür trägt eine Stiftung. Für den Rest muss Renfer auf andere zugehen, nachhaken, Angebote machen. Für das kommende Jahr plant sie ein Buch, für das sie Finanzierungsquellen sucht.
Knapp vier Jahre nach ihrer Erkrankung geht es Nicola Renfer etwas besser. «Ich muss nicht mehr tagelang liegen, aber gesundheitliche Einschränkungen gehören nun einfach zu meinem Leben. Dadurch bin ich immer wieder mit Situationen konfrontiert, die nicht gehen.» Zum Glück sei sie ein positiver Mensch. Sie könne dann arbeiten, wenn sie dazu in der Lage sei, und wisse mittlerweile, wie sie ihre Kräfte einteilen müsse. Ihre Motivation ist die grosse Leidenschaft für ihre Wortkunst, die sie dank der Erkrankung entdeckt hat: «Ich schreibe unglaublich gern – und Schreiben wirkt unbeschreiblich.»

