Mit Schreiben lässt sich die Welt verbessern
07.10.2025 Bezirk LiestalLesung mit Zoë Jenny im Dichter:innen- und Stadtmuseum Liestal
Zoë Jenny, Schriftstellerin und Tochter des Basler Autors und Verlegers Matthyas Jenny, las am Freitag in Liestal aus der Biografie ihres Vaters und Auszüge aus ihrem neuen, noch unveröffentlichten ...
Lesung mit Zoë Jenny im Dichter:innen- und Stadtmuseum Liestal
Zoë Jenny, Schriftstellerin und Tochter des Basler Autors und Verlegers Matthyas Jenny, las am Freitag in Liestal aus der Biografie ihres Vaters und Auszüge aus ihrem neuen, noch unveröffentlichten Roman.
Brigitte Keller
«Die Krankenschwester steht am Kopfende, der Pfleger am Fussende des Bettes. Er beugt sich über die Schuhe meines Vaters und bindet einen Knoten in die Schnürsenkel. Wie oft hat er wohl schon einem Toten die Schuhe angezogen?» Dies sind die ersten Sätze der Biografie «Die Nachtmaschine» über Matthyas Jenny. Und mit genau diesen Worten begann Zoë Jenny ihre Lesung am vergangenen Freitag in Liestal.
Das Schreiben einer Biografie sei der ultimative Versuch, gegen das Vergessen einer Person vorzugehen, sagte Jenny zur Begrüssung der Besucherinnen und Besucher. An diesem Abend daraus vorzulesen passe auch, weil sich am 11. Oktober der Todestag ihres Vaters zum vierten Mal jähre.
In der Biografie, die sie zusammen mit ihrem Bruder Caspar Jenny schrieb, hat auch ihr Vater eine Stimme. In das Buch sind Kurzgeschichten, unveröffentlichte Tagebuchauszüge und Romanfragmente von ihm übernommen worden, sagte die Autorin. Es sei also eigentlich ein dreistimmiges Werk.
Das erste Kapitel trägt den Titel «Alles ist nur einmal» und handelt von den letzten Wochen und Tagen im Leben von Zoë Jennys Vater. Das Kapitel endet wie folgt: «Ich wusste, ich sollte ihm Fragen stellen, solange es möglich ist. ‹Alles ist nur einmal.› Den Satz hatte er mir eingebläut, und die Zeit lief erbarmungslos ab. Irgendwann ist der letzte Satz gesagt, das letzte Wort gesprochen. Ich überlegte, Interviews zu führen, mit einem Tonbandgerät alles aufzunehmen, damit kein Wort verloren geht. Aber dann fiel mir wie paralysiert nichts ein, was ich ihn hätte fragen sollen.»
Neu kennenlernen
Danach, während der Arbeit an der Biografie, sei ihr unendlich viel eingefallen, was sie ihn hätte fragen können, fügte Jenny nach dem Vorlesen des Kapitels an. Das sei vielleicht eines dieser Phänomene des Lebens, dass in der Gegenwart gewisse Dinge einfach nicht möglich seien. «Und erst aus der Distanz Menschen, die wir lieben, die um uns herum sind, wirklich erkennbar werden und wir sie vielleicht nochmals neu kennenlernen.»
Im zweiten Teil des Abends las die Basler Autorin, die mit ihrer Tochter in der Nähe von Wien lebt, aus ihrem neuen, noch unveröffentlichten Roman vor. Der Titel des Buches wird «Es war eine Stadt» lauten. Und bei dieser Stadt, das verriet Jenny vorab, handle es sich um Basel. Die Handlung beginnt im Jahr 1939. Hauptpersonen sind zwei Mädchen respektive Frauen, Maya und Elsi. Zu Beginn des Romans sind sie beide etwa vier Jahre alt. Maya ist die jüngere Tochter eines Basler Arztehepaares, Elsi die uneheliche Tochter von deren Dienstmagd aus Deutschland. Die Grenze zu Deutschland ist nah und der Krieg wirft bedrohliche Schatten voraus. Es gibt viele Anspielungen darauf, dass es auch innerhalb der familiären Gemeinschaft Konflikte gibt, die im weiteren Verlauf die Handlung vorantreiben werden.
Wer nun neugierig geworden ist, muss sich noch etwas gedulden. Das genaue Datum der Veröffentlichung steht noch nicht fest. Der Roman soll aber auf jeden Fall 2026 erscheinen, versprach die Schriftstellerin. Auf das Thema ist sie gekommen, als sie angefragt wurde für ein Auftragswerk. Dieses sei zwar nicht zustande gekommen, hätte ihr aber die Idee für einen neuen Roman geliefert. Es habe sie interessiert, wie im damaligen Basel gewisse Dinge gehandhabt wurden, im Besonderen auch der Umgang mit unehelichen Schwangerschaften und Geburten.
Gefragt danach, wann sie mit dem Schreiben begonnen habe, erzählte Zoë Jenny eine Episode aus der Zeit, als sie sieben Jahre alt war. Damals hätte sie unter «Nachtterror» gelitten, das heisst, bevor sie richtig hätte einschlafen können, sei sie immer wieder schreiend aufgewacht. Dann habe sie ihrem Vater, der alleinerziehend war, ein Gedicht geschrieben mit dem Titel «Angst» und es auf den Küchentisch gelegt. Diese Zeilen hätten ihn erkennen lassen, woher die Probleme stammen könnten, und er habe sie aus der Schule genommen. So habe sie zum ersten Mal erkannt, dass man mit Schreiben die Welt verändern und gar verbessern könne.