Seines Glückes Zimmermann
29.11.2024 NiederdorfNach drei Jahren, neun Monaten und drei Tagen kehrte Wandergeselle Aaron Bauer in der vergangenen Woche von seiner Wanderschaft heim. So eine Heimreise wird zünftig zelebriert und dauert mehrere Tage. Sie beinhaltet verschiedene Rituale wie «Einheimischmeldung» und «das ...
Nach drei Jahren, neun Monaten und drei Tagen kehrte Wandergeselle Aaron Bauer in der vergangenen Woche von seiner Wanderschaft heim. So eine Heimreise wird zünftig zelebriert und dauert mehrere Tage. Sie beinhaltet verschiedene Rituale wie «Einheimischmeldung» und «das Ortsschild».
Brigitte Keller
«Das Ortsschild» ist für 13 Uhr am Samstag angesetzt. Dabei übersteigt der heimkehrende Wandergeselle als Zeichen der Rückkehr eine Ortseingangstafel seiner Heimatgemeinde. Pünktlich trudeln die ersten Leute am Niederdörfer Dorfeingang aus Richtung Lampenberg ein, um bei diesem besonderen Moment dabei zu sein. Es sind – wie sich mit dem Vorrücken des Zeigers zeigen wird – wir, die «Naiven», die daran glaubten, dass Aaron Bauer und seine Gefolgschaft zur angegebenen Zeit eintreffen könnten. Besser Informierte und damit später Eintreffende klärten die schon leicht durchgefrorenen Wartenden auf, dass es immer später wird, das sei ein Naturgesetz. Irgendwie hatte man es schon geahnt, denn am Abend davor wurde in der «Bude Eiken» in Möhlin, auch bekannt als Gasthof Löwen, die «Einheimischmeldung» gefeiert. Es habe, wie Insider verraten, haufenweise Altglas gegeben.
«Sie sind erst in Zeiningen», hört man. «Ich habe sie in Lampenberg gesehen», weiss ein anderer. «In einer halben Stunde sind sie hier, oder in anderthalb …» Kurz vor 15 Uhr war es dann so weit: Aaron Bauer und die ihn begleitenden, aus allen Teilen der Schweiz und Deutschland angereisten Wandergesellen betraten die Szenerie. Traditionsgemäss trägt dabei der Rückkehrer auf den letzten Metern alle Bündel seiner Kollegen. Anschliessend ging es über die wacklige Brücke, gebildet aus den Wanderstöcken, rauf auf das Ortsschild und, nach einem kräftigenden Schluck, auf der anderen Seite wieder runter.
Schatz ausgraben
Damit sind noch nicht alle Rituale erfüllt, ist da ja auch noch der vergrabene Schatz, also Schnaps, der nun wieder an die Oberfläche geholt werden muss. Kein leichtes Unterfangen bei den unerwartet winterlichen Verhältnissen an diesem Tag. Aber Pflicht ist Plicht. Endlich ist das ersehnte Fläschchen gefunden und wird natürlich sogleich brüderlich geteilt. Abwechselnd einen Schluck für den Heimkehrer und einen für jeden der ihn umringenden Gesellen, darunter überraschenderweise auch eine Gesellin, eine wandernde Landwirtin. Die «Freien Vogtländer Deutschland F.V.D.» nehmen keine Frauen auf, andere Gesellschaften, die dem Heimkehrer auch ihre Aufwartung machten, aber schon.
Anschliessend wurde das letzte Ziel dieses Tages angepeilt, die «Vordere Abendsmatt», wo eine warme Stube mit Speis und Trank auf die festfreudige Gesellschaft wartete.
Am 19. Februar 2021 brach der damals 21-jährige Niederdörfer Zimmermann Aaron Bauer auf als Wandergeselle der «Freien Vogtländer Deutschland F.V.D.». Im Sommer 2023 besuchte ihn die «Volksstimme» und berichtete in der Ausgabe vom 7. Juli 2023 darüber. Seinem Heimatort durfte er sich während dieser Zeit nie weniger als 50 Kilometer nähern. In der vergangenen Woche kehrte er von seiner Wanderschaft zurück.
NACHGEFRAGT | AARONBAUER, WANDERGESELLE
«Die Heimkehr ist wie ein Sprung ins kalte Wasser»
Und, wie fühlt es sich an, zurück in der Heimat zu sein?
Aaron Bauer: Ich kann es noch nicht richtig fassen, dass ich jetzt wieder zurück bin. Das Heimkehren ist wieder ein Sprung ins kalte Wasser. Ich bin genauso angespannt wie damals beim Aufbruch. Zusätzlich gibt es jetzt sehr vieles zu regeln und zu organisieren. Die Wandergesellen reisen ja beispielsweise ohne Smartphone, und deshalb muss ich mir jetzt als Erstes eines besorgen und einrichten, was sich sehr eigenartig anfühlt.
Wenn Sie ganz spontan drei herausstechende Bauprojekte nennen sollten, an denen Sie beteiligt waren, welche sind das?
Das ist schwierig; sicher die Scheune in Tann (ZH), wo ich gerade an der Arbeit war, als mich die «Volksstimme» im Sommer vergangenen Jahres für ein Porträt besuchte. Das hat richtig Spass gemacht, ich habe alles selber machen können, von den Plänen bis zum fertigen Aufrichten. Ebenfalls etwas Besonderes war der Bau eines gotischen Dachstuhls in Rumänien. Und meine letzte Baustelle von diesem Jahr in Bodenwerder (D). Beim «Deutschen Orthodoxen Dreifaltigkeitskloster Buchhagen» baute ich zusammen mit weiteren Gesellen das neue Kirchturmdach. Auch die vorgängigen Pläne und das Modell stammten von mir. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon entschieden, dass ich danach heimkehren werde.
Was hat den Ausschlag gegeben, die Wanderschaft jetzt zu beenden und sich wieder «Einheimisch zu melden»?
Dafür gab es verschiedene Gründe: Handwerklich habe ich es nach fast vierjähriger Wanderschaft schon ziemlich ausgereizt. Die Baustellen, die mich herausgefordert hätten, wo und ich etwas Neues hätte lernen können, wurden weniger. Es hat angefangen, sich im Kreis zu drehen, auch was das Zwischenmenschliche anbetraf. Ich habe gemerkt, dass ich nicht mehr immer mit der gleichen Freude den Leuten, die mich am Strassenrand stehen sahen und in ihrem Auto mitnahmen, die immer gleiche Auskunft erteilen konnte, wer ich bin und was ich mache. Ein weiterer entscheidender Punkt ist, dass ich seit einem Jahr eine Freundin in Genf habe. Und ich möchte die Weiterbildung zum «Handwerker in der Denkmalpflege» in Angriff nehmen. Diese berufsbegleitende Weiterbildung findet in Biel statt, dauert zwei Jahre und beginnt das nächste Mal im kommenden Januar.
Um bei den «Freien Vogtländern Deutschlands F.V.D.» auf Reisen gehen zu können, braucht es einen sogenannten «Altreisenden». Haben Sie diese Aufgabe auch einmal übernommen?
Ja, bei Johannes aus dem badischen Philippsburg. Anfang Jahr habe ich ihn «losgebracht» und ihn drei Monate lang begleitet ihm und alles Nötige gezeigt. Danach haben wir uns noch ein paar Mal getroffen. Auch beim Aufrichten des Kirchturmdachs in Bodenwerder war er dabei. Jetzt gerade ist er hier zu Besuch.
Was kommt als nächstes?
Im Moment bin ich auf der «Vorderen Abendsmatt» in Lampenberg untergekommen. Mit Ernst Schmutz bin ich seit unserer gemeinsamen Ausbildungszeit zum Zimmermann im gleichen Betrieb befreundet. Ich helfe hier auf dem Hof mit, solange ich hier bin. Ab Montag werde ich bei einer Holzbaufirma in der Gegend zu arbeiten beginnen. Gerne würde ich natürlich passenderweise in nächster Zukunft bei einer auf Restaurationen spezialisierten Firma arbeiten. Und mein grosses Ziel für die Zukunft ist und bleibt, mich selbstständig zu machen. Das lernt man auf der Wanderschaft, wo es natürlich auch Tiefs gab: Egal, was passiert, man wird schon zu seinem Glück finden, solange man etwas dafür macht.