«Man muss wie ein Japankäfer denken»
26.07.2024 Baselbiet, Gemeinden, BaselBehörden ergreifen weitere Massnahmen gegen die Ausbreitung des Schädlings
Trotz bisheriger Ausrottungsversuche des Kantons gegenüber dem Japankäfer bleibt die Situation heikel. Eleonor Fiechter, Expertin für Pflanzenschutz im «Ebenrain», sieht die ...
Behörden ergreifen weitere Massnahmen gegen die Ausbreitung des Schädlings
Trotz bisheriger Ausrottungsversuche des Kantons gegenüber dem Japankäfer bleibt die Situation heikel. Eleonor Fiechter, Expertin für Pflanzenschutz im «Ebenrain», sieht die Kontrolle des Schädlings als Herausforderung an.
Melanie Frei
Täuscht der Eindruck, dass der Japankäfer in einiger Zeit nicht mehr einzudämmen ist und sich grossflächig auch bei uns im Oberbaselbiet verbreiten wird?
Eleonor Fiechter: Bislang hat sich der Japankäfer nur in der Stadt Basel und im unteren Baselbiet ausgebreitet, angefangen in der «Brüglinger Ebene» in Münchenstein. Dort wurden am meisten Käfer gefunden und es wurden direkt Massnahmen ergriffen. Wir haben Rasenflächen gefräst und abgedeckt und Massenfänge mittels aufgestellter Pheromonfallen gemacht. Es handelt sich hierbei um Trichterfallen mit Lockstoffen, die adulte, also erwachsene, Japankäfer anlocken. Die Lockstoffe bestehen zum einen aus einem Sexuallockstoff (Pheromon), der nur die Männchen anzieht, und zum anderen einem Frasslockstoff, der beide Geschlechter anzieht. Die Fallen werden während der Flugsaison eingesetzt. Diese dauert von etwa Anfang Juni bis Ende September. Bei weiteren aufgestellten Fallen wurden nur vereinzelt Käfer gefangen.
Gibt es hier bereits ein ausgedehntes Monitoring mit Pheromonfallen?
Als wir die ersten Käfer entdeckten, haben wir viele weitere Pheromonfallen aufgestellt, um das Fallennetz möglichst dicht zu halten. Die Fallen werden sowohl im Kanton Baselland als auch im Kanton Basel-Stadt zweimal wöchentlich kontrolliert – wir arbeiten in dieser Ausnahmesituation eng mit dem Nachbarkanton zusammen. In keiner anderen Falle im Umfeld wurden bisher so viele Käfer gefangen wie in Münchenstein.
Falls die Ausbreitung im Raum Münchenstein/Basel nicht sofort gestoppt werden kann: In welchem Tempo verbreitet sich der Schädling? Wovon gehen Ihre Szenarien aus?
Wie schnell sich der Schädling ausbreitet, ist schwer zu sagen. Ein Weibchen legt zwischen 50 und 80 Eier in den Boden. Ich gehe davon aus, dass alle überleben – eine Ausbreitung würde also relativ rasch erfolgen. Um dies zu verhindern, haben wir recht extreme Massnahmen ergriffen. Wir verfolgen immer noch die Tilgungsstrategie. Ziel dieser Strategie ist es, den Schädling auszurotten, eine weitere Verbreitung zu verhindern und durch den Käfer verursachte Schäden zu reduzieren. Im Tessin, wo die Situation problematisch ist, wenden die Behörden die Eindämmungsstrategie an. Das heisst, man verhindert oder verlangsamt eine weitere Verbreitung und reduziert die durch den Schädling verursachten Schäden – fokussiert aber nicht mehr die Ausrottung des Käfer.
Glauben Sie, dass die eingeleiteten Massnahmen bei uns im Raum Basel längerfristig Wirkung zeigen?
Es gibt positive Anzeichen. Wir haben festgestellt, dass die Fänge in den aufgestellten Pheromonfallen nicht mehr exponentiell ansteigen.
Müssen unsere Landwirte dennoch zittern?
Aktuell nicht. Neben der Kontrolle der Pheromonfallen führen wir regelmässig visuelle Kontrollen durch. Wir haben noch keine Frassspuren an einer Kultur festgestellt, weder an Obstbäumen, Mais oder Beeren und auch im Wald nicht. Bis jetzt waren nur Wiesen und Weiden betroffen. Auch hier waren keine Schäden sichtbar, aber die Populationen waren vorhanden.
Welche Kulturen sind am meisten bedroht? In Norditalien scheinen die Rebberge arg zu leiden …
Im Moment leiden bei uns keine Kulturen wegen dem Japankäfer. Der Schädling hat aber mehr als 400 Wirtspflanzen, von Gemüse über Reben, Obst bis hin zu Waldbäumen – dass landwirtschaftliche Kulturen bei einer weiteren Ausbreitung befallen werden, ist eine realistische Annahme.
In und um Münchenstein wurde ein Bewässerungsverbot erlassen. Sobald der Käfer einmal weiter verbreitet ist, gilt das auch für die Landwirtschaft?
Kulturen dürfen bewässert werden, aber nur lokal und möglichst ohne die umliegenden Wiesen und Grünflächen zu bewässern. Feuchte Wiesen oder Rasen sind sehr attraktive Orte für die Eiablage durch die Weibchen.
Wie gravierend wäre ein Bewässerungsverbot für die Landwirtschaft bei uns?
Ein Bewässerungsverbot für die Landwirtschaft wird es nicht geben.
Ist der grossflächige Einsatz von Gift denkbar? Was wäre die Folge für die gesamte Fauna?
Nein, es ist nicht vorgesehen, dass wir die Wirtspflanzen mit Insektiziden besprühen. Wir haben dies auch noch nicht getan. Das hat auch damit zu tun, dass die «Brüglinger Eben» in Münchenstein in einer Gewässerschutzzone liegt – es dürfen also keine Insektizide eingesetzt werden. Ausserdem ist die Birs gleich nebenan. Was wir aufstellen werden, sind sogenannte «Llins» (long lasting insecticidal nets). Das sind mit Insektiziden behandelte Netze. Die Käfer werden mit Pheromonen an die Netze gelockt und sterben. Diesen Gifteinsatz können wir verantworten, weil er lokal ist und die umliegende Fauna nicht beeinträchtigt.
Welche Tilgungsstrategie verspricht längerfristig Erfolg? Der Einsatz von Nematoden, also Fadenwürmern?
Der Japankäfer kann nur durch eine Kombination von mehreren Massnahmen bekämpft, beziehungsweise ausgerottet werden. Der Einsatz von Nematoden ist eine Massnahme, reicht aber alleine für eine Ausrottung nicht aus. Im September werden öffentliche Grünflächen um die jetzigen Befallsherde mit Fadenwürmern behandelt.
Was ist bei der Bekämpfung des Japankäfers besonders zu beachten?
Man muss den Lebenszyklus des Käfers kennen und verstehen. Im Moment ist die Hauptflugzeit, die etwa bis Ende August dauert. Danach legen die Weibchen Eier in den Boden, aus denen sich die Larven entwickeln. Mitte Juni schlüpft der erwachsene Käfer aus dem Boden. Das erste Leben findet unter der Erde statt, das zweite über der Erde. Man muss wie ein Käfer denken. Daher die verschiedenen Bekämpfungsstrategien: Nematoden im Boden beispielsweise können einem fliegenden Japankäfer nichts anhaben.
Ist die Bekämpfung mit Fadenwürmern nicht heikel, da auch andere Tiere wie unsere einheimischen Käfer befallen werden könnten?
Nein, das stellt überhaupt kein Problem dar.
Wie wird das Ganze finanziert? Reichen die derzeitigen Ressourcen aus?
Bei einem Erstausbruch, wie wir ihn in Baselland haben, übernimmt der Bund 75 Prozent der anfallenden Kosten und 25 Prozent muss der Kanton bezahlen.
Der Käfer ist schon vor 100 Jahren in die USA eingeschleppt worden. Dort hat man also Erfahrung. Was können wir von den USA lernen?
Besondere Zusammenhänge und Schlussfolgerungen kann ich nicht ziehen. Die auswärtigen Angelegenheiten laufen über den Bund. Was ich sagen kann, ist, dass die USA sowohl politisch als auch geografisch andere Voraussetzungen und Lösungsansätze haben.
Im Kanton Tessin ist der Befall deutlich schlimmer. Was kann die Region Basel von der Tessiner Strategie übernehmen?
Im Vordergrund steht der Schutz der Kulturen. Der Versuch, den Schädling sofort auszurotten, hat dort nicht geklappt. Wenn auch wir merken sollten, dass uns dies nicht gelingt, haben unsere Kulturen ebenfalls oberste Priorität.
Was kann die Bevölkerung tun, um zu helfen, den Schädling zu bekämpfen?
Wer glaubt, einen Japankäfer gesichtet zu haben, wird gebeten, ein Foto zu machen und es dem Zentrum Ebenrain zu schicken. Das Foto ist notwendig, weil wir weder die Zeit noch die personellen Ressourcen haben, um jeder vermeintlichen Sichtung nachzugehen und zu überprüfen, ob es sich tatsächlich um einen der Schädlinge handelt. Wir müssen gemeinsam vorgehen.
Was schätzen Sie: Werden wir den Japankäfer wieder ganz los, oder müssen wir irgendwann lernen, mit ihm zu leben?
Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass wir ihn nicht mehr ganz loswerden. Wir leben mit der Natur und der Japankäfer ebenfalls.
Massnahmen im Befallsherd und in der Pufferzone
mef. Im Befallsherd gelten umfassende Massnahmen zur Bekämpfung des Japankäfers. Zunächst gilt ein Bewässerungsverbot für Rasen und mit Gras bewachsene Grünflächen. Das Giessen von Pflanzen im Garten und auf Balkonen bleibt jedoch erlaubt, sofern in den Töpfen und Beeten keine Gräser wachsen. Dieses Verbot, das bis Ende September gilt, soll den Boden unattraktiv für die Eiablage der Japankäfer machen, da die Weibchen feuchte Wiesen bevorzugen.
Des Weiteren ist es untersagt, Grüngut aus dem Befallsherd zu transportieren, da Japankäfer bei Gartenarbeiten ins Grüngut gelangen können. Ausgenommen von diesem Verbot ist Grüngut, das kleingehäckselt und insektensicher abgedeckt wird. Auch diese Regelung gilt bis Ende September, und die Entsorgung über die Grünabfuhr bleibt weiterhin möglich.
Darüber hinaus darf kein Kompost aus dem Befallsherd hinaus transportiert werden, um zu verhindern, dass Larven oder Käfer, die sich im Kompost befinden könnten, in andere Gebiete verschleppt werden. Material aus professionellen Kompostieranlagen ist von dieser Regelung ausgenommen.
Fahrzeuge und Geräte, die zur Bodenbearbeitung oder für Arbeiten mit Erde eingesetzt werden, dürfen den Befallsherd nur verlassen, wenn sie gründlich gereinigt wurden, sodass kein Risiko besteht, Erde und darin befindliche Japankäferlarven zu verschleppen. Zudem darf Bodenmaterial bis zu einer Tiefe von 30 cm nicht aus dem Befallsherd transportiert werden. Auch in der Pufferzone gelten strikte Massnahmen. Grüngut darf nicht aus der Pufferzone transportiert werden, um zu verhindern, dass der Japankäfer unbeabsichtigt verschleppt wird. Hierbei ist wiederum Grüngut, das kleingehäckselt und insektensicher abgedeckt wird, ausgenommen.
Der Transport innerhalb der Pufferzone sowie in den Befallsherd hinein ist jedoch gestattet. Diese Regelung gilt ebenfalls bis Ende September, und die Entsorgung über die Grünabfuhr bleibt weiterhin möglich.