«Landwirtschaftsbetriebe wären in ihrer Existenz bedroht»
30.08.2024 RegionMarc Brodbeck, Präsident des Bauernverbands beider Basel, warnt vor einem Ja zur Biodiversitätsinitiative. Sie gefährde die Nahrungsmittelproduktion und damit die Versorgungssicherheit der Schweiz. Die Bauern würden um ihr Einkommen fürchten.
Janis ...
Marc Brodbeck, Präsident des Bauernverbands beider Basel, warnt vor einem Ja zur Biodiversitätsinitiative. Sie gefährde die Nahrungsmittelproduktion und damit die Versorgungssicherheit der Schweiz. Die Bauern würden um ihr Einkommen fürchten.
Janis Erne
Herr Brodbeck, die Biodiversitätsinitiative will unsere natürlichen Lebensgrundlagen schützen. Man könnte meinen, dies sei auch im Interesse der Landwirtinnen und Landwirte. Warum lehnt der Bauernverband beider Basel die Initiative ab?
Marc Brodbeck: Weil die Annahme der Initiative massive Auswirkungen auf verschiedene Bereiche hätte. Betroffen wäre unter anderem die Versorgungssicherheit der Schweiz, es käme zu Einschränkungen bei der Nahrungsmittelproduktion. Wir würden noch abhängiger vom Ausland. Die Biodiversitätsförderung ist seit 30 Jahren auf gutem Weg, heute dient bereits jede fünfte Hektare Landwirtschaftsland der Stärkung der Biodiversität. Wir brauchen nicht mehr Biodiversitätsflächen, sondern qualitativ bessere.
Was meinen Sie mit «qualitativ besser»?
Die bestehenden Biodiversitätsflächen könnten optimiert werden. Leider werden den Landwirten mit einem überdimensionierten Regelwerk viele Bewirtschaftungsmassnahmen vorgegeben, die exakt eingehalten werden müssen. Besser wären Zielvorgaben zu den botanischen Zusammensetzungen der Biodiversitätsflächen. Der Landwirt kennt seine Flächen, Böden und die Bedürfnisse der Pflanzen bestens und weiss, wie man die Flora beeinflussen kann.
Der Bauernverband beider Basel hat bereits im April und damit fast ein halbes Jahr vor der Abstimmung kommuniziert, dass er die Biodiversitätsinitiative ablehnt. Die Initiative scheint den Verband zu beschäftigen. Was befürchten Sie für den Bauernstand, wenn die Initiative angenommen wird?
Die Bäuerinnen und Bauern befürchten eine Reduktion ihres Einkommens, wenn sie auf landwirtschaftlichen Nutzflächen noch mehr Biodiversitätsflächen anlegen müssen. Mich irritiert in Zeiten einer instabilen Weltlage, dass wir schon wieder gegen eine Initiative kämpfen müssen, welche die Lebensmittelproduktion in der Schweiz einschränken will.
Wären Landwirtschaftsbetriebe im Baselbiet in ihrer Existenz bedroht bei einem Ja am 22. September?
Ja, das wären sie. Doch es wären nicht nur Landwirtschaftsbetriebe in ihrer Existenz bedroht. Auch in vor- und nachgelagerten KMU-Betrieben würden Arbeitsplätze verloren gehen, wenn der Landwirt weniger verdient und seinen Betrieb nicht mehr weiterentwickeln kann.
Es fällt auf, dass in den Ja-Komitees fast keine Landwirtinnen und Landwirte vertreten sind. Wie erklären Sie sich das?
Die Landwirtinnen und Landwirte haben sich schon lange und intensiv mit dem Thema befasst. Sie sind sich der Konsequenzen dieser Initiative bewusst und möchten nicht noch mehr Einschränkungen in der Produktion. Die Initiative will nicht nur die Biodiversität, sondern auch die Landschafts- und Ortsbilder schützen. Dies führt zu hohen, noch nicht abschätzbaren Kosten. Zudem werden Baubewilligungsverfahren erschwert.
Die Initiative schreibt nicht vor, wie viele Flächen unter Schutz gestellt werden müssen oder wie viel Geld dafür ausgegeben werden muss. Die Befürworter betonen, zusammen mit den Landwirten Lösungen finden zu wollen. Kurzum: Die Politik hätte Spielraum bei der Umsetzung der Initiative. Malt der Bauernverband nicht zu sehr den Teufel an die Wand?
Nein, mit der Annahme der Initiative wird einer Verfassungsänderung zugestimmt und es ist das Ziel der Initianten, mit der «Agrarpolitik 2030» mehr Biodiversitätsflächen auszuscheiden. Die Bauern sind direkt betroffen von den Forderungen und müssen die Umsetzung ausbaden. Die Grösse der Schutzflächen ist im Initiativtext nicht explizit genannt. Die Initianten haben sich aber immer klar und auch öffentlich dafür ausgesprochen, dass 30 Prozent der Landesfläche unter Schutz gestellt werden sollen.
Die Schweiz hinkt bei der Förderung der Biodiversität den meisten europäischen Ländern hinterher. Diese Woche haben mehr als 100 Forscher vor einem weiteren Verlust der Artenvielfalt gewarnt. Haben die Gegner der Initiative die Zeichen der Zeit nicht erkannt?
Die Probleme sind in der Schweiz nicht grösser als in anderen europäischen Ländern. Die Schweiz ist ein dicht besiedeltes Land. Die Bevölkerung ist in den vergangenen 25 Jahren um fast 30 Prozent gewachsen. Die Hauptgründe für den Artenschwund sind Überbauung und damit Versiegelung der Böden sowie die Zerschneidung und Fragmentierung der Lebensräume durch Infrastrukturen und Siedlungen.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
Energieproduzenten, Waldeigentümer und Bauunternehmen sagen ebenfalls Nein
sda. Die Biodiversitätsinitiative will Bund und Kantone verpflichten, die Artenvielfalt, die Landschaft und das baukulturelle Erbe besser zu schützen. Sie fordert für den Erhalt der Biodiversität mehr Flächen und mehr Gelder der öffentlichen Hand. Ausserdem verlangt die Initiative, die Natur, vielfältige Landschaften und schöne Ortsbilder auch ausserhalb von Schutzgebieten zu schonen (siehe «Volksstimme» vom 23. August).
Nach Ansicht des Nein-Komitees würde die Biodiversitätsinitiative die Lebensmittelproduktion stark einschränken. Weiter gibt das Gegenkomitee zu bedenken, dass neben der Landwirtschaft auch die Energieproduktion eingeschränkt würde – ebenso die Wald- und Holzwirtschaft sowie die Nutzung von Berggebieten für den Tourismus. Das Gegenkomitee besteht aus Vertretern von Landwirtschaft, Energieund Bauwirtschaft, Wald- und Holzwirtschaft, Wirtschaftsverbänden sowie Vertreterinnen und Vertretern von SVP, FDP und «Mitte».
Der Bundesrat lehnt die Initiative ab, weil sie ihm zu starr ist. In den Worten von Umweltminister Albert Rösti lässt sie die Ausgewogenheit zwischen Biodiversität und Ortsbildschutz einerseits und den Interessen der Volkswirtschaft andererseits vermissen.