«Mit Winterstrom lassen sich die Anlagen refinanzieren»
09.05.2025 BaselbietDer Chef für Energiefragen beim Kanton, Christoph Plattner, ist überzeugt, dass Windräder für die Energiesicherheit wichtig werden
Mit der Energiemangellage haben sich die Rahmenbedingungen für die Windenergie verbessert. Seit dem Bau des ersten Windrads der ...
Der Chef für Energiefragen beim Kanton, Christoph Plattner, ist überzeugt, dass Windräder für die Energiesicherheit wichtig werden
Mit der Energiemangellage haben sich die Rahmenbedingungen für die Windenergie verbessert. Seit dem Bau des ersten Windrads der Schweiz in Langenbruck ist im Baselbiet kein neues dazugekommen. Die Straffung des Bewilligungsprozesses soll das ändern.
Nikolaos Schär
Herr Plattner, Sie haben in einem Beitrag im hauseigenen Infoheft die Frage gestellt, ob Windkraft im Baselbiet zukünftig eine wichtig Rolle in der Stromproduktion spielen wird. Was hat Sie zu diesem Artikel veranlasst?
Christoph Plattner: Der Ukraine-Krieg und das darauf folgende erhöhte Risiko einer Energiemangellage. Das hat viele Fragen ausgelöst im Landrat, aber auch verwaltungsintern. Was können wir im Kanton selber beitragen zu einer sicheren, klimaverträglichen und bezahlbaren technologieoffenen Energieversorgung? Das betrifft bei Weitem nicht nur Windenergie, sondern eigentlich alle Energieträger. Wir verfolgen mehrere Stossrichtungen: die Energieeffizienz verbessern, Energie sparen, aber auch die im Kanton vorhandenen erneuerbaren Energiequellen tatsächlich nutzen.
Windräder polarisieren – da sie von vielen als Eingriff ins Natur- und Landschaftsbild angesehen werden. Wie lässt sich ihre Akzeptanz erhöhen?
Eine sichere Energieversorgung erreichen wir nur mit einem ausgewogenen Mix – mitunter aus Wasserkraft, Photovoltaik und eben auch Windenergie. Wenn man den Zusammenhang versteht, dass Windkraft einen konkreten Beitrag zur Versorgungssicherheit – insbesondere im Winter – leisten kann, ja sogar leisten muss, verändert das die Haltung. Lange Zeit war Energie in der Schweiz jederzeit und zu tiefen Preisen verfügbar – das erschien vielen als selbstverständlich. Die Energiemangellage hat uns gezeigt, dass dem nicht so ist. Es ist wichtig, dass wir unabhängiger werden. Und wenn Windanlagen gebaut werden, sollte die Bevölkerung nicht nur die Auswirkungen tragen müssen, sondern auch profitieren können – etwa durch Beteiligungsmöglichkeiten für Gemeinden oder Anwohnerinnen und Anwohner. Solche Modelle werden in anderen Kantonen derzeit geprüft.
Die Bewilligungsverfahren für Windparks sind in der Schweiz heute sehr langwierig. Was würde das Plangenehmigungsverfahren (siehe Kasten) an diesen Prozessen ändern?
Für den Bau einer Windanlage braucht es heute drei wesentliche Schritte: Erstens muss ein entsprechender Eintrag im kantonalen Richtplan vorliegen – das ist im Kanton Baselland bereits der Fall: Hier sind sechs Windpotenzialgebiete im Richtplan festgesetzt. Zweitens muss die Gemeinde die Nutzungsplanung anpassen und eine Zone für Windenergieanlagen festlegen. Drittens ist ein Baubewilligungsverfahren zu durchlaufen. Gegen jeden dieser Schritte kann juristisch vorgegangen werden – beim Richtplan etwa mit einem Planungsreferendum, bei der Zonenplanung und der Baubewilligung mit Rechtsmitteln bis vor Bundesgericht. In einigen Kantonen ist inzwischen eine Straffung des Verfahrens erfolgt. Dabei würden die Nutzungsplanung und das Baubewilligungsverfahren gebündelt. Der Richtplaneintrag bliebe weiterhin erforderlich. Danach würde in einem koordinierten Verfahren sowohl die zonenrechtliche Voraussetzung geschaffen als auch die Baubewilligung erteilt. Die Rechtsmittel blieben bestehen – Planungsreferendum und Einsprachen wären weiterhin möglich, allerdings nur noch an zwei statt an drei Stellen.
Für die Zonenplanung sind die verantwortlich. Würde sich diese Aufgabe an den Kanton verschieben?
Das hängt dann von der konkreten Ausgestaltung ab. Das müsste man dann im politischen Prozess definieren, wie das Verfahren ablaufen soll. Die verfahrensleitende Behörde könnte tatsächlich der Kanton sein. Die Gemeinde würde in jedem Fall in den Prozess einbezogen. Im Bundesparlament findet aktuell eine Diskussion statt, ob man den Kantonen so ein Verfahren nicht vorschreiben möchte. Dort sind auch Diskussionen darüber im Gang, in welcher Form die Gemeinden in dieses Verfahren einbezogen sein sollen. Eine andere Idee, die im Bundesparlament diskutiert wird, ist, dass Projektträger verpflichtet werden, den Gemeinden eine Beteiligung an Windparks anzubieten. Ob sie diese Möglichkeit nutzen, bleibt aber weiterhin jeder Gemeinde selbst überlassen. Schon heute können sich Gemeinden freiwillig an solchen Projekten beteiligen.
Welche Kantone haben das Plangenehmigungsverfahren schon eingeführt?
Die Kantone Luzern und St. Gallen haben es bereits eingeführt. In der Beratung ist es im Moment in Schaffhausen und in Zürich.
Werden damit nicht die Einspracherechte beschnitten, wenn nur noch zweimal gegen die Bewilligung einer Anlage geklagt werden kann?
An den Einsprachemöglichkeiten ändert sich nichts – im Gegenteil: Die Öffentlichkeit erfährt im Plangenehmigungsverfahren sogar früher, was konkret geplant ist. Denn der Projektträger muss das Vorhaben bereits so weit ausarbeiten, dass es baureif ist. Bei der heutigen Zonenplanung hingegen geht es in erster Linie um die Festlegung von Art und Mass der Nutzung, später kommen konkretere Aspekte dazu.
Grosse Windparks sind neu von nationalem Interesse. Was bedeutet das genau? Können künftige Windparks auch in Gebieten von schützenswerten Landschaften errichtet werden?
Wenn eine Energieproduktionsanlage heute in einem Schutzgebiet von nationalem Interesse geplant wird, erlaubt erst der Status des «nationalen Interesses» eine Interessenabwägung. Früher war das gar nicht möglich – der Schutz hatte automatisch Vorrang. Jetzt kann im Einzelfall geprüft werden, welches Interesse überwiegt. Das heisst aber nicht, dass Energieanlagen nun automatisch in Schutzgebieten gebaut werden dürfen.
In den bestehenden Windpotenzialgebieten wurde bisher kein Projekt umgesetzt. In Zunzgen/ hat die EBL zu wenig Wind gemessen, beim Schleifenberg verschwand das Projekt trotz guter Windverhältnisse wieder in der Schublade, und in Ziefen/Reigoldswil wurde der Eingriff in die Natur als zu gross eingestuft.
Ob diese Projekte unter neuen Rahmenbedingungen wieder aufgegriffen werden, können nur die Projektträger sagen. Wir können uns nur zu den öffentlich bekannten Projekten in Muttenz und dem der IWB auf dem «Chall» bei Röschenz/Kleinlützel äussern, die beide noch am Laufen sind.
Neben den sechs Windpotenzialgebieten, die bereits für Windräder ausgewiesen wurden, gibt es noch andere in der Region zwischen Waldenburg und Eptingen, die für Windräder infrage kamen. Werden diese nun in den Richtplan aufgenommen?
Bereits 2013/14 wurde erstmals beurteilt, welche Gebiete im Kanton für Windenergie geeignet wären. Damals – ohne nationales Interesse für Windenergie und ohne absehbare Stromverbrauchszunahme – legte man sechs Potenzialgebiete fest und nahm weitere als Vororientierung in den Richtplan auf. Eine verbindliche Festsetzung war rechtlich noch nicht möglich. Inzwischen hat sich die Ausgangslage verändert: Das Bundesrecht anerkennt Windenergie als nationales Interesse, die Energiekrise nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs hat neue Fragen aufgeworfen, und auch technologisch gab es Fortschritte. Deshalb hat der Regierungsrat beschlossen, die Situation neu zu beurteilen. Eine neue kantonale Windstudie ist derzeit in Arbeit. Ob daraus eine Richtplananpassung folgt, ist letztlich eine politische Entscheidung.
Ist davon auszugehen, dass die zur Vororientierung ausgeschiedenen Gebiete neu in den Richtplan aufgenommen werden?
Die Studie ist noch am Laufen. Man prüft das ganze Kantonsgebiet noch einmal flächendeckend auf mögliche Standorte für Windanlagen.
Der Bund hat auf einer Karte geeignete Standorte für Windräder anhand der Windgeschwindigkeiten definiert. Haben sich diese Flächen unter den heutigen technischen Möglichkeiten und klimatischen Bedingungen verändert?
Die Schätzungen aus dem Jahr 2013/14 wurden durch Berechnungen des Bundes bestätigt. Damals hatten wir in den Windpotenzialgebieten des Kantons ein Potenzial von gesamthaft 500 bis 600 Gigawattstunden abgeschätzt. Das Bundesamt für Energie kam zu vergleichbaren Zahlen. Was bei der neuen Studie herauskommt, werden wir sehen. Aber ich gehe nicht davon aus, dass es grosse Abweichungen geben wird.
Die Windgeschwindigkeiten in den vorgesehenen Zonen im Baselbiet liegen mit rund 5 m/s am unteren Rand der Rentabilität. Kritiker befürchten deshalb einen unverhältnismässig starken Eingriff in die Landschaft – zumal in den Alpen mit deutlich mehr Wind viel effizienter produziert werden könnte.
Windenergie hat einen entscheidenden Vorteil: Zwei Drittel der Produktion fallen in die Wintermonate, also genau in jene Zeit, in welcher der Strombedarf besonders hoch ist und künftig weiter steigen dürfte. Der Strom wird in dieser Zeit auch deutlich mehr wert sein als in der Vergangenheit. Deshalb steht heute weniger die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund, sondern die Frage, ob die Schweiz rasch genug neue Anlagen bauen kann, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Generell ist Windkraft die kostengünstigste Technologie für Winterstrom und ergänzt damit Photovoltaik und Wasserkraft ideal. Wie wirtschaftlich ein konkretes Projekt ist, hängt letztlich aber auch von den jeweiligen Standorteigenschaften ab.
Das heisst, mit einer hohen Nachfrage nach Winterstrom erübrigt sich die Frage nach der Rentabilität?
Der Winterstrom wird nach meiner Einschätzung so wertvoll sein, dass sich die Anlagen refinanzieren lassen.
Die bestehenden Gebiete für Windparks liegen mehrheitlich in Waldgebieten, die ebenfalls unter nationalem Schutz stehen. Wenn für Windräder gerodet wird, müssen die Flächen in der Nähe kompensiert werden – etwa durch Aufforstung oder ökologische Aufwertungen. Würde ein Plangenehmigungsverfahren an dieser Ausgangslage etwas ändern?
Ein Nachteil des heutigen dreistufigen Verfahrens ist, dass bereits mit der Zonenplanänderung eine Umwidmung von Wald zu Windenergiezone erfolgt – und damit auch die Ersatzpflichten fällig werden. Das passiert zu einem Zeitpunkt, an dem noch gar nicht klar ist, ob die Anlage überhaupt gebaut werden kann. Beim Plangenehmigungsverfahren wäre das anders: Die Ausgleichs- und Ersatzleistungen würden erst dann fällig, wenn klar ist, dass die Anlage auch tatsächlich gebaut werden darf. Das ist ein starkes Argument für dieses Verfahren. Heute überlegen sich Projektträger gut, ob sie dieses Risiko eingehen wollen.
Die Risiken für die Investoren nehmen also ab?
Ja, das würde die Rahmenbedingungen verbessern. Vor allem, wenn es um die Waldstandorte geht.
Nun gibt es auch Ängste aus der Bevölkerung über gesundheitliche Risiken von Windanlagen. Die Rede ist von einem tieffrequenten Lärm der Rotoren und von periodischem Schattenwurf. Sind die Argumente berechtigt, oder fallen sie in die Kategorie Mythen?
Wenn man auf Gemeinden blickt, in denen bereits Windanlagen stehen – etwa in Chur, nahe an Wohnsiedlungen, oder im Entlebuch, in der Nähe von Höfen – und sieht, dass die Bevölkerung dort weiteren Anlagen offen gegenübersteht, zeigt das: Mit Windenergie lässt sich ein tragfähiger Weg finden. Was die einzelnen Projekte betrifft, sorgt die mehrstufige Interessenabwägung dafür, dass sie sorgfältig geprüft werden. Bewilligt wird nur, was unter Berücksichtigung aller Interessen tatsächlich tragbar ist.
Im Waldenburgertal arbeitet derzeit eine kleine Firma an Windturbinen, die eher einem Düsentriebwerk ähneln. Könnte eine solche Technologie in grosser Zahl in Bodennähe künftig eine Alternative zu den grossen Windrädern sein, die das Landschaftsbild stark verändern?
Je nach Verwendungszweck kann entweder die eine oder die andere Lösung sinnvoller sein. Der Richtplan legt fest, dass sich der Kanton auf grosse Windanlagen und Parks konzentriert, um die Auswirkungen räumlich zu bündeln. Kleinwindanlagen können jedoch ebenfalls sinnvoll sein, besonders an abgelegenen Orten, die nicht ans Stromnetz angeschlossen sind. Solche Kleinwindanlagen gibt es bereits im Kanton. Allerdings wird der grösste Beitrag voraussichtlich von den Grosswindanlagen kommen.
Menschen sind grundsätzlich für ein politisches Anliegen, solange es nicht ihren eigenen Lebensbereich betrifft. Wie könnte Ihrer Meinung nach die Akzeptanz für Windräder in der Bevölkerung ansonsten gesteigert werden?
Ich denke, der Blick auf Regionen, die bereits Erfahrungen mit Windenergie gemacht haben und in denen die Bereitschaft für weitere Anlagen besteht, ist hilfreich. Solche Gegenden gibt es nicht weit entfernt, zum Beispiel in Südbaden, der Franche-Comté in Frankreich oder auch im Kanton Jura und im Entlebuch. Auch hier hat man sich nach anfänglicher Skepsis an die Windkraft gewöhnt.
Kanton will das Verfahren straffen
nsc. In der Schweiz dauert das Bewilligungsverfahren für einen Windpark aufgrund der vielen Einsprachemöglichkeiten im Schnitt 15 bis 20 Jahre. Der Regierungsrat kündigte im Zuge des neuen Energieberichts, der Anfang 2026 erscheinen wird, eine Vorlage an, die unter anderem die Einführung eines Plangenehmigungsverfahrens anstrebt. Dabei werden die Bewilligung der Nutzung im Zonenplan und das Baugesuch zusammengefasst. Mit der Änderung würden sich die Einsprachemöglichkeiten verringern. Zusätzlich läuft eine Windstudie, die das ganze Kantonsgebiet auf Flächen für Windparks überprüft.
Windpark «Burg» kommt vors Bundesgericht
nsc. Seit 16 Jahren ist ein Windpark mit vier Windrädern in Kienberg (SO) und einem in Oberhof (AG) geplant. Doch wegen Einsprachen zweier Privatpersonen liegt das fertig geplante Projekt seit 2021 auf Eis. Diese werfen dem Oberhöfer Gemeindepräsidenten Roger Fricker und dessen Vize Heinz Herzog – beide sind Befürworter des Projekts – Befangenheit vor und fordern, dass sie in den Ausstand treten. Die Rechtsabteilung des Aargauer Bau-, Verkehrs- und Umweltdepartements hiess die Einsprache gut. Gegen diesen Entscheid legte der Oberhöfer Gemeinderat Beschwerde ein. Daraufhin kassierte das Verwaltungsgericht den Entscheid der Aargauer Regierung. Die zwei Privatpersonen zogen den Fall nun weiter ans Bundesgericht.
Die Gesuchsteller behaupten, dass Fricker nicht unvoreingenommen entscheiden könne, da er Mitglied der Projektgruppe sei, welche die «Windpark Burg AG» als Trägerin der Anlage eingesetzt habe. Herzog soll 2013 beim ergriffenen Referendum gegen den Entscheid der Gemeindeversammlung, den Windpark-Vertrag abzulehnen, eine federführende Rolle gespielt haben. Aufgrund des hängigen Verfahrens war es für den Gemeinderat bis heute nicht möglich, die Einspracheverhandlungen zur Planauflage des Projekts aufzunehmen.
Auch gegen den Kienberger Gemeinderat reichten die beiden Privatpersonen ein Ausstandsgesuch ein. Dieses wurde jedoch von der Solothurner Regierung abgewiesen. Die Kienberger Gemeindeversammlung stimmte 2018 für den «Windpark Burg». Laut der Mehrheitsaktionärin AEW Energie AG hätten beide kantonalen Fachstellen bereits die Zustimmung zur Baubewilligung signalisiert, berichtete die «Solothurner Zeitung».