Mit Karte, Kompass und Köpfchen
11.07.2025 Sport, Weitere Sportarten, BaselbietMargrit Thommen – Europameisterin, Wegbereiterin und Stimme für den OL der Frauen
Als junge Frau verirrte sie sich beim ersten OL im Wald – und fand dort ihre Berufung. Margrit Thommen aus Lampenberg wurde zur ersten Schweizer Europameisterin und prägte eine ganze ...
Margrit Thommen – Europameisterin, Wegbereiterin und Stimme für den OL der Frauen
Als junge Frau verirrte sie sich beim ersten OL im Wald – und fand dort ihre Berufung. Margrit Thommen aus Lampenberg wurde zur ersten Schweizer Europameisterin und prägte eine ganze Generation. Mit Mut, Ausdauer und Leidenschaft ebnete sie den Weg für die Frauen.
Hanspeter Gautschin
Wer an grosse Schweizer Orientierungsläuferinnen denkt, kommt an ihr nicht vorbei: Margrit Thommen, geboren 1940 und aufgewachsen in Lampenberg, schrieb in den 1960er-Jahren Sportgeschichte. Sie war nicht nur eine der ersten Frauen im Nationalkader, sondern wurde 1964 auch Europameisterin – als erste Schweizerin überhaupt. Eine Leistung, die weit über den Sport hinaus Bedeutung hatte.
Dabei begann alles eher zufällig und ganz unspektakulär. Mit 16 Jahren trat Margrit dem gemischten Chor ihres Dorfes bei – nicht ahnend, dass dieser Schritt ihr Leben prägen würde. Der Chorleiter, gleichzeitig Primarlehrer in Lampenberg, machte Werbung für die Teilnahme am Baselbieter Orientierungslauf. Margrit, die schon als Schülerin begeistert Karten studiert hatte, meldete sich. Zusammen mit ein paar Mädchen aus dem Chor begann sie zu trainieren – ohne Ausrüstung, ohne Erfahrung. Beim ersten Lauf trugen sie hohe Schuhe, verirrten sich im Gelände, erreichten aber wenigstens geschlossen das Ziel. Was wie ein Misserfolg aussah, war für Margrit der Anfang einer Leidenschaft.
Grosser Durchhaltewillen
Die junge Frau war gepackt. Fortan sorgte sie jedes Jahr dafür, dass ihre «Singvögel», wie sich die Chormädchen nannten, wieder antraten. Margrit las sich Wissen an, übte mit Karte und Kompass, testete neue Wege, wagte sich an Einzelrennen. Den Kompass konnte sie zu Beginn noch nicht richtig einsetzen – sie steckte ihn kurzerhand in die Tasche und gewann trotzdem. Bald startete sie bei der Elite, schaffte es ins Nationalkader und opferte Ferien für Trainingslager und Auslandstarts.
Ihr Durchhaltewille zahlte sich aus. 1962 nahm sie an der allerersten Europameisterschaft im Orientierungslauf teil und belegte einen beachtlichen zehnten Platz. Zwei Jahre später, 1964, lief sie im waadtländischen Le Brassus auf den ersten Platz – über eine Distanz von 8,1 Kilometern in 1 Stunde, 7 Minuten und 59 Sekunden. Es war der erste EM-Titel für die Schweiz im Orientierungslauf der Frauen. Damit schrieb die junge Frau aus dem Oberbaselbiet Sportgeschichte. Ihre Leistung brachte dem Orientierungslauf in der Schweiz einen Schub und verschaffte dem Frauensport neue Sichtbarkeit.
Doch Margrit Thommen war weit mehr als nur eine schnelle Läuferin. Sie verkörperte einen sportlichen Geist, der Leistung mit Leidenschaft verband. «Die Unabhängigkeit von Vereinen und komplizierten Ausrüstungsgegenständen, die Kameradschaft unter den Orientierungsläufern, besonders aber die erlebnisreichen Stunden im Wald» – das waren für sie die wahren Werte des OL.
Margrit Thommen war überzeugt, dass der Orientierungslauf besonders für junge Frauen ein idealer Sport sei – naturverbunden, fordernd, aber befreiend. Sie empfahl den Einstieg über Gruppenläufe, weil der Teamgeist die Motivation stärkt. Doch auch das Abenteuer des Alleinseins im Wald habe seinen Reiz. Entscheidend sei nicht der Rang, sondern das Erleben, das Durchhalten – selbst in ausweglosen Situationen.
Mit ihren Erfolgen und ihrer Haltung prägte sie eine ganze Generation. Der OL-Sport wurde in der Schweiz populärer, professioneller – auch dank Margrit Thommen. Heute ist ihr Name nur noch wenigen bekannt. Dabei war sie eine der ersten Frauen, die sich in einem männerdominierten Sport ganz nach vorne kämpften. Eine Vorkämpferin, eine Mutmacherin, eine stille Heldin aus dem Oberbaselbiet.
Künstler, Dichter, Macher und Visionäre
vs. In unserer Serie stellt Hanspeter Gautschin Menschen aus dem Oberbaselbiet vor, die einst prägend wirkten, heute aber fast vergessen sind. Es sind Künstlerinnen, Dichter, engagierte Macherinnen, stille Visionäre – ebenso wie Unternehmer, Tüftler und Gestalter der Industriewelt, die mit Innovationsgeist und Tatkraft die Entwicklung unserer Region vorantrieben. Persönlichkeiten, die das kulturelle, soziale, sportliche, geistige oder wirtschaftliche Leben des Oberbaselbiets nachhaltig geprägt haben. Mit erzählerischem Gespür und einem feinen Blick für das Wesentliche lässt Gautschin diese Lebensgeschichten wieder aufleuchten – als Erinnerung, Inspiration und als Beitrag zur regionalen Identität.
Hanspeter Gautschin (1956) lebt in Oberdorf und blickt auf eine facettenreiche Laufbahn im Kulturbereich zurück. Als ehemaliger Impresario, Kulturförderer und Museumsleiter erzählt er mit Vorliebe Geschichten über Menschen, Kultur und das Leben im Alltag.