Legendäre Bibliothek lebt weiter
23.07.2024 Bezirk Sissach, Tecknau, Kultur, GesellschaftNeues Besitzerpaar von Hans A. Jennys Liegenschaften und Büchersammlung
Die voluminöse Privatbibliothek, die der Populärhistoriker Hans A. Jenny nach seinem Tod vor zwei Jahren hinterliess, hat neue Besitzer gefunden und ist damit gerettet. Jeanette Leu und ihr ...
Neues Besitzerpaar von Hans A. Jennys Liegenschaften und Büchersammlung
Die voluminöse Privatbibliothek, die der Populärhistoriker Hans A. Jenny nach seinem Tod vor zwei Jahren hinterliess, hat neue Besitzer gefunden und ist damit gerettet. Jeanette Leu und ihr Lebenspartner Urs Frick haben die beiden Bauernhäuser in Tecknau «samt Inhalt» erworben. Das Paar ist bestrebt, dass die Sammlung öffentlich zugänglich bleibt.
Jürg Gohl
Meist ist von 120 000 Büchern die Rede. Viele sprechen sogar von der grössten Privatbibliothek des Landes, die Hans A. Jenny in seinen beiden Bauernhäusern an der Hauptstrasse in Tecknau besessen hat. Die tiefsten Schätzungen liegen knapp unter den 100 000 Büchern, welche die Sammlung von Peter Graf nur 15 Kilometer Luftlinie davon entfernt in Lupsingen besitzt.
Jedenfalls bereitete es nach dem Tod von Hans A. Jenny, der im Frühling 2022 91-jährig verstarb, seiner Witwe Marie-Louise sowie vielen Freunden und Buchliebhabern grössten Kummer, was mit der Sammlung geschehen soll. Jenny, der lange in Riehen lebte, erwarb das Bauernhaus im Jahr 1977 eigens, um ausreichend Platz für seine damals noch bescheidenere Sammlung zu erhalten.
Zwei Bauernhäuser voller Bücher
Im Alter von 85 Jahren kaufte er noch ein benachbartes Bauernhaus an der Hauptstrasse in Tecknau hinzu, weil das erste aus allen Nähten platzte. Doch auch diese zweite Liegenschaft war schnell mit Büchern gefüllt. Kein Raum ist ohne Bücher. Katalogisiert waren sie nicht, das war auch nicht nötig: Ihr Ehemann habe über ein phänomenales Gedächtnis verfügt, sagte Marie-Louise Jenny damals.
Obschon er beinahe ein halbes Jahrhundert in Tecknau lebte, sprach er in seinen Vorträgen, bei Führungen und Fernsehsendungen – er hatte bei «RegioTVplus» eine eigene Reihe – immer einen ausgeprägten Basler oder, genauer, Riehener Dialekt. Das hinderte ihn aber nicht daran, vor zehn Jahren zuvorderst für ein selbstständiges Baselbiet zu kämpfen.
Dank Jeanette Leu und ihrem Lebenspartner Urs Frick ist die riesige Privatbibliothek gerettet. Auf der Suche nach einem alten Bauernhaus, welches das Paar – sie ist Fassadenplanerin, er Bauleiter – für seine Bedürfnisse umbauen wollte, stiess es auf die Doppel-Liegenschaft in Tecknau, die zum Verkauf stand. «Samt Inhalt», fügt Jeanette Leu hinzu. Sie erinnert sich daran, wie sie bei ihrer ersten Besichtigung des 200 Jahre alten Hauses den Salon betrat, der an allen Wänden bis unter die hohe Decke mit Büchern bestückt war: «Uns hat es die Sprache verschlagen. Es war Liebe auf den ersten Blick.»
Auch die Gäste, die seither das Haus besuchten, zeigten sich allesamt von der Sammlung beeindruckt. Meist falle bei ihnen das Wort «Wahnsinn». Sofort war den beiden, die selber auch gerne lesen, klar, dass die Büchersammlung in diesen beiden Häusern bleiben muss. Haus und Inhalt seien, so die neuen Besitzer, längst zu einer «untrennbaren Einheit gewachsen». Damit lösten sie bei der Witwe eine grosse Erleichterung aus. Jenny hatte einst bereits im hohen Alter davon gesprochen, eine Stiftung gründen zu wollen, damit seine Sammlung nach seinem Tod erhalten werden könne – dazu ist es aber nicht gekommen.
Hans A. Jenny erwarb in erster Linie Fachbücher und verteilte sie nach Themen geordnet in verschiedene Zimmer, die er zudem mit dazu passenden Modellen ergänzte. Hier «Auto und Technik» oder Komponisten, da Zirkus oder Medizinisches. Bekannt ist vor allem auch sein kleines Napoleon-Museum mit seinen 2000 Büchern und zahlreichen Original-Dokumenten, das aber von einem anderen Napoleon-Museum komplett übernommen wurde. Stolz war er auch auf den Fundus mit Büchern über den Märchenkönig Ludwig II von Bayern. Besucherinnen und Besucher, die sich einst von Jenny durch die beiden Häuser führen lassen durften, bekamen unzählige Geschichten aus unzähligen Fachgebieten zu hören – aus dem Stegreif bis ins hohe Alter.
Zuerst der Umbau
Jeanette Leu, 43 Jahre alt, in Arisdorf aufgewachsen und die Schwester von Evelyne Leu, der ersten Baselbieter Einzel-Olympiasiegerin (Freestyle-Skisport), kannte den umtriebigen Bücherliebhaber zu seinen Lebzeiten nicht. «Aber ich lerne ihn jetzt jeden Tag besser kennen. Leider erst nach seinem Tod», sagt sie. Aus jedem ihrer Sätze schwingt eine Wertschätzung für die aussergewöhnliche Mitgift mit.
Zuerst wollen die neuen Besitzer das eine Bauernhaus umbauen und darin drei Wohnungen einrichten. Die bestehenden Ausstellungsräume bleiben soweit erhalten und lassen sich gut mit den Wohnungen verbinden. Anschliessend wird das zweite Haus saniert, was eine grössere Herausforderung darstellt.
Danach ist die Reihe an den Büchern. «Für uns ist klar, dass die Öffentlichkeit ein Anrecht darauf hat, die Sammlung zu sehen, in der wir selber immer wieder Neues entdecken», sagt die neue Besitzerin. Führungen? Matinées? Fixe Öffnungszeiten? Noch weiss das Paar nicht, in welcher Form das geschehen soll. «Ideen haben wir viele, die Zeit wird zeigen, was sich umsetzen lässt», sagt Jeanette Leu.
Wie viele Bücher sich tatsächlich in ihren beiden Bauernhäusern befinden, kann sie nicht beziffern. «Zuerst müsste der Begriff definiert werden, denn Hans A. Jenny sammelte auch Zeitschriften», sagt sie, «aber wir sind nicht erpicht auf Superlative.»
Das 200-jährige Haus musste sich zuerst etwas an die neuen Besitzer gewöhnen. Der Einzug verlief für sie und ihren Partner jedoch ohne grössere Probleme, abgesehen von den eigenen mitgebrachten Büchern: Für diese fanden sie zuerst keinen Platz …
Der «Kompendialist»
tho. Wer war Hans A. Jenny (1931–2022)? Die «bz Basel» umschrieb es in ihrem Nachruf im Mai 2022 so: «Bücherwurm, Bibliothekar, Journalist, Redaktor, Theaterkritiker, Poet, Referent, Reisender, Wienkenner, Stadtführer, Musikliebhaber, Enthusiast, Nostalgiker, Preisträger, Autor, Napoleonverehrer, Vater, Ehemann, Freund, Patriot, Tierfreund.» Im Nachruf in der «Volksstimme» waren ganz ähnliche Zuschreibungen zu finden mit der Ergänzung: «Wäre ‹ein Original› nicht etwas negativ behaftet, so würde ihn dieser Begriff vielleicht am besten umschreiben.» Er selbst bezeichnete sich vorzugsweise als «Kompendialist». Dies in Anlehnung an das Wort Kompendium – ein kurzes Nachschlagewerk oder Lehrbuch für alle möglichen Wissensbereiche.
Hans A. Jenny war nicht nur ein leidenschaftlicher Sammler, sondern auch ein erfolgreicher Buchautor, Journalist (unter anderem Chefredaktor des «Doppelstab») und gefragter Referent bei kulturellen Anlässen in der Schweiz und im Ausland. Als Verfasser von mehr als 35 kulturgeschichtlichen Büchern hat er den Kulturpreis 1993 der Basellandschaftlichen Kantonalbank und den Kulturpreis 1995 der Gemeinde Riehen erhalten. 2016 gab es eine feierlichen Würdigung von Jennys Schaffen durch den Baselbieter Regierungsrat. Geehrt worden war er auch 2002, als er Ehrenbürger seiner Wohngemeinde Tecknau wurde, wo er wesentlichen Anteil am Entstehen der dortigen Heimatkunde hatte.