Kämpfen für den wirtschaftlichen Aufschwung
06.06.2024 Bezirk Waldenburg, Waldenburg, Wirtschaft
Feinmechanik-Serie, Teil 6: Waldenburg Mit dem Medizinaltechnikunternehmen DePuy Synthes in Oberdorf verlagert die bis anhin grösste Feinmechanik-Firma im Waldenburgertal rund die Hälfte ihrer Stellen ins Ausland. Was bedeutet das für das Tal und wie ist die historisch wichtige ...
Feinmechanik-Serie, Teil 6: Waldenburg Mit dem Medizinaltechnikunternehmen DePuy Synthes in Oberdorf verlagert die bis anhin grösste Feinmechanik-Firma im Waldenburgertal rund die Hälfte ihrer Stellen ins Ausland. Was bedeutet das für das Tal und wie ist die historisch wichtige Feinmechanik-Branche heute aufgestellt? In dieser Ausgabe: Waldenburg.
André Frauchiger
Das alte, früher prosperierende Industrie-Städtchen Waldenburg mit seinen rund 1150 Einwohnerinnen und Einwohnern hat es in wirtschaftlicher Hinsicht schwer: Die grosse Medizinaltechnikfirma Straumann ist bereits vor Jahren nach Basel gezogen mit der Begründung, qualifizierte Arbeitskräfte wollten wegen des langen Weges nicht in Waldenburg arbeiten. Weitere Firmen wie Teile der renommierten Uhrenfirma Revue Thommen verliessen Waldenburg ebenfalls. Hinzu kommt: Das «Stedtli» mit seinem sehr hohen Gemeindesteuerfuss von 69,5 Prozent ist für natürliche Personen als Wohnort nur bedingt attraktiv.
Die Ende Juni aus dem Amt scheidende Gemeindepräsidentin Andrea Kaufmann, die weiterhin als Mitglied der FDP im Landrat sitzt, macht sich keine Illusionen: Sie und der gesamte Gemeinderat «bedauerten es sehr, dass der Wirtschaftsstandort Waldenburg für Firmen nicht mehr attraktiv ist». Obwohl die Gemeinde das Gelände der Revue Thommen in eine öW3-Zone umgewandelt habe, wo Wohnen und Gewerbe möglich ist, sei bisher kein Projekt auf dem verlassenen Industriegelände realisiert worden. Andrea Kaufmann: «Wenn man realistisch ist, müssen wir unsere Stärken auf Wohnen, Tourismus und Freizeit setzen. Die goldenen Zeiten mit dem grossen Wirtschaftsboom sind leider vorbei.»
Die Nachfolgerin von Andrea Kaufmann, Andrea Sulzer von den Grünen, wird das Gemeindepräsidium am 1. Juli übernehmen. Sie teilt auf Anfrage lediglich mit, der Gesamtgemeinderat werde «für die neue Legislatur festlegen, inwiefern wir uns als Gemeinde auf Wirtschaftsförderung und Ansiedlungsbestrebungen fokussieren möchten». Hierfür werde der Gemeinderat «mit dem Gewerbe in Kontakt treten und Bedürfnisse und Möglichkeiten eruieren». Es ist also bei den Gemeindebehörden noch alles offen.
Die «Volksstimme» wollte deshalb von den beiden grössten noch verbliebenen Firmen in Waldenburg, der Tschudin + Heid AG und der Rero AG, beides Betriebe in Familienbesitz, wissen, wie sie die wirtschaftliche Lage von Waldenburg und des Waldenburgertals einschätzen.
«Kein schöner Anblick»
Tobias Schmid leitet seit mehr als zehn Jahren und in fünfter Generation das 132-jährige Familienunternehmen Tschudin + Heid an der Hauptstrasse 35 in Waldenburg. Wer von Oberdorf her in das mittelalterliche Städtchen kommt, kann das Firmenschild auf der linken Strassenseite nicht übersehen. Die Firma beschäftigt 55, meist hoch qualifizierte Mitarbeitende.
Ohne Zahlen zu nennen, erklärt Firmenchef Tobias Schmid, dass sein Betrieb kerngesund sei und erfolgreich seit vielen Jahren präzisionsmechanische Bauteile und Baugruppen, aber auch Zylinderlängsführungen produziere und in alle Welt liefere. Bewusst werde nicht einfach Wachstum angestrebt, sondern es gehe in allererster Linie um die Sicherung und weitere Verbesserung der bereits sehr hohen Qualität der Produkte mit Prozessoptimierungen. Präzisionsmechanik ist die Stärke von Tschudin + Heid.
Tobias Schmid bedauert den Abgang anderer Firmen. Aus seiner Sicht ist das Waldenburgertal und speziell das Städtchen Waldenburg ein guter Firmenstandort. Mit der Erneuerung der Waldenburgerbahn und der Taktverdichtung sei auch der Anschluss an den öffentlichen Verkehr für Mitarbeitende befriedigend.
Wo fehlt es dann? Tobias Schmid hält sich mit Kritik zurück. Aber er gibt klar zu verstehen, dass er aktive Engagements von Firmen, des Kantons und der Gemeinde für die Neuansiedlung von Unternehmen vermisst. Seit vielen Jahren stehe das Firmenareal der früheren Revue Thommen ungenutzt da. Das sei «kein schöner Anblick», so Schmid. Insbesondere die kantonale Wirtschaftsförderung müsse da gezielte Schritte machen, damit sich neue Unternehmen in Waldenburg ansiedeln.
Eine zukunftsorientierte Gesamtbeurteilung der Wirtschaft allgemein und bezüglich Entwicklung des Medtech-Bereichs im Waldenburgertal sei aber schwierig zu machen. Tobias Schmid könnte sich zum Beispiel die Schaffung eines attraktiven neuen Gewerbezentrums in Waldenburg vorstellen. Es brauche auch gute neue Steuerzahlende. Notwendig sei schliesslich auch der Bau eines neuen Wärmeverbunds.
Keine Nachwuchsprobleme
Das zweite grössere Unternehmen in Waldenburg ist die Rero AG, angesiedelt im oberen Teil des «Stedtlis», an der Hauptstrasse 96. Sie ist auf die Veredelung verschiedenster Metalle spezialisiert. Gegründet im Jahr 1882, ist die Firma wie Tschudin + Heid immer noch vollständig in Familienbesitz. Sie wird in fünfter Generation von Geschäftsführer Thomas Tschopp und dessen Cousin Adrian Tschopp geführt. Die Rero AG beschäftigt 75 Angestellte und bildet gleichzeitig rund 10 Lernende aus. Mit der spezifischen Ausbildung von relativ vielen Lernenden werde ein grosser betrieblicher Aufwand geleistet, aber das Unternehmen habe auf diese Weise praktisch keine Nachwuchsprobleme, erklärt Thomas Tschopp.
Drei Standbeine hat die Firma Rero. Das grösste ist die Galvanik, also die Veredelung von Metallen durch Verchromen, Vernickeln, Versilbern oder Vergolden. Dies als Korrosionsschutz, damit das Metall nicht wegrostet. Galvanik braucht es auch im Bereich der Elektronik für die Sicherstellung der Leitfähigkeit sowie der Signal- und Stromübertragung. Bei Rero wird dabei oft auch mit Silber und Gold gearbeitet. Seltener wird Metall aus ästhetischen Gründen verchromt oder vergoldet.
Zweites Standbein des Familienunternehmens ist die Verwendung von Eloxal als Schutz für Aluminium. Mit Eloxal wird künstlich erzeugt, dass Aluminium als Material härter und damit vor Rost geschützt wird. Das dritte Standbein ist die Edelstahlbearbeitung, das Elektropolieren und Passivieren für den Korrosionsschutz. Mikrounebenheiten auf dem Metall werden mit chemischen Mitteln beseitigt; diese Art der Bearbeitung ist insbesondere in der Medizinaltechnik gefragt. Auch mechanische Bearbeitungen wie Schleifen und Strahlen und der eigene Transportservice für fast die ganze Schweiz gehören zur Angebotspalette der Rero AG.
Keine glänzende Zeit
Die Industrie erlebt laut Rero-Geschäftsführer Thomas Tschopp derzeit keine glänzende Zeit. Im Juli 2023 sei die Auftragslage plötzlich schlechter geworden. Tschopp: «Der Umsatz ist aktuell halbwegs in Ordnung, aber es muss wieder besser werden.» Die Rero betreibt selber keinen Export, sondern dient ausschliesslich als Zulieferer der Exportindustrie. Tschopp: «Auftragsmässig sehen wir nur anderthalb bis zwei Wochen in die Zukunft. Wir profitieren aber von langfristigen Kundenbeziehungen.» Notwendig sei die Erarbeitung von Plänen für die Weiterentwicklung und Investitionen in die Zukunft. Dies gelte insbesondere für Waldenburg. Doch: «Alle müssen mitmachen, sonst funktioniert es nicht.»
Zuziehungswillige positiv zu beeinflussen oder die Anwerbung von Fachleuten erfolgreich zu meistern, sei beim derzeit negativen Image von Waldenburg sehr schwierig. Thomas Tschopp: «Ich glaube, die Gemeinde kann da nicht viel machen. Aber der Kanton steht in der Pflicht. Auch der Bund muss für die Industrie gute Rahmenbedingungen schaffen. Denn wir müssen weiterhin in der Schweiz produzieren können.» Wenn Industriefirmen weggehen, sei auch das Knowhow für immer weg.
Wie sieht die Zukunft aus? Thomas Tschopp erklärt, die Bürokratie der EU bereite ihm sehr viele Sorgen. Selbst wenn die Schweiz die Bestimmungen des EU-Raums nicht übernehme, seien die Schweizer Unternehmen trotzdem gezwungen, diese zu beachten und zu erfüllen. Als Beispiele nennt Thomas Tschopp das Lieferketten- und Datenschutzgesetz und darüber hinaus «die ganze CO2-Geschichte». Was ist zu tun? «Der Bund muss Gegensteuer geben, Belastungen sind abzubauen», unterstreicht der Unternehmer ohne zu zögern.
Rero-Geschäftsführer Tschopp ist trotz aller Schwierigkeiten grundsätzlich zuversichtlich – und entschlossen, den Baselbieter Standortförderer Thomas Kübler und sein Team bei der Umsetzung des gestarteten Bundesprojekts für die Strukturförderung im ländlichen Gebiet zu unterstützen. Er werde zu diesem Zweck versuchen, andere Unternehmerinnen und Unternehmer für diese Initiative zu gewinnen, so Tschopp. Und versuchen, mit ihnen Verbesserungsvorschläge zugunsten einer zukunftsfähigen Wirtschaft im ländlichen Gebiet, auch für Waldenburg, auszuarbeiten.
Die «Volksstimme» hat verschiedene Gemeinden im und ums Waldenburgertal besucht und legt in einer sechsteiligen Serie dar, wie es den dortigen Feinmechanik-Firmen geht.
Bereits erschienen:
Hölstein (24. Mai),
Oberdorf (28. Mai),
Liedertswil (30. Mai),
Bennwil (31. Mai) und
Niederdorf (4. Juni). Ende der Serie.