Ohne das Bekenntnis der Bevölkerung geht es nicht
22.07.2025 BaselbietWas zeichnet heutzutage einen erfolgreichen Dorfladen aus? Die «Volksstimme» hat sich in drei Gemeinden auf Spurensuche begeben
Die Zahl der Dorfläden, die schliessen müssen, ist gestiegen. Gleichzeitig gibt es Läden, denen es mit einem innovativen Konzept und ...
Was zeichnet heutzutage einen erfolgreichen Dorfladen aus? Die «Volksstimme» hat sich in drei Gemeinden auf Spurensuche begeben
Die Zahl der Dorfläden, die schliessen müssen, ist gestiegen. Gleichzeitig gibt es Läden, denen es mit einem innovativen Konzept und viel persönlichem Einsatz gelingt, erfolgreich zu wirtschaften. Dazu zählen die Dorfläden in Rothenfluh, Titterten und Ziefen.
Sander van Riemsdijk
Viele Dorfläden im Oberbaselbiet sind verschwunden oder kommen gerade so über die Runden. Sinkende Umsatzzahlen, hohe Personalkosten und anstehende Investitionen machen ihnen das Geschäftsleben schwer. Bedingt durch eine erhöhte Mobilität, ein grösseres Sortiment und häufig attraktivere Preise kauft die ländliche Bevölkerung mehrheitlich in Supermärkten ein.
Geht es aber ums Überleben, möchten die Menschen den Laden im eigenen Dorf häufig doch nicht aufgeben. Stellvertretend dafür stehen die Dorfläden in Rothenfluh, Titterten und Ziefen. Sie durchlebten eine schwierige Zeit und standen alle drei kurz vor dem Aus. Es ist ihnen aber gelungen, den Turnaround zu schaffen und ihren Betrieb in eine neue, hoffnungsvolle Zukunft zu führen.
«Ein ‹Rappengeschäft›»
Der frühere Dorfladen in Rothenfluh erstrahlt heute in neuem Glanz. Ein Regal mit frischem Gemüse, moderne Kühlanlagen, einheitliche Verkaufsflächen und eine kleine Kaffee-Ecke gleich links neben dem Eingang empfangen die Kundschaft. «Es sind hauptsächlich die persönliche Betreuung sowie die lokalen und regionalen Produkte, welche die Bevölkerung in der örtlichen ‹Chesi› einkaufen lassen», sagt Peter Wegmüller, Präsident der Genossenschaft Chesi Rothenfluh. Der Umsatz steigt leicht.
Das war aber nicht immer so. Im Jahr 2007 stand der Laden kurz vor dem Aus. Wegmüller erinnert sich: «Die Milchgenossenschaft wollte den defizitären Laden nicht weiterführen. Die Menschen im Dorf wehrten sich gegen die Schliessung und mit Geld aus der Bevölkerung wurde 2008 eine Genossenschaft gegründet.»
Der Dorfladen konnte durch einen Umbau um das Dreifache vergrössert werden. Das Sortiment wurde vielfältiger. Beide Faktoren, die Gründung der Genossenschaft mit einem Startkapital von 150 000 Franken und die Erweiterung der Verkaufsfläche, waren entscheidend. Das Geschäftsmodell wurde neu ausgerichtet – auch wenn der definitive Umbruch noch einige Jahre auf sich warten liess.
Eine ähnliche Geschichte erlebte der Dorfladen in Titterten, idyllisch am Rande des Dorfes gelegen mit Aussicht in Richtung Reigoldswil. «Ohne die Unterstützung der Gemeinde und der Bevölkerung sowie das Engagement von vielen Freiwilligen hätte Titterten heute keinen Dorfladen mehr», sagt André Bösiger, Präsident der Genossenschaft Dorfladen Titterten. Es sei insbesondere die Solidarität in der Bevölkerung, die dazu beitrage, dass Einkaufsmöglichkeiten im Dorf bestehen bleiben.
Der Dorfladen in Titterten hat eine bewegte Geschichte hinter sich, die im Jahr 1994 mit der Eröffnung der Coop-Filiale in Bubendorf eine entscheidende Wende nahm. Mit der Eröffnung dieses Einkaufszentrums wurden die kleinen Coop-Filialen geschlossen, so auch in Titterten. Darauf wurde eine Genossenschaft gegründet, die den Dorfladen bis heute führt. Mit einem ehrenamtlichen Vorstand sowie einer Finanzierung durch Anteilscheine und einem zinslosen Darlehen von der Gemeinde hatte die Bevölkerung ein klares Zeichen für den Laden gesetzt. Dieser wurde auf einen wirtschaftlich gesunden Kurs getrimmt.
Der «Chesi» in Ziefen erging es nicht anders als den Läden in Rothenfluh und Titterten. Auch sie stand kurz vor dem Konkurs. Wenn Hansruedi Wahl, Vizepräsident der Genossenschaft Dorfladen Ziefen, auf die Gründung der Genossenschaft im Jahr 2011 mit Anteilscheinen in der Höhe von 500 Franken zurückschaut, erinnert er sich gut: «Zur Gründung konnte die Parzelle im Baurecht von der Gemeinde übernommen werden, ebenso wurde dazumal ein Darlehensvertrag abgeschlossen, der als Grundkapital diente. Es wird heute verzinst und amortisiert.»
Im Jahr 2015 kam es fast zum Konkurs. Doch es war der Genossenschaft dank der Unterstützung aus der Bevölkerung mit grossem Effort gelungen, dem Laden wieder neues Leben einzuhauchen. «Die Überlebensfrage stellt sich bei der ‹Chesi› in Ziefen heute nicht mehr», so Wahl erfreut. «Der Betrieb eines Dorfladens ist zwar ein ‹Rappengeschäft›, wir sind aber stabil und haben eine gute finanzielle Grundlage.» Besonders ist, dass es in Ziefen zwei Dorfläden gibt und dadurch die «Chesi» zusätzlicher Konkurrenz ausgesetzt ist.
Zusammen geht es besser
Die Entwicklung der Dorfläden im Oberbaselbiet zeigt in Richtung Gemeinschaftsprojekte mit Beteiligung der Bevölkerung. Die Einheimischen warten nicht mehr auf einen privaten Ladenbetreiber, sondern nehmen die Sache selbst in die Hand. Sie gründen wie in Rothenfluh, Titterten und Ziefen eine Genossenschaft. Diese sucht anschliessend private Fördergelder und hofft auf zusätzliche Unterstützung durch die Gemeinde. Sie trägt so Startkapital zusammen und übernimmt den Dorfladen.
Damit ist es jedoch nicht getan. Häufig verläuft das erste Jahr zufriedenstellend, dann aber setzt eine Gegenbewegung ein. In Rothenfluh ging der Umsatz nach einem gewinnbringenden ersten Jahr sukzessive bis 2013 wieder zurück und parallel schmolz das Genossenschaftskapital allmählich dahin. «Wir mussten nach einer anfänglichen Phase der Euphorie zuerst eine gewisse Vertrauensbasis zur Bevölkerung aufbauen und unsere Geschäftsstrategie anpassen», so Peter Wegmüller rückblickend. «Insbesondere mussten wir die Bevölkerung auf das neue Sortiment aufmerksam machen.»
Der definitive Erfolg setzte mit dem Umzug vor zwei Jahren in die neuen Räumlichkeiten am Dübachweg ein. Mit einer attraktiven Grösse von 130 Quadratmetern gelang es, den Dorfladen definitiv auf die gewinnbringende Spur zu führen.
Verkaufserlös alleine reicht nicht
«Ein Dorfladen in der Grösse wie in Titterten ist als reiner Laden eigentlich nicht überlebensfähig», sagt Genossenschaftspräsident André Bösiger. Mit einem Umsatz von rund einer halben Million Franken und den tiefen Margen können die Betriebskosten nicht gedeckt werden. Wirtschaftlich betrachtet ist der Laden ein defizitäres Geschäft, doch er wird von der vor 30 Jahren gegründeten Dorfgenossenschaft mit ihren rund 200 Mitgliedern gestützt.
Anteilscheine à 200 Franken bilden das Grundkapital, mit dem die Genossenschaft den Laden führt. Das Grundkapital wuchs in den vergangenen Jahren sogar, was auf zusätzliche Einnahmen aus drei Aktivitäten zurückzuführen ist, welche die Genossenschaft jedes Jahr organisiert: den Raclette- und den Grillabend sowie das Open-Air-Kino.
Ebenfalls wichtig für die Existenz des Ladens ist der günstige Mietzins, den die Genossenschaft der Gemeinde zahlt, die das Gebäude vor einigen Jahren gekauft hat. Und es werden Briefe mit der Möglichkeit eines freiwilligen Jahresbeitrags an sämtliche Haushalte im Dorf verschickt; zudem könne bei Reparaturen oder beim Ersatz von technischen Installationen auf Spenden zurückgegriffen werden, erklärt Bösiger.
Auch in Ziefen mit integrierter Postagentur ist man bemüht, neben den Einnahmen aus dem Ladengeschäft zusätzliche Gelder zu generieren: Das Frühlingsfest mit einem kleinen Markt und der Adventsmarkt im Dezember mit dem Adventsfenster sind willkommene Einnahmen, ebenso die Vermietung einer Wohnung im ersten Stock.
Beliebter Treffpunkt
Für das Überleben eines Dorfladens braucht es von der Bevölkerung und der Politik ein klares Bekenntnis. Das sieht auch Geschäftsleiterin Annekäthi Hari vom Dorfladen in Titterten so: «Die Solidarität bei den Einheimischen mit unserem Laden ist enorm. Sie kaufen hier bewusst ihre alltäglichen Produkte ein.»
Es ist auch die Identifikation mit dem Dorf, die einen Dorfladen überleben lässt. «Der soziale Charakter des Ladens ist ein wichtiger Pfeiler unseres Erfolgs. Mit dem ‹Kaffi› ist er der Treffpunkt im Dorf und fördert den Gemeinschaftssinn», sagt Hansruedi Wahl in Ziefen. «Zudem haben wir seit Jahren eine ‹Plauderkasse›. Dort werden mit der Kundschaft immer ein paar Worten gewechselt.»
Aus den Gesprächen mit den drei Genossenschaftern geht hervor, dass das Betriebskonzept noch so durchdacht sein kann – der Schlüssel für den Erfolg liegt letztlich beim Personal. Dazu Peter Wegmüller aus Rothenfluh: «Das Verkaufsteam steht im Vordergrund, es schafft im Laden eine Atmosphäre, bei der die Leute gerne einkaufen.» Wahl in Ziefen und Bösiger in Titterten pflichten ihm bei. «Der Erfolg bei uns beruht eindeutig auf der Freundlichkeit des Ladenpersonals sowie der Kundenorientierung und der Servicebereitschaft», so Bösiger.
In einer kürzlichen Umfrage unter der Kundschaft in Ziefen zeigte sich, dass die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft des Ladenpersonals wichtige Gründe für die Einheimischen sind, im Dorfladen einzukaufen. Interessant: Das Personal in den drei Läden stammt jeweils ausnahmslos aus dem Dorf. Man kennt und begrüsst einander beim Vornamen – ein grosser Vorteil gegenüber der Anonymität bei den Grossverteilern. Zudem ist das Einkaufen im Dorfladen frei von Hektik und dem Suchen in einem «Labyrinth» von Regalen. Dazu Bösiger: «Viele Leute gehen lieber in einen kleinen Laden einkaufen, wo sie die Übersicht haben und mit Namen angesprochen werden.»
Wechsel zu «Prima»
Ein wichtiger Schritt, den die drei Dorfläden vollzogen haben, war der Wechsel zu «Prima», dem Partnerkonzept der Volg Konsumwaren AG. Ein Grossteil des Grundsortiments wird von Volg bezogen. Darüber hinaus werden Produkte von lokalen und regionalen Produzenten eingekauft. Saisonale Frischprodukte mit kurzen Transportwegen finden in den Dorfläden grosse Abnahme.
«Die Menschen sind grundsätzlich bereit, mehr für die Produkte zu bezahlen, wenn diese frisch und aus der Region geliefert werden», tönt es aus allen drei Läden. Ein grosser Vorteil gegenüber den Grossverteilern ist zudem, dass auf individuelle Wünsche der Kundschaft eingegangen werden kann.
Stehenbleiben ist keine Option
Nach schwierigen Anfangsjahren schauen die drei Genossenschaften optimistisch in die Zukunft. Für den erfolgreichen Aufschwung waren mehrere Faktoren entscheidend, so Peter Wegmüller in Rothenfluh: «Die einladende Infrastruktur mit den lichtdurchfluteten Räumlichkeiten, die kleine Kaffee-Ecke, das viel grössere Sortiment mit nicht weniger als 2000 Artikeln und die Schliessung des Dorfladens in Anwil haben unsere Kundschaft vergrössert.» Derzeit teilen sich 5 Personen insgesamt 250 Stellenprozente. Um eine «schwarze Null» zu schreiben, muss der Laden einen Umsatz von jährlich 950 000 Franken erzielen. Im Durchschnitt geben die Kunden pro Besuch rund 26 Franken im Laden aus.
André Bösiger schaut in Titterten ebenfalls optimistisch in die Zukunft des Dorfladens. «Man darf sich aber nicht auf dem jetzigen Erfolg ausruhen. Der Betrieb des Ladens ist kein Selbstläufer. Man muss im Gespräch mit den Leuten bleiben und mit Werbung immer wieder auf unser Angebot aufmerksam machen.» Er schiebt nach: «Unsere Anlässe müssen zwingend beibehalten bleiben. Nicht nur aus betriebswirtschaftlicher Sicht, sondern auch für das Gemeinschaftsgefühl im Dorf.» Momentan teilen sich 4 Personen die 140 Stellenprozente. Für eine «schwarzen Null» muss pro Jahr etwa 1 Million Franken eingenommen werden. Durchschnittlich bringt ein Kunde dem Laden rund 30 Franken pro Einkauf ein.
Sollte unverhofft die Existenz des Ladens in Gefahr geraten, denkt Bösiger an eine (teil-)digitale Ladenführung mit elektronischen Kassen- und Zutrittssystemen und der Möglichkeit, 24 Stunden lang mit Selbstbedienung einkaufen zu können. Dies, um die Personal- und Unterhaltskosten möglichst tief zu halten, wie dies anderswo bereits praktiziert wird. Aber so weit ist es in Titterten noch nicht.
Hansruedi Wahl in Ziefen sagt: «Der Laden ist überlebensfähig. Wir haben eine stabile finanzielle Basis. Unter diesen Umständen müssen wir uns keine Sorgen machen. Wichtig ist, dass man sich nicht zurücklehnt, sondern dranbleibt und die Entwicklungen verfolgt.» Der Durchschnittseinkauf eines Kunden liegt momentan bei rund 20 Franken, was einen leichten Rückgang im Vergleich zu den vergangenen Jahren bedeutet. Weil aber immer mehr Leute einkaufen, bleibt der Umsatz stabil. Der Laden wird von Leiterin Gertrud Recher und fünf weiteren Personen bedient. «Im ‹Kaffi› arbeiten die Leute ehrenamtlich, was zu einem guten Ertrag führt», so Wahl.
Wie erfolgreich der Laden in Ziefen unterwegs ist, zeigt sich an einer grossen Investition vor zwei Jahren: Damals wurden 120 000 Franken in eine neue Infrastruktur mit einer modernen Ladengestaltung und neuen Geräten wie Kühlschränken, Tiefkühler und Klimaanlage investiert. Das Geld stammte vollständig aus dem Eigenkapital der Genossenschaft und war davor zusammengespart worden.
Wenn ein Dorfladen schliesst, drohen Identitätsverlust und Vereinsamung, denn für viele Menschen gehört der «Schwatz» an der Kasse oder im «Kaffi» zum Alltag. Zudem fördern die Dorfläden regionale Produkte und damit den nachhaltigen Konsum. Doch am Ende sind auch sie den wirtschaftlichen Realitäten ausgesetzt. Deshalb braucht es für einen erfolgreichen Dorfladen das Engagement der Bevölkerung – «und viel Herzblut», sind sich die drei Genossenschaften in Ziefen, Titterten und Rothenfluh einig.