POSTSKRIPTUM
07.06.2024 GesellschaftEin Schoppen Wein statt Red Bull
Werden heute Schülerinnen und Schüler auf den Schulreisen von Raupen belästigt, galt es vor 150 Jahren, die Zöglinge möglichst nüchtern wieder zu Hause abzuliefern. Statt mit Wasser, stillten sie sich den ...
Ein Schoppen Wein statt Red Bull
Werden heute Schülerinnen und Schüler auf den Schulreisen von Raupen belästigt, galt es vor 150 Jahren, die Zöglinge möglichst nüchtern wieder zu Hause abzuliefern. Statt mit Wasser, stillten sie sich den Durst mit Wein.
Wie sich doch die Zeiten ändern. Am Dienstag vor einer Woche ist es zu einem aussergewöhnlichen Zwischenfall gekommen. Auf einem Schulausflug auf dem beliebten Honigweg in Rünenberg sind mehrere Kinder im Alter zwischen neun und elf Jahren mit der Raupe des Eichenprozessionsspinners in Kontakt gekommen. Dieser kann zu allergischen Reaktionen wie Haut- und Augenreizungen sowie Atembeschwerden führen. Zur genauen Abklärung wurden 13 Kinder ins Spital überführt, das die Schülerinnen und Schüler aber inzwischen alle wieder verlassen konnten (die «Volksstimme» berichtete).
Dass es schon früher bei Schulausflügen zu Problemen – allerdings ganz anderer Art – gekommen ist, verdeutlicht eine Schilderung im Büchlein «100 Jahre Bezirksschule Baselland». Der Übeltäter war dazumal keine giftige Raupe, sondern die Disziplin auf den Schulspaziergängen, die den Lehrern oft zu schaffen machte. Das wird verständlich, wenn man die folgende Reiseschilderung des Schulspaziergangs aus dem Jahr 1876 liest:
«Der Weg über den Arxhof war köstlich, und in Waldenburg wurde im Leuen ein stündiger Halt gemacht. Jeder Schüler erhielt einen Schoppen Wein und ein Stück Brot für 20 Centimes. Im Kurhaus zu Langenbruck wurde das Mittagessen für 12 Batzen ohne Wein eingenommen. Nur wenige Schüler kauften sich noch einen halben Schoppen Wein. Der Aufenthalt dort war äusserst angenehm. Im Kilchzimmer trafen wir die Langenbrucker Schüler unter Führung der Behörden und des Pfarrers Tanner. Jeder Bezirksschüler erhielt wieder 20 Rappen, 1 Stück Brot und einen halben Schoppen Wein. Beide Schulen sangen je ein Lied für sich und eines gemeinschaftlich. Die Bezirksschüler unter der Führung Gouggers und Walsers bestiegen nun die Bölchenfluh, und die Aussicht war nach Aussage der Langenbrucker so schön, wie höchst selten. Auf dem Gute Schmutzberg kaufte sich mancher Schüler wie die Lehrer ein Glas Milch. Zur rechten Zeit kam man nach Läufelfingen und kehrte mit dem letzten Zug nach Liestal zurück. Die Reise kam jeden Schüler auf 2.12 Franken zu stehen. Es nahmen 71 Schüler teil (die Schule zählt 126) … Es fanden einige Unziemlichkeiten statt. Ein Schüler hatte 5 Franken im Sack und eine Flasche Wein von zu Hause mitgenommen und noch einige Schoppen gekauft, sodass er ziemlich betrunken war und auf der Bölchenfluh leicht ein Unglück hätte herbeiführen können.»
Über das Trinkverhalten der Lehrerschaft und des Pfarrers während des Schulspaziergangs vor 150 Jahren geht nichts aus dem Bericht hervor. Was angenommen werden darf, ist wohl die Tatsche, dass sich heute die Schülerinnen und Schüler auf den Schulreisen im Normalfall den Durst nicht mehr mit einem Schoppen Wein stillen.
Heiner Oberer, Sissach