Kirschen rot, Spargel tot
09.05.2025 PersönlichEigentlich wollte ich diese Kolumne dem Genuss und nicht dem Genus, dem grammatikalischen Geschlecht der Spargel, widmen. Da diese Zeitung jedoch auch im Ausland gelesen wird, komme ich nicht umhin, auf eine Eigenheit schweizerischer Rechtschreibung hinzuweisen.
In Deutschland gibt es ...
Eigentlich wollte ich diese Kolumne dem Genuss und nicht dem Genus, dem grammatikalischen Geschlecht der Spargel, widmen. Da diese Zeitung jedoch auch im Ausland gelesen wird, komme ich nicht umhin, auf eine Eigenheit schweizerischer Rechtschreibung hinzuweisen.
In Deutschland gibt es keine Spargeln, die Mehrzahl der Spargel ist die Spargel. Eine Spargel in der Schweiz ist die Spargel, in Deutschland nennt man den Stängel jedoch den Spargel. Deshalb, liebe nördliche Nachbarn: Sollten Sie von einer schönen Schweizerin gefragt werden, ob Sie «spargeln» wollen, so handelt es sich nicht etwa um einen unsittlichen Antrag, sondern um eine Einladung zum Essen.
Möglicherweise hat Sie dieser Ausflug in die Unterwelt der Grammatik nicht interessiert. Vielleicht aber möchten Sie wissen, woher denn die besten weissen Spargeln der Welt stammen. Sind es wirklich die Elsässer oder vielleicht doch die Markgräfler? Sind es Spargeln aus der Lüneburger Heide, aus dem Münsterland oder vom Bodensee? Oder stammen sie doch aus Südafrika, Griechenland, Taiwan, Spanien, Cavaillon oder aus dem zürcherischem Rafzerfeld?
Die Antwort ist kurz und bündig: Es spielt überhaupt keine Rolle, wo die Spargeln gewachsen sind. Nur Ausnahmekönner könnten in einer Degustation vielleicht einen Unterschied feststellen. Es gibt nur eine einzige Voraussetzung für eine gute Spargel: Frisch muss sie sein, sehr frisch. Am Morgen gestochen, am gleichen Tag gegessen.
Ein Grossverteiler will uns zurzeit tatsächlich weismachen, dass seine Spargeln aus Südamerika frisch seien, frisch verpackt in einer Hightech-Folie. In diesen Beutelchen täten sie – so der Werbetext – frisch vor sich hin schlafen und locker eine mehrwöchige Schiffsreise überstehen.
Sollten Sie sich jetzt wieder von Ihrem Lachanfall erholt haben, hier noch ein Tipp zum Spargelkauf: Beim Zusammendrücken des Schnittendes zweier erntefrischer Spargeln sollte etwas Saft austreten. Bei Aneinanderreiben zweier Spargeln sollte ein leicht quietschendes Geräusch zu hören sein.
Als junger Kellner musste ich zusehen, wie ein Gast seinen Spargeln die wunderbar zarten Köpfchen abschnitt und sie auf den Tellerrand legte. Er tunkte die dicken Enden sichtlich vergnügt in etwas Mayonnaise. Damit er diese besser verdauen konnte, trank er zum Abschluss des Essens die Fingerbowle und saugte den Zitronenschnitz aus.
Der Gast kannte wohl Charles de Gaulle nicht. Der meinte einmal: «Es hat mich nie gestört, dass man mich mit einer Spargel verglichen hat: Denn am Spargel ist der Kopf das Wichtigste.»
Die Spargelsaison begann bereits Mitte April und dauert noch fast bis Ende Juni. Der Johannistag am 24. Juni markiert offiziell das Ende der Spargelsaison. Anschliessend gilt die bewährte Bauernregel: Kirschen rot, Spargel tot.
Der Autor, Kolumnist Hanspeter Gsell, lebt seit mehr als 40 Jahren in Sissach.