Löchriges Loch
25.07.2025 Baselbiet, PolizeiDas Christuskind kommt ebenso zuverlässig alle Jahre wieder wie das um sechs Monate zeitversetzte Sommerloch. Es, das Sommerloch, nicht das Christuskind, trägt auch den Namen «Sauregurkenzeit», weil dann im Journalismus eine so dünne Ernährungslage herrscht, dass wir ...
Das Christuskind kommt ebenso zuverlässig alle Jahre wieder wie das um sechs Monate zeitversetzte Sommerloch. Es, das Sommerloch, nicht das Christuskind, trägt auch den Namen «Sauregurkenzeit», weil dann im Journalismus eine so dünne Ernährungslage herrscht, dass wir nicht darum herumkommen, aus dem Vorratsregal die sauresten Gurken hervorzuholen. Das geht ans Eingemachte.
In der Politik steht der Betrieb weit mehr als sechs Wochen auf Stand-by, bei den rettenden Pressekonferenzen herrscht Flaute wie am Mittelmeer zur Mittagszeit; und auf die Flut von Rechnungsgemeindeversammlungen im Vormonat folgt wie am Wattenmeer die Ebbe. Auch der Vorbericht, die Zwischen- und die Schlussbilanz zur Kirschenernte helfen den Medien trotz Kirschessigfliege auch nicht mehr über die saure Zeit hinweg. Der Klimawandel lässt die Früchte längst im bereits überladenen Juni reifen.
Seit Jahren kehrt die «Volksstimme» der Flaute vor und beschränkt sich ab der zweiten Woche der Schulferien auf zwei Ausgaben pro Woche. Gemeinsam mit Barbara Saladin begeben wir uns auf Ausflüge in der Region. Mit Hanspeter Gsell bereisen wir sogar ferne, paradiesische Inseln. Mit Nikolaos Schär lernen wir Olten näher kennen. Diese Stadt liegt gefühlt auf einem anderen Kontinent, in Wahrheit aber nur acht Zugsminuten vom Oberbaselbiet entfernt. Die wöchentliche Serie zum Sissacher Jubiläumsjahr wird munter fortgesetzt. Auch die grossen Schwestern der «Volksstimme» (Zeitungen sind weiblich) und das Regionaljournal mobilisieren ihre Fantasie.
Blicken wir aber ungefähr zum Halbzeitpfiff der Sommerferien auf die ach so ereignislosen drei Wochen zurück, so stellen wir fest, dass selbst im Oberbaselbiet nicht nichts lief. Die Fussball-EM der Frauen mit der verletzten Lara Marti aus Lupsingen buhlt mit der Basellandschaftlichen Kantonalbank und ihrem obersten Zahlmeister aus dem Oberbaselbiet um die grössten Lettern auf der Titelseite. In diese Zeit fällt auch die Kehrtwende des Klausus zum Paulus, der wiederum drei potenzielle Regierungsratsmitglieder aus dem Oberbaselbiet auf den Plan und in die Schlagzeilen ruft. In Böckten wird aus einer Ameise ein Elefant gemacht und im Bad Eptingen der Beizer zur Schnecke. Bundesrat Albert Rösti spricht auf dem Oberbölchen zum Nationalfeiertag, der in Gelterkinden wiederum erst gar nicht stattfinden wird. Das Sommerloch wird löchrig.
Um in die Fauna zurückzukehren: Wegen dieser plötzlichen Themenvielfalt ist auch das berühmteste Loch in der Geschichte des Journalismus, das lange zuverlässig jeden Sommer erschienen ist und die Zeitungsseiten gefüllt hat, plötzlich für immer abgetaucht: das Ungeheuer von Loch Ness.
Übrigens: Die Sprachpolizei tadelte an dieser Stelle einst, dass in den Medien plötzlich alles und alle «Geschichte schreiben». Was einst Julius Cäsar vorbehalten war, nämlich seine Schlachten gleich selber in Latein niederzuschreiben, ahmten in den vergangenen Wochen in den Zeitungen und im Fernsehen gleich mehrere Schweizer Sportlerinnen nach: Tennisspielerin Belinda Bencic, Radfahrerin Marlène Reusser und Fussballerin Riola Xhemali und sogar die EM selber schreiben dieser Tage Geschichte. Wer soll das alles mal büffeln? Am tollsten mit Schreiben treiben es die Schwedinnen. Gemäss Fernsehkommentator schreiben sie Geschichte, weil sie möglicherweise erstmals seit mehr als 20 Jahren einen EM-Halbfinal erreichen. Da schreiben wir, um allfällige Löcher zu stopfen, doch lieber Geschichten.
Jürg Gohl