Offenen Auges in tiefroten Zahlen
22.12.2023 BaselbietOberbaselbiet | Viele Gemeinden stecken in der Finanzkrise, doch niemand will höhere Steuern
An den zurückliegenden Budget-Gemeindeversammlungen wurden im Oberbaselbiet teilweise aussergewöhnlich hohe Steuererhöhungen beantragt – meist erfolglos. ...
Oberbaselbiet | Viele Gemeinden stecken in der Finanzkrise, doch niemand will höhere Steuern
An den zurückliegenden Budget-Gemeindeversammlungen wurden im Oberbaselbiet teilweise aussergewöhnlich hohe Steuererhöhungen beantragt – meist erfolglos. Geraten deshalb die Finanzen zu sehr in Schieflage, kann die Regierung eine Steuererhöhung anordnen.
Jürg Gohl
Nicht um alle Gemeinden im Oberbaselbiet ist es finanziell so gut bestellt wie um Wintersingen. Dort bewilligte die Einwohnergemeinde einstimmig eine Steuersenkung um einen Steuerpunkt auf 56 Prozent. In auffallend vielen anderen Gemeinden wollte der Gemeinderat in den vergangenen Wochen ebenfalls an dieser Schraube drehen, allerdings in die andere Richtung. Doch entweder verweigerten ihm dies die Einwohner oder sie gestanden ihm, um im Bild zu bleiben, weniger Umdrehungen zu.
In Sissach beispielsweise hiess es Nein für zwei Umdrehungen auf 59 Prozent. Zunzgen beliess es in seinem Jubiläumsjahr bei 65 Prozent, kündigte aber an, die Gemeindesteuern in den kommenden Jahren schrittweise um 6 Prozentpunkte zu erhöhen. Ein jüngeres Beispiel liefert : Dort ging es um 3 Prozentpunkte. Weil sich die Einwohner aber überrumpelt fühlten, traten sie erst gar nicht auf das Geschäft ein und verschoben die Budgetberatung samt Steuerfuss ins Frühjahr.
Angst vor 70-Prozent-Marke
Im Städtchen Waldenburg, das bereits jetzt mit dem höchsten Steuerfuss im Kanton belastet ist, verweigerte eine Mehrheit den gefürchteten Sprung über die 70-Prozent-Marke (von 69,5 auf 72) und liess sich dafür lieber einen Härtebeitrag an eine Deponie-Untersuchung entgehen. Selbst das Budget wurde knapp zurückgewiesen. In Rünenberg wurden von den Einwohnern statt der geforderten 4 nur 2 Prozentpunkte bewilligt. Der neue Steuerfuss beträgt dort 62 Prozent. Die Liste liesse sich verlängern.
Noch nie, so gewinnt man den Eindruck, standen im Oberbaselbiet zum Jahresende so viele massive Steuererhöhungen zur Debatte wie jetzt. Zumal zwei noch krassere Beispiele nachzutragen sind: Seltisberg und Nusshof. Seltisberg befindet sich in einer Schieflage, wie sie niemand in einem Dorf mit dem Kosenamen «Ärdbeerihübel» für möglich halten würde. Deshalb beantragte der Gemeinderat nicht zum ersten Mal eine massive Steuererhöhung um 10 Prozentpunkte von 55 auf 65 Prozent. Das Budget wurde zurückgewiesen mit dem Auftrag, es im Frühjahr auf der Basis von 59 Prozent neu vorzulegen.
Viele der vorgelegten Budgets sagen im Oberbaselbiet einen tiefroten Zahlen-Abschluss voraus, und nicht alle können das so leicht verkraften wie Lausen. Eine Übersicht von «Onlinereports» listet die Betroffenen auf: Neben Lausen kündigen Sissach, Gelterkinden, Ormalingen und Oberdorf für das kommende Jahr einen Fehlbetrag von über einer Million an. Über einer halben Million liegt er in Eptingen, Niederdorf, Waldenburg, Tenniken und Läufelfingen. «Rot, so weit das Auge reicht», bilanziert das Online-Medium.
Wenn Anton Lauber vorbeischaut
In Nusshof wollte der Gemeinderat eine Erhöhung um 6 Prozentpunkte auf 65 Prozent beliebt machen, um so endlich den Bilanzfehlbetrag zu tilgen. Doch gleich 59 Personen schmetterten den Antrag ab. Da half auch nichts, dass Regierungsrat Anton Lauber persönlich für die Erhöhung warb. Der Finanzminister erschien in Begleitung von Michael Bertschi, der beim Kanton für die Gemeindefinanzen zuständig ist.
Laubers Besuch in Nusshof signalisiert, dass der Kanton dem Finanzgebaren der Gemeinden nicht einfach tatenlos zuschauen will. Denn der Paragraf 166 des Gemeindegesetzes fordert die Regierung auf, zu intervenieren, wenn Gemeinden ihre Auflagen nicht erfüllen können. Der Passus ermächtigt die Regierung zum Beispiel, einen unterbesetzten Gemeinderat extern zu verstärken wie aktuell in Kilchberg mit Christine Mangold und früher mit Erich Straumann in Hersberg. Auch Misswirtschaft kann «eine Beschränkung oder Aufhebung der Selbstverwaltung» zur Folge haben.
Lauber wies in Nusshof auf diese Möglichkeit hin, einer Gemeinde den Steuersatz zu diktieren, sobald nicht ersichtlich sei, dass sie sich bemühe, ihre Finanzlage «innert nützlicher Frist» zu verbessern. «In den vergangenen Jahren» sei dies zwar nie angewendet worden. «Im Gegensatz zum Nachbarkanton Solothurn», ergänzt Michael Bertschi. Dort intervenierte die Regierung mehrfach, etwa in Kienberg und in Büren.
Doch 1991 untersagte die Regierung der klammen Gemeinde Rickenbach, sich eine teure Trefferanzeige anzuschaffen. Das Dokument trug damals den Absender von Regierungsrat Werner Spitteler, der als damaliger Sanitätsdirektor auch für die Belange der Gemeinden zuständig war.
10 runter, 7 rauf
jg. Zu einem besonderen Bocksprung hat 2009 die Gemeinde Langenbruck angesetzt. Um mehr Einwohner anzulocken, senkte sie auf das Jahr 2007 hin ihre Steuern gleich um 10 Prozentpunkte. Der Kanton suchte daraufhin das Gespräch mit der Gemeinde, da eine solche Senkung nicht nachhaltig ist. So wurde der Langenbrucker Steuerfuss drei Jahre später um satte 7 Prozentpunkte angehoben, um im Folgejahr gleich wieder um 2 weitere reduziert zu werden. In den vergangenen Jahren bewilligten die Budget-Einwohnergemeindeversammlungen von Hersberg (für 2022), Thürnen (2022) und Wittinsburg (2018) Erhöhungen um jeweils 4 Prozentpunkte. Oberdorf sprang für 2020 sogar um 5 Prozentpunkte nach oben. Auf der anderen Seite ist Ramlinsburg im Oberbaselbiet das Paradies der Steueroptimierer. Dort «schraubte» die Einwohnerversammlung im November erneut am Steuersatz, der damit innert zehn Jahren gleich um 10 Prozentpunkte (auf 52 Prozent) sank. Da kann nur noch Maisprach mit minus 8 Prozentpunkten in acht Jahren Paroli bieten.
Prozentpunkte, Steuerfüsse
jg. Die Gemeinden legen ihre Steuerfüsse anhand der Staatssteuer fest. Im Baselbiet liegt der Durchschnittssteuerfuss im Gegensatz zu vielen anderen Kantonen deutlich unter 100 Prozent. Möchte eine Gemeinde, um Nusshof als Beispiel zu nehmen, ihren Steuerfuss von 59 auf 65 Prozent anheben, so beträgt die Differenz zwar 6 Prozentpunkte. Auf das Portemonnaie wirkt sich diese Erhöhung aber um rund 10 Prozent aus. Wenn aber die Gesamtsteuerbelastung – also inklusive Staatsund Bundessteuer – betrachtet wird, so relativiert sich die Steuererhöhung auf Gemeindeebene wieder.