«Loslassen zu müssen begleitet mich schon lange»
21.11.2025 GesellschaftDie Walliser Mundartsängerin und Liedermacherin Sina (59) spricht heute Abend zusammen mit der Baselbieter Ständerätin Maya Graf im Bistro Cheesmeyer über das Hauptthema der Palliativ-Woche 25 «Abschiedlich leben». Sina ist Botschafterin von «Hope» in ...
Die Walliser Mundartsängerin und Liedermacherin Sina (59) spricht heute Abend zusammen mit der Baselbieter Ständerätin Maya Graf im Bistro Cheesmeyer über das Hauptthema der Palliativ-Woche 25 «Abschiedlich leben». Sina ist Botschafterin von «Hope» in Ries-Brig, dem ersten Hospiz im Wallis.
Sander van Riemsdijk
Sina, heute Abend sprechen Sie im Rahmen der Palliativ-Woche 2025 mit der Baselbieter Ständerätin Maya Graf zum Thema «Abschiedlich leben». Wie ist der Kontakt und schliesslich das Gespräch zustande gekommen?
Sina: Ich wurde über mein Management von Manuela Rossini des Vereins «palliative bs + bl» angeschrieben. Da dieses Jahr geprägt war von Abschieden, Hoffnung und dem Umgang mit dem Sterben, hat mich diese Anfrage im richtigen Moment erreicht.
Schon sehr früh als Sechsjährige haben Sie sich von Ihrer Mutter verabschieden müssen. Wie einschneidend war diese Erfahrung für Ihr weiteres Leben?
Dieser Verlust begleitet mich durch mein Leben, hat mich in meinem Handeln und Wirken geprägt und tut es immer noch.
Abschiedlichkeit steht für «das Leben ergreifen und wieder loslassen». Was bedeutet für Sie, abschiedlich zu leben?
Mir immer wieder über die Endlichkeit klar zu sein und das Jetzt mit allen Sinnen zu leben.
Sind wir darin geübt, im Bewusstsein der Abschiedlichkeit zu leben beziehungsweise setzen wir uns alle auf irgendeine Weise mit dem Tod auseinander?
Ich denke, es ist sehr unterschiedlich. Es gibt Menschen, die sich in der Verdrängung des Todes ihre Lebenskraft erhalten und andere setzen sich aktiv damit auseinander, weil sie verstehen wollen. Oft aber drängt sich das Thema des Loslassens erst dann ins Bewusstsein, wenn man selber oder jemand aus dem nahen Umfeld erkrankt oder stirbt.
Im späten Mittelalter sprach man von der Kunst des Sterbens (Ars Moriendi): Ein Mensch sollte sich ein Leben lang mit dem eigenen Sterbenmüssen und dem Tod auseinandersetzen. Wie stehen Sie dazu?
Das Abschiednehmen ist ein grosses Thema, dabei geht es nicht nur um das Sterben. Schon früh im Leben muss man sich von Vorstellungen und Träumen verabschieden. In dem Sinn begleitet mich das Loslassenmüssen schon sehr lange, hat aber bestimmt auch sehr mit meiner Kindheit zu tun.
Wie geht es Ihnen mit Abschiednehmen im Alltag?
Ich kann gut Dinge aufgrund ihrer Wichtigkeit trennen. Lohnt es sich hier, Zeit und Energie hineinzustecken, oder lasse ich los? Diese Haltung hilft, da ich nicht mehr 30 bin und anders mit meinen Kraftreserven haushalten will und muss.
Sie sind Botschafterin von «Hope», dem ersten Hospiz im Wallis. Worin besteht Ihr Engagement und wie wichtig ist ein Hospiz für Menschen in ihrer letzten Lebensphase?
«Hope» ist ein wichtiges Haus in der letzten Lebensphase, wo eine Pflege und Betreuung angeboten werden, welche die Lebensqualität der Menschen dort verbessert und ihre Würde nicht antastet. Ich war selber dort – dieses Hospiz ist eine Insel, die einen sanft und warm umarmt und Platz lässt für eigene Freiräume, solange dies möglich ist. Ich habe «Hope» ein Lied zur Verfügung gestellt – «Wa nix meh fehlt» – das hört man, wenn man dort anruft. Es ist, als hätte ich es für diesen wunderbaren Ort geschrieben.
Sie sind der Musik sehr verbunden. Kann Musik Trost spenden?
Ja. Aber Musik kann noch viel mehr. Sie kann Leben retten.
Pflegen wir in unserer einen guten Umgang mit dem Sterben und dem Tod?
Ich bin mit Geschichten über Seelenwanderungen und Gratzüge aufgewachsen. Das waren unsere Gutenachtgeschichten, weit weg von Prinzessinnen und Happy-Endings. Vielleicht ist unser Umgang mit dem Tod auch darum verschieden, wenn ich das Wallis mit der Deutschschweiz vergleiche. Das bewusste Abschiednehmen von einem Toten hat in den Bergen ein anderes Gewicht. An anderen Orten begegnen mir oft Menschen, die auch im Erwachsenenalter noch nie eine Leiche gesehen haben. Ich selbst finde diesen aktiven Prozess des Verabschiedens als sehr heilsam.
Was fühlen Sie als Erstes, wenn Sie an den Tod denken, und in welchen Situationen denken Sie an Ihr Lebensende?
Im Beinhaus in Naters steht über vielen gestapelten Totenköpfen der Satz: «Was ihr seid, das waren wir – was wir sind, das werdet ihr.» Für mich heisst das nichts anderes, als alles Leben bewusst in sich aufzunehmen und dabei zu versuchen, ein besserer Mensch zu werden, bevor man den letzten Atemzug tut.
Was ist Ihnen wirklich wichtig im Leben?
Die Liebe und Musik.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Was würden Sie für Ihr Lebensende wünschen?
Dass es noch etwas wartet, dann darf der Tod aber schnell kommen.
Was würden Sie nach Ihrem Tod am meisten vom Leben vermissen?
Natürlich die Menschen. Und daneben am liebsten nichts mehr, weil es gut war.
Zur Person
svr. Sina kommt 1966 als Ursula Bellwald in Visp (VS) zur Welt und wächst in Gampel auf. Im Kinderchor macht sie in den 1970er-Jahren erste musikalische Erfahrungen und nimmt Gitarrenunterricht. Nach einer Ausbildung zur Bankkauffrau widmet sie sich voll der Musik, zunächst als Schlagersängerin Sina Campell. Den Durchbruch hat sie 1994 mit ihrem ersten Dialektalbum «Sina» und dem Hit «Där Sohn vom Pfarrär». Seit 2004 ist Sina mit dem Musiker und Produzenten Markus Kühne verheiratet und lebt im Aargau.

