«Noch heute verändern wir die Landschaft tagtäglich»
19.04.2024 BaselbietLaura Chavanne, Abteilungsleiterin Kantonsplanung, über den Nutzen der Landschaftstypisierung
Welche Erkenntnisse hat die Einteilung des Baselbieter Kantonsgebiets in verschiedene Kategorien gebracht? Laura Chavanne, die Leiterin der Abteilung Kantonsplanung im Baselbieter Amt ...
Laura Chavanne, Abteilungsleiterin Kantonsplanung, über den Nutzen der Landschaftstypisierung
Welche Erkenntnisse hat die Einteilung des Baselbieter Kantonsgebiets in verschiedene Kategorien gebracht? Laura Chavanne, die Leiterin der Abteilung Kantonsplanung im Baselbieter Amt für Raumplanung, gibt Auskunft.
David Thommen
Frau Chavanne, was ist der Nutzen davon, die Landschaft des Kantons in verschiedene Typen einzuteilen?
Laura Chavanne: Die Kantone wie auch die Regionen und die Gemeinden haben die herausfordernde Aufgabe, die Landschaft zu schonen sowie Siedlung, Verkehr und Landschaft aufeinander abzustimmen. Bisher fehlte dazu im Kanton eine gesamträumliche Grundlage, welche die Baselbieter Landschaften und deren Qualitäten beschreibt. Mit der vorliegenden fachlichen Grundlage zeigt der Kanton auf, welche charakteristischen Landschaftstypen im Kanton vorkommen, welche prägende Merkmale – oder «Schlüsselelemente» – sie jeweils auszeichnen und wo diese Landschaftstypen hauptsächlich vorzufinden sind. Die Landschaftstypen wurden in Zusammenarbeit mit den Fachstellen, die hauptsächlich mit landschaftsrelevanten Vollzugsaufgaben betraut sind, erarbeitet und dies trägt so zu einem gemeinsamen Landschaftsverständnis innerhalb der kantonalen Verwaltung bei. Das ist wichtig, weil «Landschaft» von vielen Sektoralpolitiken, also Bereichsstrategien, beeinflusst wird und nur gemeinsam qualitätsvoll weiterentwickelt werden kann.
Wenn Sie diese Karte nun so anschauen: Hat Sie etwas überrascht?
Die Karte zeigt doch sehr deutlich auf, wie vielfältig die Landschaften im Kanton sind, und, dass sich die Siedlungen – insbesondere auch historisch – in den Tälern entlang der grösseren Fliessgewässer entwickelt haben und hier das ursprüngliche offene Landschaftsbild häufig dominieren.
Gibt es im Vergleich mit anderen Kantonen im Baselbiet Spezialitäten?
Viele der Landschaftstypen kommen auch in den anderen Regionen und Kantonen der Schweiz vor, weisen aber nicht überall die gleichen Merkmale und Ausprägungen auf. Einige Besonderheiten im Kanton sind: Die imposanten und exponierten Felsflühe und Felsformationen, das sehr ausgeprägte Wald-Offenland-Mosaik im Faltenjura, insbesondere im Bölchen-Passwang-Gebiet, die Hochflächen im Tafeljura mit den Haufendörfern und den sie umgebenden Hochstammobstgärten, die Feldscheunen, die vielen Burgen und Burgruinen oder die im schweizweiten Vergleich doch grossflächige Hafen- und Industrielandschaft im Bereich der beiden Rheinhäfen und der Schweizerhalle.
Verändert sich die Landschaft aktuell noch? Gibt es Gebiete, die auf der Kippe sind und bald einer anderen Kategorie zugeordnet werden müssen, etwa wegen zunehmender Verstädterung?
Die Landschaft ist das Resultat von natürlichen Prozessen und menschlicher Aktivitäten. Sie hat sich über Jahrtausende geformt und gestaltet. Noch heute verändern wir die Landschaft tagtäglich mit all unseren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten: mit unserem Freizeitverhalten, durch die landwirtschaftliche Bewirtschaftung, mit der Bautätigkeit, mit Revitalisierungen und so weiter. In 20 Jahren sieht die Bestandsaufnahme, ob in der Karte oder in der Beschreibung der charakteristischen Landschaftstypen, naturgemäss nicht mehr ganz gleich aus.
Naturschutzgebiete haben es auf der Karte nicht zum eigenen Typus geschafft. Hat der Kanton Baselland hier in den vergangenen Jahrzehnten etwas verpasst oder verschlafen?
Die Charakteristiken einer Landschaft sind unabhängig davon, ob ein Gebiet geschützt oder schützenswert ist oder nicht. Die Landschaftstypologie ist denn auch kein Inventar und bezeichnet weder Schutzgebiete noch legt sie Schutzbestimmungen fest. Der Kanton hat im Übrigen in den letzten Jahren mehrere Gebiete ins Inventar der geschützten Naturobjekte aufgenommen, und nimmt seine Aufgabe in diesem Bereich wahr.
Wo hätte sich die Landschaft Ihrer Meinung nach in der Vergangenheit anders entwickeln sollen? Kurz: Hat es aus heutiger Sicht historische Fehlentwicklungen gegeben?
In der Landschaftstypisierung werden diese Charaktere bewusst nicht gewertet. Die Entwicklungen haben jeweils ihre eigene Geschichte und spezifische Hintergründe. Sie haben dazu geführt, dass die Landschaft heute so vielfältig ist und sehr unterschiedliche Landschaftstypen aufweist.Alle Landschaftstypen haben ihren eigenen Charakter.
Auffällig ist, dass die Gebiete entlang von Rhein und Ergolz zwischen Birsfelden bis hoch nach so gut wie ohne Unterbrechung als Siedlungslandschaft gelten. Ist diese starke Konzentration auf die Hauptachse wünschenswert?
Die Landschaftstypisierung ist eine Bestandsaufnahme 2020 des Ist-Zustands der Baselbieter Landschaften. Sie sagt nichts über eine erwünschte räumliche Entwicklung aus. In dieser Bestandsaufnahme stellen wir fest, dass an vielen Stellen in den Tälern die Siedlungstextur das Landschaftsbild am meisten «prägt». Die anderen Texturen – also Strukturen – wie die Agrartextur, Waldtextur oder Gewässertextur sind teilweise noch vorhanden oder erkennbar, haben für das Landschaftsbild aber eine untergeordnete Bedeutung.
Im Oberbaselbiet gibt es – neben der Hauptachse – mit Bubendorf nur noch ein einziges weiteres starkes Siedlungsgebiet. War es stets die Absicht der Kantonsplanung, das Oberbaselbiet möglichst ländlich zu erhalten?
Hier verlassen wir das Thema der Landschaftstypologie. Die Siedlungsgebiete und die gewünschte Siedlungsentwicklung sind im Kantonalen Richtplan (Krip) beziehungsweise im Raumkonzept BL festgesetzt. Das vom Landrat 2018 beschlossene Raumkonzept unterscheidet vier Raumtypen: Verdichtungsraum der inneren Korridore, Haupt- und Regionalzentren, ländliche Entwicklungsachsen und ländlicher Siedlungsraum. Die Schwerpunkte der Siedlungsentwicklung liegen in den Zentren, den inneren Korridoren und den ländlichen Entwicklungsachsen. Für die Raumtypen gibt es unterschiedliche Dichteziele. Das Raumkonzept sieht gleichzeitig vor, dass das relative Wachstum der Bevölkerung und der Beschäftigten im Kanton Basel-Landschaft in allen Teilräumen gleichmässig erfolgen soll.
Der Bund hat vor nicht allzu langer Zeit befunden, dass in vielen vorab kleinen Gemeinden die Bauzonen zu gross sind. Daher wurden Rückzonungen angeordnet. Nimmt man damit den Gemeinden nicht den Spielraum, um sich nach eigenem Gusto entwickeln zu können?
Das Raumplanungsgesetz und der Kantonale Richtplan geben den Rahmen für die Entwicklung vor. Wie die Siedlungen innerhalb dieses Rahmens gestaltet werden und welche Qualitäten sie aufweisen sollen, legen die Gemeinden mit ihren Planungsinstrumenten fest.
Das Mantra lautete in den vergangenen zwei Jahrzehnten «verdichtetes Bauen». Vielen missfällt dies mittlerweile, da die Siedlungsqualität leidet und die Natur aus dem bebauten Raum verdrängt wird. Was ist das künftige Credo?
Das Raumplanungsgesetz gibt vor, Siedlungen nach innen zu entwickeln und die Landschaft zu schonen. Dabei sind die Siedlungen nach den Bedürfnissen der Bevölkerung zu gestalten und sie sollen unter anderem «viele Grünflächen und Bäume enthalten». Diese Grundsätze sind in der Raumplanung nach wie vor massgebend.
Wann wird das verdichtete Bauen an seine Grenzen kommen? Wann wird man dazu übergehen müssen, heutiges Landwirtschaftsland zu überbauen?
Der Umfang der (Wohn-)Bauzonen soll dem voraussichtlichen Bedarf für die nächsten 15 Jahre entsprechen. Kann der Bedarf nicht mehr durch Verdichtung der bebauten Zonen mit Wohnnutzung oder durch Überbauung bisher unbebauter Zonen mit Wohnnutzung abgedeckt werden, können in zweiter Priorität Umzonungen die Kapazität erhöhen. Erst in dritter Priorität sieht der Kantonale Richtplan die Einzonung von Nichtbauzonen vor.
Die vorliegende Karte mit der Typisierung der Landschaft ist eine Grundlage für Fachleute. Doch wird sie irgendwann konkrete raumplanerische Folgen haben?
Die Landschaftstypologie ist eine Grundlage, die dazu dient, Planungen und Vorhaben aus landschaftlicher Sicht zu beurteilen. So liefert sie unter anderem Anhaltspunkte für Interessenabwägungen. Die Landschaftstypologie stellt ein Zwischenergebnis der kantonalen Landschaftskonzeption dar. In der kantonalen Landschaftskonzeption werden in weiteren Schritten Landschaftsqualitätsziele formuliert und die Stossrichtung für die Umsetzung festgelegt. Sie dient unter anderem als Grundlage für den Kantonalen Richtplan. Ziel ist es, den Kantonalen Richtplan mit gesamtlandschaftlichen Aspekten anzureichern.
Wie sieht die Karte Ihrer Meinung nach in 50 oder 100 Jahren aus?
Landschaft ist ein Raum, wie er von Menschen wahrgenommen wird. In 50 oder 100 Jahren wird sich nicht nur die Landschaft objektiv verändert haben, auch die menschliche Wahrnehmung wird sich ändern. Elemente, die heute als «fremd» wahrgenommen werden, sind in 50 Jahren vielleicht charakteristische Merkmale eines Landschaftstyps. Wie eine Bestandsaufnahme in 50 oder 100 Jahren aussieht, lässt sich daher nicht abschätzen.
Zur Person
tho. Laura Chavanne (37) ist seit 2015 in der Abteilung Kantonsplanung im Baselbieter Amt für Raumplanung tätig, zunächst als Fachplanerin Landschaft, seit Dezember 2023 nun als Abteilungsleiterin. Sie absolvierte einst ein Bachelorstudium Landschaftsarchitektur in Brüssel und danach das Masterstudium MSE Raumentwicklung und Landschaftsarchitektur in Rapperswil.