Ode an die Letzte
28.06.2024 BaselbietDas Letzte ist das doch. Wenn wir die «Basler Zeitung» exakt in der Mitte aufschlagen, so findet sich dort immer die gleiche Seite. Umfasst die ganze Ausgabe 36 Seiten, so betrifft es die Seite 18; umfasst sie tags darauf nur 32 Seiten, so stossen wir halt auf Seite 16 auf die gleiche ...
Das Letzte ist das doch. Wenn wir die «Basler Zeitung» exakt in der Mitte aufschlagen, so findet sich dort immer die gleiche Seite. Umfasst die ganze Ausgabe 36 Seiten, so betrifft es die Seite 18; umfasst sie tags darauf nur 32 Seiten, so stossen wir halt auf Seite 16 auf die gleiche knappe Ressort-Überschrift: «Letzte» – ohne einen Artikel davor. Muss die Sprachpolizei für einmal statt bei der Sprache beim Rechnen nachhelfen?
Nein. Die «Letzte» ist eine Ehrerbietung an die Geschichte der Zeitungsproduktion, die früher mit weit höherem Zeitaufwand verbunden war als heute. Deshalb war die «Letzte Seite», wie sie lange hiess, tatsächlich die letzte Seite, die in der Nacht produziert wurde. Vor nicht einmal 40 Jahren fand sich bei der «bz» dort zum Beispiel der Spielbericht zum FCB-Match des Vorabends. Berichterstatter Hans Dieffenbach fuhr vom alten Joggeli mit dem Mofa nach Hause, haute dort den Spielbericht in die Maschine und lieferte ihn nach Mitternacht in der Redaktionsstube ab. Dort wurde sein Text meist ungeschaut gesetzt und danach auf der letzten Seite untergebracht. Er war damit gleich neben den Kurzmeldungen zu verschiedenen Gemeindeversammlungen platziert, die kurz vor Mitternacht durchtelefoniert wurden.
Damit war die letzte Seite immer die aktuellste und mit ihrem Themenmix zugleich die bunteste im ganzen Blatt. Neben Rot-Blau floss dort auch reichlich rotes und blaues Blut. Das wiederum führte dazu, dass die Leserinnen und Leser oft die Zeitung von hinten lasen. So hielt es auch die Mutter des heutigen Sprachpolizisten ein Leben lang.
Bei einer Umfrage zu den Lese-Gewohnheiten von vor nicht einmal 20 Jahren stellte die «Volksstimme» fest, dass 46 Prozent ihre Lektüre vorne beginnen, sich 12 Prozent gleich auf den Sportteil, die Einstiegsdroge der Jungen, stürzen, aber ganze 28 Prozent mit dem Ende anfangen. Ein Grund dafür liegt sicher darin, dass es nach der letzten dann nicht mehr weit ist zur beliebtesten Seite, den Todesanzeigen. Zudem fällt Rechtshändern so das Blättern leichter.
Jedenfalls wird bei der «Volksstimme» noch immer von rund einem Drittel Retour-Leser ausgegangen. Und so erklärt sich auch, weshalb sich einst der «Letzte Seite»- Redaktor bei der «Basler Zeitung» an der Abschluss-Sitzung jeweils wie der Chefredaktor aufspielte, obschon damals die «Letzte» ihren privilegierten Platz im Blatt längst an den Sport abgetreten hatte. Dafür steht die traditionsreiche Seite jetzt in anderer – mathematischer – Weise im Mittelpunkt.
Jürg Gohl