Jugendanwältin setzt auf Mediation
08.05.2025 BaselbietRückgang bei Gewalt, dafür mehr Gruppendelikte
Im Baselbiet ist die Zahl der durch Kinder und Jugendliche begangenen Delikte minimal gesunken, während mehr Jugendliche beschuldigt wurden. Zugenommen haben Taten, an denen Gruppen beteiligt waren. Rückläufig sind ...
Rückgang bei Gewalt, dafür mehr Gruppendelikte
Im Baselbiet ist die Zahl der durch Kinder und Jugendliche begangenen Delikte minimal gesunken, während mehr Jugendliche beschuldigt wurden. Zugenommen haben Taten, an denen Gruppen beteiligt waren. Rückläufig sind dagegen Drogendelikte.
Thomas Immoos
Im Kanton Baselland sind im vergangenen Jahr weniger Kinder und Jugendliche durch Gewalttaten aufgefallen. Schwere Gewalttaten wie versuchte Tötung (von 6 auf 0 Fälle) und schwere Körperverletzung (von 27 auf 11 Fälle) gingen deutlich zurück. Total registrierte die Behörde 285 Gewaltdelikte, im Jahr 2023 waren es noch 300. Dies teilte die Leitende Jugendanwältin Corina Matzinger gestern an einer Medienorientierung mit. Allerdings folgt der kleine Rückgang auf das Jahr 2023, als ein sehr hoher Anstieg (+57 Prozent) zu verzeichnen war.
Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 3045 durch Kinder und Jugendliche begangene Delikte angezeigt (Vorjahr 3049), die meisten davon betrafen Delikte gemäss Strafgesetzbuch. Den Rückgang führt Matzinger auf erfolgreiche Informations- und Präventionsmassnahmen zurück.
Einen neuen Höchststand erreichten Verstösse gegen das Strassenverkehrsgesetz, insgesamt 600 (+62 Delikte). «Hier stellen wir eine stärkere Verbreitung von Trendfahrzeugen fest», führte die Leitende Jugendanwältin als Erklärung an. Drogen waren hingegen weniger häufig ein Thema (Rückgang von 356 auf 280 Delikte), wobei darauf verwiesen wurde, dass die Dunkelziffer in diesem Bereich hoch sei.
Pendenzenberg abgebaut
Angezeigt wurden insgesamt zwar weniger Delikte, dafür aber mehr Personen (von 1364 auf 1466, ein Plus von 7,5 Prozent). Matzinger zeigte sich allerdings erfreut über die seit 2021 insgesamt rückläufige Tendenz bei den Fällen, besonders bei den schweren Delikten. Hingegen gebe es eine verstärkte Neigung von gewaltbereiten Jugendlichen zur Gruppenbildung. Allerdings wollte der stellvertretende Leitende Jugendanwalt, Lukas Baumgartner, nicht von «Banden» sprechen, zumal es sich eher um spontan gebildete Gruppen als um organisierte Banden handelt.
Die Geschäftslast der Jugendanwaltschaft habe erneut zugenommen, hiess es gestern. Es waren vor allem die äusserst komplizierten Persönlichkeitsstrukturen der jugendlichen Täter und deren Familiensysteme, die – neben Abklärungen zur Persönlichkeit der Täterschaft – zu einer erheblichen Mehrbelastung führte. Dank grossem Einsatz aller Beteiligten konnte der Pendenzenberg leicht abgebaut werden, lobte die zuständige Regierungsrätin Kathrin Schweizer (SP) die Arbeit der Jugendanwaltschaft.
Verstärkt setzt diese Behörde auf Prävention und Mediation. Über seine Arbeit berichtete Michael Wittmer, Untersuchungsbeauftragter und Mediator bei der Jugendanwaltschaft. «Die Mediation ist ein wirksames Mittel, um Konflikte zu lösen», betonte er. Vor allem, indem man das Opfer verstärkt einbeziehe, könnten Konflikte frühzeitig und erfolgreich deeskaliert werden. Der Mediator nannte zwei Beispiel erfolgreicher Mediation: Im einen Fall ging es um zwei 13-jährige Buben, die sich beschimpften, bespuckten und schliesslich prügelten. Als die Eltern eines der Knaben eine Anzeige bei der Polizei machten, wurde der Mediator eingeschaltet, der nicht nur die Streithähne an einen Tisch brachte, sondern auch deren Eltern. In getrennten und gemeinsamen Gesprächen konnte der Streit schliesslich beigelegt werden.
Corina Matzinger geht in Pension
In einem zweiten Fall ging es um sexuelle Übergriffe eines Jugendlichen. Der 17-jährige hatte beim Knutschen mit seiner Freundin deren Nein missachtet und sie zu sexuellen Handlungen zu nötigen versucht. Die junge Frau teilte ihr ungutes Gefühl per Chat ihrer besten Freundin mit; Ähnliches tat der junge Mann gegenüber Kollegen – aber mit anderslautenden Darstellungen. Die Mutter des Mädchens erstattete daraufhin Anzeige bei der Polizei. Und in der Schule drohte die Auseinandersetzung zu eskalieren, indem sich zwei Fronten bildeten und die jeweils andere Partei gemobbt wurde. Dank intensiver Gespräche und der Mediation, auch im Schulzimmer, konnte das Ganze gütlich beigelegt werden, sodass eine gerichtliche Auseinandersetzung verhindert werden konnte, zumal sich Täter und Opfer aussprechen konnten. «Die Mediation gibt den Opfern eine Stimme», fasste Wittmer die erfolgreiche Strategie zusammen. Wichtig sei auch, dass der Beschuldigte Verantwortung übernehme.
Erfolgreiche Mediation trage neben der Einigung unter den Betroffenen viel dazu bei, lange und belastende Verfahren, die sich über ein bis zwei Jahre erstrecken könnten, zu vermeiden. Insbesondere, so Wittmer weiter, wirke die Mediation beim Täter präventiv. Insgesamt bringt die Mediation auch eine Entlastung der Jugendanwaltschaft. Regierungsrätin Schweizer wies auf die Zunahme der Mediationen hin, die eine erfolgreiche Massnahme darstellen, um Konflikte zu bewältigen und «für beide Seiten zufriedenstellende Lösungen zu finden».
Corina Matzinger geht Ende August in Pension. Sie war während 38 Jahren im Dienste der Baselbieter Justiz, unter anderem als Erste Staatsanwältin, seit 2008 als Jugendanwältin und in den letzten zehn Jahren als Leitende Jugendanwältin. Am 1. September wird Lukas Baumgartner die Leitung der Jugendanwaltschaft übernehmen. Er ist seit 20 Jahren in der Justiz tätig, zu Beginn als Gerichtsschreiber, danach als Staatsanwalt, bevor er 2001 zur Jugendanwaltschaft wechselte. Neue stellvertretende Leiterin wird Chantal Stadelmann. Ausserdem wird ab September mit Marc Balke eine dritte Leiterstelle besetzt. «Damit ist das Leitungsteam der Jugendanwaltschaft ab September komplett», stellte Kathrin Schweizer fest.