«‹Netto-Null› geht nur, wenn die Bevölkerung mitzieht»
25.01.2024 Bezirk LiestalWelche Energiestrategie passt zu welcher Gemeinde?
Wie Gemeinden vom Klimaschutz finanziell profitieren können und warum er für mehr Dorfläden plädiert, erklärt Valentin Pfäffli, Projektleiter bei der Enco Energie-Consulting AG.
Tobias ...
Welche Energiestrategie passt zu welcher Gemeinde?
Wie Gemeinden vom Klimaschutz finanziell profitieren können und warum er für mehr Dorfläden plädiert, erklärt Valentin Pfäffli, Projektleiter bei der Enco Energie-Consulting AG.
Tobias Gfeller
Herr Pfäffli, Sie haben schon viele in der Region Basel beraten und begleitet. Finden Sie, die Gemeinden machen in Sachen Klima- und Energiepolitik genug?
Valentin Pfäffli: Wir nehmen unterschiedliche Tempi wahr. Der Ambitionsgrad ist in der Tat sehr verschieden. Der Kanton Basel-Stadt ist natürlich sehr ambitioniert unterwegs und nimmt neben den direkten auch die indirekten Emissionen ins Visier.
Längst nicht alle Gemeinden nehmen die Energie- und Klimapolitik so ernst wie Basel-Stadt. Woran hapert es?
Ziele zu definieren ist das eine, griffige Massnahmen umzusetzen ist das andere. Ziele sind oft akzeptierter als Massnahmen, so zum Beispiel beim motorisierten Individualverkehr. Dort merkt man: Das darf auf keinen Fall angepackt werden. Dann gibt es andere Bereiche, in denen die Akzeptanz grösser ist. Dazu gehört der Heizungsersatz mit erneuerbaren Energien, der in gewissen Jahren erfolgen muss.
Weshalb muss eine kleinere Gemeinde auf dem Land überhaupt Massnahmen im Bereich Verkehr ergreifen?
Eine kleine Oberbaselbieter Gemeinde hat eine ganz andere Ausgangslage als Basel-Stadt. Es kann nicht die Erwartungshaltung sein, dass die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs die gleiche ist. Man muss eine vernünftige Sichtweise einnehmen und sich fragen, wie eine sinnvolle Verkehrswende in Basel und in Rünenberg aussieht. (Valentin Pfäffli berät aktuell unter anderem die Gemeinde Rünenberg; Anmerkung der Redaktion). Wenn in Basel-Stadt 2050 gleich viele Autos pro Haushalt stehen wie in Rünenberg, dann wäre etwas schiefgelaufen. So kann man sich in Rünenberg fragen, ob es wirklich ein Zweitauto braucht, in Basel kommt man vielleicht gar ohne Auto gut aus.
Eine Lösung für alle Gemeinden gibt es demnach nicht?
In den meisten Bereichen nicht. In der Mobilität unterscheiden sich die Voraussetzungen stark. Auch im Heizungsbereich gibt es Unterschiede. In der dicht besiedelten Stadt gibt es weniger Platz für Wärmepumpen und Pelletheizungen. Auch gibt es weniger Dachflächen pro Einwohnende als auf dem Land, wo in der Regel mehr Einfamilienhäuser stehen. Folglich ist das Potenzial für Photovoltaik pro Kopf auf dem Land grösser. Dafür wird es in kleineren ländlicheren Gemeinden weniger Verbundlösungen mit Fernwärme geben, weil die Wärmedichte zu klein ist. Eine gute Lösung muss den Kontext berücksichtigen.
Sie sagen, der Ambitionsgrad in den Gemeinden ist sehr unterschiedlich. Wovon hängt dieser konkret ab?
Das ist abhängig vom politischen Auftrag sowie von Personen auf der Verwaltung oder im Gemeinderat. In der Regel legen Städte mehr Tempo vor. Aber dieser Stadt-Land-Graben muss gar nicht geschlagen werden: Es gibt auch sehr fortschrittliche kleine Gemeinden.
Helfen Subventionen und grundsätzliche, staatliche Eingriffe?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Subventionen eine gute Unterstützung sind und in der Tat ausschlaggebend für Investitionen sein können. Aber einfach nur Geld verteilen bringt es auch nicht. Fordern und fördern, wie es Basel macht, ist ein guter Ansatz.
Man kann aber nicht den reichen Kanton Basel-Stadt mit kleineren, finanzschwächeren Gemeinden vergleichen. Wie gehen Sie als Berater diesen Unterschied an?
Wir beraten aus fachlicher Sicht, um bis spätestens 2050 klimaneutral zu sein. Schliesslich sind es die Gemeinden selbst, welche die Verantwortung tragen müssen. Wir zeigen die möglichen Lösungen und deren Wirkungen auf. Dabei sind oft Massnahmen beliebter, die weniger einschneidend sind, folglich auch weniger bewirken. So werden zum Beispiel lieber Energiespartipps verteilt, als den Autoverkehr effektiv hin zum Aktiv- und öffentlichen Verkehr zu verlagern. Parkplatzabbau ist beispielsweise praktisch immer eine heikle Sache.
Da sind wir wieder beim Thema Auto. Parkplätze aufzuheben, ist auf dem Land eine Utopie. Was empfehlen Sie kleineren , ohne dass das Dorf in Schrecken versetzt wird?
In den nächsten Jahren geht es in den Gemeinden um das Ersetzen der Heizungen, die Elektrifizierung der Mobilität und den Ausbau der Photovoltaikanlagen (PVA). Gemeindeverwaltungen können auch bei sich selber viel tun: Ist das Photovoltaik-Potenzial auf den gemeindeeigenen Gebäuden ausgeschöpft? Haben wir eine Idee, wie wir unsere Heizungsinfrastruktur dekarbonisieren und die Elektrifizierung beziehungsweise das Umstellen auf nachhaltige Antriebsformen der gemeindeeigenen Fahrzeugflotte angehen können?
Man muss also die Bevölkerung und die Gemeindeverwaltung mit ins gleiche Boot holen. Wie leisten Sie Überzeugungsarbeit?
Es braucht Akzeptanz. Dafür ist Partizipation wichtig. «Netto-Null» geht nur, wenn die Bevölkerung mitzieht. Es lohnt sich deshalb zu überlegen: Wie holt die Gemeinde die Bevölkerung ab? Das ist zum Beispiel über eine Konsultationsplattform oder Anlässe möglich. Auch könnten ganz bewusst gewisse Interessensgruppen bei der Ausarbeitung von konkreten Klimaschutzlösungen einbezogen werden.
Wie wichtig sind die finanziellen Voraussetzungen einer Gemeinde?
Es gibt auch Massnahmen, die absolut kostenneutral sind: Die günstigste Kilowattstunde ist jene, die man gar nicht braucht. Das will man oft nicht hören. Aber eigentlich müsste jeder Prozess mit der Frage beginnen, ob es das oder jenes wirklich braucht. Das kann jede Gemeinde machen; eine saubere Bedarfsabklärung. So könnten die Gemeinden ihre Gebäude zur Mehrfachnutzung öffnen. Wenn das Geld für eine PV-Anlage fehlt – bei Privaten oder Gemeinden – kann das eigene Dach auch vermietet und die Anlage später übernommen werden. Die Diskussion hört nicht dann auf, wenn zurzeit kein Geld zur Verfügung steht.
Die Enco AG fungiert auch als Geschäftsstelle des Trägervereins des Energiestadt-Labels. Dieses geriet in letzter Zeit vermehrt in die Kritik. Einzelne Gemeinden haben das Label nicht verlängert. Können aus Ihrer Sicht Labels helfen?
Ich kann gut hinter dem Energiestadt-Label stehen. Das Wichtigste ist aber, dass man die Hausaufgaben für den Klimaschutz und die Energiewende macht, ob mit oder ohne Label. Hinter dem Label Energiestadt steht ein ganzer Prozess, bei dem Gemeinden langfristig verfolgen, ob sie auf Kurs sind oder nicht. Ihnen wird aufzeigt, ob sie den Handlungsspielraum vollumfänglich ausschöpfen. Somit sehe ich einen Mehrwert des Energiestadt-Labels für alle Gemeinden, die den Klimaschutz ernst nehmen.
Wir haben viel über Kosten und Investitionen gesprochen. Wie können sich Klimaschutzmassnahmen finanziell für eine Gemeinde lohnen?
Es gibt natürlich Massnahmen, die sich einfach durchrechnen lassen. Wenn die Gemeinde beispielsweise ein öffentliches Gebäude saniert und folglich Heizkosten spart. Oder es noch immer freie Dächer auf öffentlichen Gebäuden gibt, die für Photovoltaik grosses Potenzial hätten. Dort gibt es auch ein wirtschaftliches Potenzial, das noch nicht ausgeschöpft wurde.
In vielen kleineren Gemeinden gibt es keinen Laden mehr. Doch lokal einkaufen, um sowohl bei den Produkten wie auch bei sich selber weite Wege zu verhindern, hilft in Sachen Klimaschutz. Braucht es mehr Dorfläden?
Wenn man die Klimaproblematik konsequent zu Ende denkt, ist das definitiv ein Punkt. Lokale und saisonale Produkte machen Sinn. Das ist ein Thema, das in die Dörfer gehört und die Bevölkerung direkt betrifft. Es gibt ja viele produzierende Betriebe in der Umgebung. Da kann eine Gemeinde ebenfalls überlegen, wie sie dies unterstützen kann. Zum Beispiel, indem sie eine Organisation anstösst oder einen Raum für ein Lädeli zur Verfügung stellt.