SCHÖNER FLIEGEN
11.03.2025 PersönlichTrinkgelder
Das Trinkgeld ist immer wieder ein beliebtes Thema auf Reisen durch die Welt. Sie befinden sich auf einem Flug nach Hinterindien. Und Sie dachten vielleicht, ein Dollar zur rechten Zeit würde die Arbeitsgeschwindigkeit der fliegenden Töchter und ...
Trinkgelder
Das Trinkgeld ist immer wieder ein beliebtes Thema auf Reisen durch die Welt. Sie befinden sich auf einem Flug nach Hinterindien. Und Sie dachten vielleicht, ein Dollar zur rechten Zeit würde die Arbeitsgeschwindigkeit der fliegenden Töchter und Söhne erhöhen? Keine Chance! Flugbegleiterinnen werden zwar nicht wirklich fürstlich entlohnt. Trotzdem nehmen sie keine Trinkgelder an. Piloten sowieso nicht.
Kaum aber sind Sie irgendwo am vermeintlichen Ende der Welt gelandet, geht’s los. In Ägypten zum Beispiel ist die Situation völlig aus dem Ruder gelaufen. Erst vor Kurzem hat sich ein guter Freund geweigert, beim Einchecken des Gepäcks dem bärtigen Helfer ein Bakschisch, ein Trinkgeld, zu zahlen.
Als er bei dessen Vorgesetztem, dem Oberbartli, eine Protestnote deponiert hatte, übernahm dieser das Gepäck und öffnete seinerseits sein Patschhändchen. Natürlich weigerte sich mein Freund weiterhin, seinen Geldbeutel zu öffnen und wartete auf besseres Wetter.
Nachdem sich auch nach einer Stunde nichts bewegt hatte, und das Flugzeug in der Zwischenzeit beladen worden war, gab er auf. Als er den Hilfsbart mit umgerechnet 3 Euro geschmiert hatte, wurde sein Gepäck gütigst entgegengenommen.
In gewissen Ländern hat man das System verfeinert. Bevor man das Abfluggebäude betreten darf, wird das Gepäck gewogen. Die vom Häuptling aller Eichmeister geschickt um 5 Kilo zu hoch eingestellte Waage produziert reichlich Geld. Zweifelt jemand das halbamtliche Gewicht an, bedeutet man ihm, gleich auch noch persönlich auf die Waage zu stehen.
In den USA erhalten Restaurantmitarbeiter einen äusserst bescheidenen Grundlohn: Ohne Trinkgelder würden sie beinahe verhungern. In touristischen Hochburgen wird es deshalb manchmal automatisch dazugerechnet.
Also immer zuerst die Rechnung kontrollieren. Steht nichts von Tips oder Service darauf, sind 15 bis 25 Prozent fällig. Sollten Sie sich heimlich davonschleichen wollen, besteht die Gefahr, dass Sie plötzlich von einer Brigade wild gewordener Kellner verfolgt werden, die lauthals ihr Entgelt fordern.
Ganz anders der Kofferträger in einem Hotel in der Karibik. Als ich ihm die standesgemässen 5 Dollar für fünf Koffer und beinahe fünf Treppen in die Hand drücken wollte, nahm er Haltung an und meinte: «Es ist mir und meinen Kollegen eine Ehre, dass Sie unser Gast sind.» Worauf er das Trinkgeld auf den Tisch legte und rückwärts das Zimmer verliess.
Je mehr Sie sich dem Ende der Welt nähern, desto einfacher wird die Geschichte rund ums Trinkgeld. Auf einsamen Inseln kann man mit Geld schlichtweg nichts kaufen. Weil es weder Aldi, McDonald’s noch ein Telecom-Shop bis dorthin geschafft haben.
Bitte keine Glasmurmeln verschenken! Damit wurden die Menschen hier bereits vor 300 Jahren beglückt. Und versaut.
Hanspeter Gsell
«Schöner Fliegen» ist das persönliche Resultat von Hanspeter Gsells vielen Reisen rund um die ganze Welt. Während dieser Zeit hat der Autor unzählige Eindrücke und Erfahrungen gesammelt. Gespräche mit Flugbegleitern, Piloten und Menschen aus der Reisebranche rundeten die Erlebnisse ab. Das Buch dazu wird im April 2025 erscheinen. Die «Volksstimme» publiziert in loser Folge einen exklusiven Vorabdruck einzelner Abschnitte.