Man liebt, was man kennt
25.11.2025 PersönlichMein Heimatort ist Basel. Ich bin halb Grieche und halb Fricktaler. Das Baselbiet hat mich sozialisiert, obwohl meine Familie in Läufelfingen nie zum «harten» Dorfkern gehörte und ihre Brötchen in der Basler Chemie verdiente, die heute mehr denn je die Sprache der ...
Mein Heimatort ist Basel. Ich bin halb Grieche und halb Fricktaler. Das Baselbiet hat mich sozialisiert, obwohl meine Familie in Läufelfingen nie zum «harten» Dorfkern gehörte und ihre Brötchen in der Basler Chemie verdiente, die heute mehr denn je die Sprache der globalisierten Wirtschaft spricht. Obwohl das Schicksal der Region auf Gedeih und Verderb mit der Pharma verbandelt ist und meiner Familie den Aufstieg in den Mittelstand ermöglichte, erschien mir dieser Umstand nie als funktionierende Klammer meiner Identität.
Den Kantönligeist fand ich als junger Erwachsener lächerlich; die Hülftenschanz als mentale Grenze löste in mir keinerlei Gefühlsregungen aus, wenn ich sie im Zug Richtung Basel passierte. Die Region Basel ist aufgrund ihrer Fragmentierung schon genügend schwach in Bundesbern. Zudem klammert sich unsere Aufmerksamkeit dank des Internets an Ereignisse auf dem ganzen Globus.
Als ich am Geschäftsessen der Schaub Medien – Herausgeberin dieser Zeitung – in der warmen Stube des «Ochsens» in Oltingen sass, bemerkte ich, dass sich etwas in mir verändert hat. Ich hätte nie erwartet, dass mich ein solcher Abend so berühren würde. Die herzhaften Lacher, die tief aus dem Bauch herauskamen, die Fingerabdrücke am Weinglas, die durch das kräftige, ungrazile Zulangen entstanden, und die ausgestreckten Arme, die sich durch das gegenseitige Schöpfen des Essens kreuzten, fühlten sich «natürlich» an. Ich fühlte mich wie ein Fisch im Wasser.
Die dörfliche Mentalität kann als eng empfunden werden, aber man fühlt sich auch gebettet. Das Stroh kratzt zwar, aber das Bett ist gehobelt und nicht glatt poliert. Man eckt leicht an, hat jedoch Kanten, nach denen gegriffen werden kann. Man spricht, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Das vom Mund Abgesparte wird mit beiden Händen weitergegeben. Wie das mich prägte, ist schwer zu fassen; einer der berühmtesten Soziologen Frankreichs, Pierre Bourdieu, bezeichnete es als «Habitus». Als Bauernsohn aus der Peripherie von Paris schaffte er es als Vorsteher des Collège de France an die Spitze der französischen intellektuellen Elite und arbeitete sich sein Leben lang an der Frage ab, warum er sich dort nie zu Hause fühlte. Die Art, wie wir aufwachsen, erzeugt eine zweite Haut, von der wir uns nie mehr lösen können, war sein Fazit.
Mein Abschied von der «Volksstimme» fühlt sich in etwa so an. Seit ich vor eineinhalb Jahren das erste Mal einen Text veröffentlichte, konnte ich mich nicht mehr unerkannt in meiner Wohngemeinde Sissach bewegen. Die Leute «zündeten» mich an, wenn sie wieder mal voller Stolz Fehler in der Zeitung fanden, und taten mir unablässig kund, warum jetzt dieser oder jener Artikel die «Volksstimme» zu einem «Cheesblatt» mache.
Liebe Leserinnen und Leser, ihr werdet mich weiterhin in Sissach und Umgebung antreffen, und auch wenn ich nicht mehr für die «Volksstimme» schreibe, werde ich euch sagen, dass ihr Sorge zu ihr tragen sollt. Denn sie ist auch für mich zu einer zweiten Haut geworden.
Nikolaos Schär, Redaktor «Volksstimme»

