Malariabekämpfer und Sohn des Sattlers

  19.06.2025 Baselbiet

Eindrückliche Biografie über den Epidemiologen Marcel Tanner

Mit «Marcel Tanner, ein Pionier der globalen Gesundheit» hat Lukas Meier eine Biografie geschaffen, die auf 250 Seiten das eindrückliche, längst nicht abgeschlossene Lebenswerk des Basler Epidemiologen und Malariabekämpfers mit Wurzeln nach Diegten zusammenfasst.

Jürg Gohl

Die vierte der – gemäss Verlag – insgesamt 173 Abbildungen zeigt Andrea Schenker-Wicki, die Rektorin der Universität Basel. Sie hält ein T-Shirt mit dem Aufdruck «No roots, no fruits» (sinngemäss «Ohne Wurzeln keine Früchte») vor sich in die Luft. Sie dürfte dieses Kleidungsstück sogleich dem neben ihr stehenden Epidemiologie-Professor Marcel Tanner überreichen. Entstanden ist diese Aufnahme vor acht Jahren, als Marcel Tanner in der voll besetzten Aula der Universität Basel seine Abschiedsvorlesung hielt. «Zuhörende sitzen in den Gängen, stehen entlang der grossen Fenster», beschreibt Lukas Meier in der eben erschienenen Biografie über Marcel Tanner den Rahmen zu dieser Szene.

So beginnt die Biografie «Marcel Tanner – Ein Pionier der globalen Gesundheit», die von Lukas Meier verfasst und im vergangenen Monat vom Verlag «Hier und jetzt» herausgegeben worden ist. «No roots, no fruits» lautete damals nicht nur der Titel von Tanners Abschiedsvorlesung, sondern es ist eine seiner Lebensweisheiten, denen er selbst auch nachlebt.

Malaria erforschte er nicht im Labor und bekämpfte sie nicht aus der Studierstube, sondern eben auch bei den Wurzeln, wo die todbringende Krankheit entsteht: in den seichten Gewässern und Pfützen vornehmlich auf der südlichen Halbkugel. Darin kann sich die Anopheles gambiae fortpflanzen.

Bekämpfer der Malaria
Im Buch werden die Erfolge und Rückschläge im Kampf gegen die Malaria aufgezählt, die trotz aller Bemühungen auch weiterhin nicht ausgerottet ist. «Noch immer sterben jährlich 500 000 Menschen an Malaria. Die Opfer sind meist Kinder in Afrika südlich der Sahara», steht unter dem riesigen Bild des kleinen, zierlichen Überträgers im Buch. Tanner, dessen Name eng mit der weltweiten Malaria-Bekämpfung verbunden ist, erreichte viel.

Zuerst gilt es zu forschen. «Erst wenn wir die komplexe Biologie der Malaria verstanden haben, können wir dazu übergehen, wirksame Strategien zu entwickeln», zitiert ihn der Autor im Buch. Danach gelte es, Massnahmen zu finden und einzuleiten; zum Beispiel mit Insektizid besprayte Netze der meist ärmlichen Bevölkerung in den hintersten Winkeln der Welt zugänglich zu machen und dafür den politischen Willen auszulösen.

Hier kann der Forscher Marcel Tanner auf weitere seiner Stärken zurückgreifen: Er ist dank seiner Arbeit und seines Charismas sehr gut vernetzt. Im Buch belegen das Fotografien mit dem langjährigen UNO-Generalsekretär Kofi Annan, mit Bundesräten oder mit Bill und Melinda Gates, dem Wohltäter-Paar. Tanner kann die richtigen Leute hinter sich sammeln und ist erfinderisch.

Und dann kam Covid
Was Tanner im Kampf gegen Malaria geleistet hat, lässt sich auch für andere tödliche Krankheiten wie HIV/Aids, der Afrikanischen Schlafkrankheit und der Bilharziose in China sagen, die er selbstverständlich alle an Ort und Stelle erforschte. Seinem Engagement bei der Covid-Pandemie als erster Präsident der bundesrätlichen Task-Force ist gegen Ende des Buchs ebenfalls ein Kapitel gewidmet.

Autor Lukas Meier zitiert im Buch dazu Marcel Tanner: «Man hätte sich bereits im März 2020 überlegen müssen, wie wir aus dieser Krise wieder herausfinden. Das hätte uns erlaubt, das System Corona zu erkennen und nicht nur den Keim zu sehen, der um die Welt reist.» Und später: «Der Verlust des Sehvermögens ist ein Merkmal jeder Epidemie. Wir fühlen uns blind, weil wir die Pandemie nicht haben kommen sehen.»

Auch moniert Marcel Tanner im Buch, dass das ungleich tödlichere Ebola, 2014 ausgebrochen, für uns «ein schlechter Lehrmeister» gewesen sei. Das führt Tanner auch darauf zurück, dass die westliche Welt von Ebola verschont geblieben ist: Sätze wie diese aus dem Mund des Forschers und Epidemiologen, bei dem die Gummistiefel immer in Reichweite stehen, finden sich im Werk zuhauf. Alle haben Leuchtstift-Potenzial, schnelles Lesen geht nicht.

Ohne kritische Distanz
Vorgestellt wurde das Buch «Marcel Tanner – Ein Pionier der globalen Gesundheit» am 21. Mai vor rund 200 Gästen natürlich im Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut (Swiss TPH) in Allschwil. Tanner baute es in früheren Jahren zur heutigen Grösse und zum Welt-Kompetenzzentrum aus. Begrüsst wurden sie durch die Basler Ständerätin Eva Herzog, die zugleich Präsidentin des Kuratoriums von Swiss TPH ist.

Dabei stellte die Politikerin den Menschen im Mittelpunkt des Abends treffend dar. «Marcel Tanner hat nicht nur das Swiss TPH geprägt, sondern die globale Gesundheit mitgestaltet – mit wissenschaftlicher Exzellenz, politischem Gespür, viel Herzblut und vor allem mit der Überzeugung, dass echte Fortschritte nur im Miteinander gelingen», wird sie in einer Medienmitteilung zitiert. Auf nationaler Ebene bekannt wurde der Lehrer und Forscher auch als Präsident der Akademien Schweiz.

Autor Lukas Meier, der Geschichte und Politikwissenschaften an den Universitäten Basel und Bern studierte und über eine Lizenziatsarbeit mit dem Tropeninstitut und mit Marcel Tanner in Kontakt kam, ist Geschäftsführer der R.-Geigy-Stiftung des «Tropeli». Im Buch bemüht er sich gar nicht um eine kritische Distanz zu seinem Hauptdarsteller. «Ich bin nicht unbefangen», legt er schon früh offen. Marcel Tanner «mit obligater Füllfeder in der Brusttasche», sei ein Mann, der «Wikipedia vor Neid erblassen» lasse, sei ein «Meister im Sich-in-jemanden-anders-Hineinversetzen», sein Gehirn arbeite «immer und hochtourig», und das schnelle Beantworten seiner E-Mails – nicht wenige – sei «legendär».

Das Buch umfasst 200 reine Textseiten. Danach folgen noch «Marcel Tanners persönliche Hausapotheke» sowie die Liste von den über 250 vorwiegend ausländischen Doktorandinnen und Doktoranden, die er als Dozent betreut hat, sowie die Porträtbilder von vielen Persönlichkeiten, die zugunsten der Weltgesundheit mit ihm am gleichen Strang ziehen und gezogen haben. Diese Galerie ist mit «Alle in einem Boot» überschrieben. Dabei handelt es sich um eine weitere Redewendung, die Tanner gerne und oft verwendet und damit insbesondere den Einbezug des afrikanischen Kontinents meint. Das Bild auf dem Buchcover, das ihn mit einem dunkelhäutigen Mann in einem Einbaum zeigt, könnte deshalb nicht besser gewählt sein.

«Breite», Diegten, Fischergalgen
Lukas Meier bettet Tanners Lebensgeschichte in die klassische Literaturform der Rahmenerzählung ein. Darin schildert der Autor, wie ihm «Marcel» in seinem Fischergalgenhäuschen in einer durchzechten Nacht (oder sind es mehrere?) seine Lebensgeschichte erzählt. Sie beginnt mit dem trittfesten Abstieg des Paars und endet mit dem wackligen Aufstieg in den frühen Morgenstunden und damit mit der Rückkehr in den Alltag.

Angelehnt an das Lebensmotto des Protagonisten unterteilt der Biograf sein Buch in die beiden Hauptkapitel «Roots» (Wurzeln) und «Fruits» (Früchte). Im zweiten Teil, der mit dem mehrjährigen Aufenthalt der jungen Familie in Tansania beginnt, geht es um Tanners Einsatz im Kampf um die verschiedenen bedrohlichen Krankheiten. Der erste Teil handelt von seiner Jugend, diese spielt hauptsächlich im Basler Breite-Quartier.

Tanner streicht aber auch hervor, dass er in seiner Kindheit zahlreiche Wochen auf dem Bauernhof von Hans und Lina Meier, seinen Grosseltern mütterlicherseits, in Diegten verbracht hat. Er schwärmt vom Engagement seines Grossvaters aus dem Oberbaselbiet. Die andere Jugenderinnerung, die beim inzwischen 73-jährigen Professor noch immer nicht ganz vernarbt ist, betrifft die Schulzeit: Sein Primarlehrer schickte ihn in die Realschule, die damals unterste Sekundarstufe. Sein Vater sei ja «auch nur Sattler».


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