«Politische Person, aber keine parteipolitische»
19.01.2024 Bezirk LiestalLea Hungerbühler: zwischen Kantonsgericht, Finanzrechtskanzlei und Asylwesen
Lea Hungerbühler aus Liestal wurde im November zur Vizepräsidentin am Kantonsgericht Baselland gewählt. Im Jahr davor erhielt die in Wintersingen aufgewachsene Juristin, Spezialgebiet ...
Lea Hungerbühler: zwischen Kantonsgericht, Finanzrechtskanzlei und Asylwesen
Lea Hungerbühler aus Liestal wurde im November zur Vizepräsidentin am Kantonsgericht Baselland gewählt. Im Jahr davor erhielt die in Wintersingen aufgewachsene Juristin, Spezialgebiet Finanzwesen, für ihren freiwilligen Einsatz als Beraterin im Asylwesen den Prix Caritas.
Jürg Gohl
Herzliche Gratulation, Frau Hungerbühler, zur einstimmigen Wahl zur Vizepräsidentin am Kantonsgericht durch den Landrat. Sie ersetzen Markus Mattle, der im Herbst Knall auf Fall zurückgetreten ist. Wann stehen Sie erstmals als Richterin im Einsatz?
Lea Hungerbühler: Meine ersten Einsätze habe ich bereits hinter mir. Noch im vergangenen Jahr kam ich in meiner neuen Aufgabe zum Einsatz. Zwei Verfahren gab es bereits zu behandeln. Da ich in Liestal wohne, bringt es die neue Aufgabe mit sich, dass ich wieder etwas mehr im Baselbiet tätig bin. Von der Lokalität ist das natürlich geradezu ideal, und als Wintersingerin könnte ich sogar von einem Heimkommen sprechen, wenn wir Liestal grosszügig zum Oberbaselbiet rechnen. Bisher lag das Pensum im Kanton bei maximal 20 Prozent. Jetzt sind es am Gericht 50 Prozent. Entsprechend muss ich mein Pensum in meiner Kanzlei in Zürich etwas reduzieren. Aber da ich dort selbstständig arbeite, kann ich meine Einsätze selber koordinieren.
Können Sie bereits sagen, in welcher Rolle Sie sich wohler fühlen, in jener der Richterin oder jener der Anwältin?
Es handelt sich tatsächlich um zwei unterschiedliche Welten. Wohl fühle ich mich aber in beiden Aufgaben. Ich halte vor allem die Kombination der beiden für sehr wertvoll. Um gute Arbeit zu leisten, ist es in meinem Beruf sehr wichtig, bei einem Fall die verschiedenen Perspektiven der Beschuldigten und ihrer Verteidigung zu kennen. Es sind Perspektiven, keine Gegensätze. Zudem fällen wir die Urteile im Gremium, ich bin also in meiner Funktion als Richterin keine Einzelkämpferin.
Im Zusammenhang mit ihrer Wahl am 2. November und der Vereidigung zwei Wochen später war auch von einem Karriereschritt die Rede. Beurteilen Sie das auch so?
Ich konnte mit dem Amt als Richterin am Kantonsgericht wohl eine spannende Aufgabe übernehmen, die meine bisherige Arbeit fortsetzt und erweitert, aber damit strebe ich nun nicht eine grössere Karriere als Richterin an. Vielmehr ist es für mich interessant, in meiner neuen Rolle in viele neue Bereiche blicken zu können, mit denen ich als Anwältin bisher weniger in Berührung gekommen bin.
Sie waren als Anwältin bisher auf Finanzfragen spezialisiert. Müssen Sie sich jetzt einen breiteren Rucksack zulegen?
Womöglich verfüge ich in Bereichen wie Anlagebetrug über ein Spezialwissen, das auch am Kantonsgericht hilfreich sein wird. Umgekehrt fehlen mir allenfalls in anderen Bereichen vertiefte Kenntnisse. Doch gerade deshalb funktionieren wir als Team, in dem wir uns auf das Wissen der anderen mit ihrem Hintergrund verlassen und abstützen können.
Sie gehören der Partei der Grünen an. Wie kommt jemand aus Ihrer Partei auf die Idee, sich beruflich auf Finanzfragen zu spezialisieren?
Einige Jahre, nachdem ich das Richteramt für die Grünen angetreten habe, bin ich der Partei beigetreten. Schon früh habe ich mich mit Politik befasst und engagierte mich zum Beispiel im Jugendrat. Ich betrachte mich als einen politischen Menschen, nicht aber als einen parteipolitischen. Finanzfragen haben mich bereits während des Studiums sehr interessiert, zumal ich Wirtschaft und Recht studierte. Die Kombination von politischen, juristischen und ökonomischen Fragen übten schon früh eine Faszination auf mich aus. So wählte ich auch mein Praktikum in diesem Bereich, und so folgte ein Schritt auf den anderen. Da geht es um Vermögensverwaltungen, aber auch um Personen, die zum Beispiel mit einer Bank eine Auseinandersetzung führen und denen zu ihrem Recht verholfen werden muss.
Mit Leximpact, Ihrer Zürcher Kanzlei, bewiesen Sie viel Mut, als Sie gleich den Schritt in die Selbstständigkeit wagten.
Ich wollte halt gleich meine eigenen Ideen umsetzen, und das gelingt selbstständig nun mal einfacher denn als Angestellte. Sicher kam mir dabei entgegen, mich in einer Situation zu befinden, in der ich dieses Risiko eingehen konnte. Der Mut von damals hat sich bewährt.
Ihre zweite Gründung, «AsyLex», wirkt da wie ein Gegensatz. Sie und weitere Juristinnen und Juristen unterstützen und beraten ehrenamtlich Asylsuchende und wurden dafür 2022 mit dem Prix Caritas ausgezeichnet. Wie kamen Sie auf die Idee, «AsyLex» zu gründen?
Dahinter steckt eine sehr tragische Geschichte, ein Schlüsselerlebnis im Jahr 2016. Ich verbrachte mit einer Freundin, einer Ärztin, Ferien in Australien. Plötzlich ereignete sich an einem abgelegenen Strand ein Badeunfall. Meine Freundin kämpfte über eine Stunde lang mit Beatmungen und Herzmassage um das Leben der Frau, die beim Schnorcheln verunfallt war. Ich stand untätig daneben und konnte nicht viel helfen, während ein Mensch vor meinen Augen starb. Darauf beschloss ich, mein im Studium erworbenes Wissen für andere Menschen einzusetzen.
Wie fanden Sie aber zum Thema Asylwesen?
Das hat mich schon immer stark beschäftigt, zumal sich Europa nach der Syrien-Krise in den Jahren 2015 und 2016 immer stärker abzuschotten begann. Nach dem Erlebnis in Australien besuchte ich deshalb ein Flüchtlingslager in Griechenland, erkannte, wie schutz- und rechtlos die Betroffenen sind, musste aber erkennen, dass ich als Schweizer Juristin dort nicht viel ausrichten konnte. Deshalb gründete ich «AsyLex» in der Schweiz.
Wirkt das nicht gegensätzlich zu Ihrer Kanzlei?
Im Widerspruch zu Leximpact steht das nicht, auch wenn diese Kombination etwas überraschen mag. Doch es ist für mich zentral, dass Menschenrechte und Wirtschaftsthemen Hand in Hand gehen und dass sich Personen in der Wirtschaft ihrer Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen immer bewusst sind.
Wie sieht Ihre Arbeit bei «AsyLex» aus?
Es geht vereinfacht um Menschen, die keinen Zugang zu ihrem Recht finden. Zum Beispiel Menschen, die einen negativen Asylentscheid erhalten haben und nicht wissen, wie sie sich dagegen wehren können, oder die sich mit ihrer Familie vereinen wollen, von der sie getrennt wurden. Oder Menschen in Ausschaffungshaft.
Wie finanziert sich «AsyLex»?
Wir sind rund 150 Freiwillige, und mit Spenden, Stiftungsgeldern und Entschädigungen werden die gleichwohl entstehenden Kosten zum Beispiel für die Geschäftsstelle gedeckt. Wir bieten Rechtsberatung und Rechtsvertretung an. Der Prix Caritas war für uns eine grossartige Anerkennung für die geleistete Arbeit, die oft auch sehr frustrierend und anstrengend ist.
Am 22. Oktober gewann die SVP Sitze hinzu, und die Grünen, Ihre Partei, erlitt Einbussen. Glauben Sie, dass deshalb auf «AsyLex» bald mehr Arbeit zukommen wird?
Das befürchte ich nicht. Die Entscheide müssen auch im Asylbereich aufgrund der bestehenden Gesetze, also unpolitisch, gefällt werden. Ich hoffe fest, dass dies so bleibt. Am Schluss entscheidet immer das Gericht, und das haben beide Seiten zu akzeptieren.
Wir haben über Ihre drei Fachgebiete gesprochen, nämlich das neue Amt als Richterin, Ihre Arbeit als Spezialistin im Finanzbereich und schliesslich Ihr Engagement im Asylwesen. Ordnen Sie diese bitte in eine Rangliste ein.
Das ist nicht möglich. Die Kombination macht für mich den Reiz aus. Würde ich nur einen dieser Bereiche alleine, dafür aber zu 100 Prozent ausfüllen, wäre ich wohl weniger glücklich. Mich einen Monat lang nur mit finanztechnischen Fragen herumschlagen? Nein. Da würde mir der Kopf rauchen und das Zwischenmenschliche fehlen. Nur «AsyLex»? Da würden mich all die persönlichen Schicksale zermürben.
Und das alles findet Platz in einem 100-Prozent-Pensum?
Wahrscheinlich liegt es manchmal schon etwas darüber.
Zur Person
jg. Lea Hungerbühler ist 34 Jahre alt. Sie wuchs in Wintersingen auf und engagierte sich in ihrer Jugend stark im Jugendrat Baselland. In Cambridge und in St. Gallen studierte sie Recht und Wirtschaft. Neun Jahre lang arbeitete die Juristin als nebenamtliche Richterin am Baselbieter Strafgericht in Muttenz und wurde dort 2018 Vizepräsidentin. Am 2. November bestimmte der Landrat das Mitglied der Grünen zur Vizepräsidentin am Kantonsgericht in Liestal. Sie löste damit Markus Mattle ab, der drei Monate zuvor per sofort zurückgetreten war. Als Gründerin und Präsidentin von AsyLex, einer Organisation, die sich für die kostenlose Rechtsberatung und Rechtsvertretung für geflüchtete Menschen einsetzt, wurde sie 2022 mit dem Menschenrechtspreis Prix Caritas ausgezeichnet. Hauptberuflich arbeitet sie als Partnerin in der von ihr gegründeten Kanzlei Leximpact in Zürich. Und: Lea Hungerbühler verfasste von 2009 bis 2014 regelmässig Kolumnen für die «Volksstimme».