Jenseits der Kantonsgrenze schätzen sie den Naturpark
15.08.2024 RegionIn den Gemeinden der Bezirke Sissach, Waldenburg und einem Teil von Liestal wird im Herbst über die Errichtung eines Naturparks Baselbiet abgestimmt. Dies bereits zum zweiten Mal, nachdem ein erster Anlauf gescheitert ist. Was sagen jene, die seit 14 Jahren in einem Naturpark leben?
...In den Gemeinden der Bezirke Sissach, Waldenburg und einem Teil von Liestal wird im Herbst über die Errichtung eines Naturparks Baselbiet abgestimmt. Dies bereits zum zweiten Mal, nachdem ein erster Anlauf gescheitert ist. Was sagen jene, die seit 14 Jahren in einem Naturpark leben?
Andreas Hirsbrunner
Wir nähern uns dem Naturpark Thal zu Fuss von Langenbruck her. Doch bevor wir unsere Füsse auf den Parkboden setzen und uns im angrenzenden Mümliswil-Ramiswil, das flächenmässig ein Viertel des Parkgebiets umfasst, über die Erfahrungen mit dem Naturpark umhören, schalten wir einen Halt in Langenbruck ein. Dies bei Hans Weber, denn er ist einer der Geburtshelfer des Naturparks Thal. Dass Weber diese Pionierleistung – der Naturpark Thal war im Jahr 2010 der erste dieser Art in der Schweiz – nicht bereut, wissen wir bereits: Der Vizepräsident des Langenbrucker Gemeinderats gehört zu den Gründungsmitgliedern des Trägervereins des geplanten Naturparks Baselbiet.
Weber war damals Geschäftsführer der Region Thal, die den Naturpark Thal initiierte. Er blickt auf den Anfang des Naturparks zurück: «Das hatte mit der neuen Regionalpolitik des Bundes und mit der Anpassung des Natur- und Heimatschutzgesetzes, die Naturpärke ermöglichte, zu tun. Und vor allem hatten wir das Gefühl, so ein Park passt zum Thal.» Es habe denn auch nie Opposition gegen den Park gegeben – auch nicht aus der Landwirtschaft. Diese sei bereits gut eingebunden gewesen in der Region Thal, die vor allem wirtschaftliche und kulturelle Ziele verfolgt habe. Weber: «Die Bauern sahen im Naturpark vor allem eine Chance.» Das habe auch damit zu tun gehabt, dass mit den Labeln «Thaler-Choscht» und «sonatürlich» bereits Erfolge bei der Vermarktung von Regionalprodukten aufgewiesen werden konnten und von Coop eine Zusage kam, dass die Produkte mit dem Park-Label ins Sortiment kommen.
Die wichtigste Errungenschaft des Naturparks Thal ist für Weber die weitere Stärkung der regionalen Zusammenarbeit, was auch damit zu tun habe, dass eine professionelle Geschäftsstelle Projekte anreisse und umsetze. Weber ergänzt, dass Langenbruck mit dem Naturpark Thal schon Beitrittsgespräche geführt habe. «Wenn es jetzt im Baselbiet wieder nicht klappt mit dem Park, dann wagen wir den Schritt über die Kantonsgrenze, wenn sie uns im Thal nehmen.»
Museum als Werbeträger
Ob diesseits oder jenseits der Kantonsgrenze, vom Erscheinungsbild her gibt es kaum Unterschiede. Das merken wir schnell, als wir im Naturpark Thal ankommen.Auch hier dominieren Hügel, Felsen, Wälder, Weiden, Hecken, markante Einzelbäume und abgelegene Höfe die Landschaft. Selbst die Vogelwelt ist identisch, hier ein Turmfalke, dort ein eher seltener Neuntöter, am Himmel ein Rotmilan und darüber ein noch viel grösserer «Vogel» – auch der Naturpark Thal leidet unter dem Südanflug-Regime des Flughafens Basel-Mulhouse, nur fliegen hier die Flugzeuge noch etwas höher und sind deshalb etwas weniger lärmig. Nach etwa einer Stunde Marschzeit erreichen wir einen ersten markanten Punkt: die Bereten Linde. Nicht nur fasziniert hier der ausladende Solitärbaum, sondern auch der Panorama-Blick über das Dorf Mümliswil mit dem Passwang im Norden, dem Guldental mit dem abschliessenden Scheltenpass im Westen und der zweiten und dahinter der ersten Jurakette mit dem Weissenstein im Süden. Hier fällt uns erstmals ein Unterschied zum Baselbiet auf: das Parkgebiet ist deutlich dünner besiedelt.
Wir stechen hinunter nach Mümliswil und besuchen dort zuerst eines der Aushängeschilder im Naturpark Thal, das Museum Haarundkamm in der ehemaligen Kammfabrik der Familie Walter. Hier wurden alle möglichen Kämme vom Luxus- bis zum Alltagsartikel produziert, was im Museum informativ und anschaulich dokumentiert wird. Zum internationalen Kundenkreis der Fabrik gehörten einst auch Königshäuser. 1990 wurde die Kamm-Produktion nach 200 Jahren eingestellt; zur Blütezeit waren 400 Arbeiterinnen und Arbeiter beschäftigt. Derzeit läuft neben der Dauerausstellung die Sonderausstellung Schnauz und Bart.
Elvira Bader, seit 20 Jahren und noch bis kommenden Frühling Präsidentin des Trägervereins, führt uns zu ihrem Lieblingsstück, einer Werkbank namens Kluppe, an der die aus Horn, Schildpatt oder Zelluloid hergestellten Kämme sitzend gefertigt wurden. In ihrer witzigen, manchmal etwas theatralischen Art erklärt uns die Alt-Nationalrätin (CVP, 1999–2011), wie die Arbeiter unter ihrem Sitzdeckel oft eine Schnapsflasche lagerten, deren Inhalt ihnen über die langen Arbeitstage hinweg half. Im Büro mit Glasfassade wachten die Chefs darüber, dass der Alkoholkonsum nicht ausartete.
Das Museum existiert seit 2007 in der heutigen Form, also länger, als es den Naturpark gibt. Bader sagt: «Das Museum war ein Pilotprojekt für die neue Regionalpolitik, die den ländlichen Raum aufwerten will. Das will auch der Naturpark, und wir ergänzen uns gut.» Will heissen, für die Park-Geschäftsstelle in Balsthal ist das einzigartige Museum ein erstklassiger Werbeträger, und durch die Werbung wird das Museum wiederum bekannter. Gleichzeitig bezieht (und bezahlt) das Museum administrative Dienstleistungen von der Parkverwaltung, so die Telefonbedienung und das Anmeldewesen für Museums-Führungen und Workshops zur Herstellung von Kämmen. Diese Angebote seien vor allem bei Gruppen wie Firmen, Vereinen oder Schulen sehr beliebt, sagt Bader und ergänzt: «Das Museum war hervorragend unterwegs mit jährlich über 100 Führungen und einem Dutzend Workshops mit über 3000 Besucherinnen und Besuchern. Corona war dann ein elender Stopper. Jetzt haben wir wieder die Hälfte der früheren Besucherzahl und es zieht weiter an.»
«Null Einschränkungen»
Bader schätzt den Naturpark auch noch aus einer andern Warte: Sie ist Bäuerin. Sie hat die Verantwortung für den Milchwirtschaft- und Pferdezuchtbetrieb mittlerweile zwar an ihren Sohn Stefan weitergegeben, hilft aber immer noch tatkräftig mit. Sie sagt zum Thema Landwirtschaft und Naturpark, das im Baselbiet ein Minenfeld ist: «Wir Bauern stehen voll und ganz hinter dem Naturpark. Wir machen an dessen Sonderprogramm, zu dem das Stehenlassen von Acker-Rückzugsflächen oder das Aufhängen von Nistkästen gehören, mit und sammeln so Biodiversitätspunkte, was sich positiv auf die Direktzahlungen auswirkt.» Natürlich habe es im Vorfeld der Errichtung des Naturparks auch Bedenken wegen mehr Bürokratie und Einschränkungen gegeben. Inzwischen hätten die Bauern aber gemerkt, dass das Ziel des Naturparks und der Landwirtschaft, nachhaltig zu arbeiten, identisch sei. Und: «Wir Bauern haben null Einschränkungen.» Mümliswil-Ramiswil hat laut Bader noch sage und schreibe 68 landwirtschaftliche Vollerwerbsbetriebe.
Nach dem Museumsbesuch gehen wir an diesem Samstagnachmittag Anfang August weiter ins Dorfzentrum von Mümliswil. Dieses wirkt wegen der Ferienzeit jedoch etwas ausgestorben; so haben etliche Läden und alle Restaurants geschlossen. Doch in Marc Ackermanns Zweiradwerkstatt namens Marcs Velo Motos herrscht Betrieb. Trotzdem nimmt sich der Chef kurz Zeit für uns: «Ich finde es gut, dass es den Naturpark gibt. Ich bin ein Mensch, der viel im Wald ist, und da gefällt mir besonders der relativ neu angelegte Holzweg zwischen Balsthal und Holderbank.» Geschäftlich wirke sich der Naturpark für ihn nicht gross aus. Ab und zu halte aber schon ein Velofahrer vor seinem Laden, weil er etwas wolle.
Etwas weiter treffen wir auf den 77-jährigen Rentner Markus Bader – der Name Bader ist in Mümliswil verbreitet –, der gerade am Jäten in seinem Garten ist. Auch er äussert sich nur positiv zum Naturpark. Dieser habe viele gute Projekte und biete auch manch interessante Veranstaltung an. Aber er gehe in seinem Alter nicht mehr überall hin. Profitieren tue er aber von den Produkten wie Teigwaren, Öle und Fleisch, die aus dem Naturpark stammten und die man in Mümliswil kaufen könne. Ins Loblied stimmt auch Schulhausabwart Thomas Lisser ein: «Wir von der Gemeinde arbeiten mit dem Naturpark zusammen und haben im Rahmen des Programms Natur im Siedlungsraum rund 20 Projekte auf Gemeindegebiet.» Lisser erwähnt Blumenwiesen auf dem Friedhof, Blumenwiesen und Hecken bei den Schulhäusern sowie ökologisch aufgewertete Rabatten im Dorf.
Käserei profitiert von Park-Label
Jetzt steigen wir steil bergan Richtung des Weilers Reckenkien nordwestlich von Mümliswil. Dort befindet sich ein gewerbliches Aushängeschild der Region – die Käserei Reckenkien. Bauer um Bauer bringt am frühen Abend seine Milch, die Käser Simon Stoll entgegennimmt. Dazwischen switcht er in den angrenzenden Laden, um Kundinnen zu bedienen. Neun Bauern aus einem Umkreis von maximal 2 Kilometern würden hier noch ihre (silofreie) Milch anliefern. Die Zahl sinke zwar kontinuierlich, doch die Milchmenge nehme zu. Derzeit seien es jährlich 1,35 Millionen Kilogramm, sagt Stoll. Die Käserei sei mehr als 100 Jahre alt, sein Vater habe sie vor 32 Jahren als Pächter übernommen und dann 2010 gekauft. Geplant ist, dass sie in drei bis vier Jahren an den Sohn übergeht. Als Hauptsorte produzieren die Stolls Greyerzer, daneben die Spezialitäten Hosenlupf, Männerkäse, Passwang-Mutschli, Passwang-Louis sowie Joghurt und Butter.
Als Simon Stoll das Herz der Käserei öffnet, bleibt einem für einen Moment die Sprache weg: Im grosszügigen Lagerraum liegen 1200 kleine Laibe mit einem Durchmesser von 30 Zentimetern und 500 Greyerzer-Laibe mit einem doppelt so grossen. In Geld umgerechnet liegt hier Käse im Wert von einer halben Million Franken. Die Stolls liefern ihre mit dem Label «Spezialität aus dem Naturpark Thal» versehenen Produkte an Coop, Migros, Volg und etliche kleine Dorfläden. Simon Stoll sagt dazu: «Wir profitieren vom Namen Naturpark Thal. Das ist extreme Werbung für uns, und das Label öffnete uns auch neue Türen.» Der Park andererseits profitiere von der Lizenzgebühr, die sie für das Label bezahlten, und davon, dass die Milch auch wirklich von hier stamme. Er persönlich finde den Naturpark «eine schöne Sache», weil er die Region für Touristen interessant mache. Stoll: «Der Park ist eigentlich eine Wertschätzung unserer Gegend.» Zum krönenden Abschluss ziehen wir weiter in die hoch über Ramiswil gelegene «Hagli-Beiz», wo wir mit einem guten Nachtessen bewirtet werden. Die «Hagli-Beiz» ist eine von zwei Dutzend Gastropartnern des Naturparks Thal. Bedingung für diesen Status sei, dass sie mindestens drei regionale Produkte im Sortiment führten. Bei ihnen seien das Speck, Käse und die Fonduemischung, sagt Bernadette Grünig, welche die Beiz seit fünfeinhalb Jahren mit ihrem Mann Christian führt. Im Gegenzug empfehle die Parkverwaltung die Gastropartner bei externen Anfragen. Vor der Pandemie habe es regelmässige Treffen unter den Gastropartnern mit Menü-Absprachen gegeben, und sie hätten auch einen Grundbeitrag an den Park für die Werbung bezahlt. Das alles sei seit Corona eingeschlafen. Grünig: «Ich hoffe, das kommt wieder in Gang. Denn für mich wäre es wünschenswert, wenn wir einander wieder gegenseitig helfen, zum Beispiel auch bei Personal-Engpässen.» Den Naturpark, so antwortet sie auf eine entsprechende Frage, finde sie eine «Supersache».
Der Naturpark Thal im Kurzporträt
hi. Der Naturpark umfasst Mümliswil-Ramiswil, Holderbank, Balsthal, Laupersdorf, Matzendorf, Aedermannsdorf, Herbetswil und Welschenrohr-Gänsbrunnen mit knapp 15 000 Einwohnern und 140 Quadratkilometern Fläche. Das Budget beläuft sich im laufenden Jahr laut Geschäftsführerin Ines Kreinacke auf rund 1,8 Millionen Franken. Die grössten Posten auf der Ausgabenseite sind die gegen 100 Projekte, die vom Kleinstprojekt bis zu Grossprojekten wie der Sanierung von Trockenmauern (450 000 Franken über drei Jahre) reichen, sowie die Löhne für die 11 Mitarbeitenden, die sich knapp 7 Vollzeitstellen teilen. Grösster Geldgeber ist das Bundesamt für Umwelt (43 Prozent der Einnahmen) vor dem Kanton Solothurn (8 Prozent) und den Gemeinden (7,5 Prozent). Weitere Einnahmen kommen zum Beispiel aus Leistungsvereinbarungen, von Stiftungen oder vom Verkauf von Dienstleistungen und Produkten. Im Park werden 140 zertifizierte Produkte hergestellt. Am besten laufen gemäss Kreinacke der Käse der Käserei Reckenkien und Würste der Thaler Metzg in Matzendorf.
Podiumsdiskussion
vs. Am Freitag, 30. August, findet eine öffentliche Podiumsdiskussion über den geplanten Naturpark Baselbiet statt, die vom «Komitee Pro Oberbaselbiet» organisiert wird. Der Anlass beginnt um 20 Uhr in der Aula des Sekundarschulhauses Tannenbrunn in Sissach.
Die Teilnehmenden sind: Florence Brenzikofer (Präsidentin Erlebnisraum Tafeljura und Nationalrätin der «Grünen»), Edgar Kupper (Gemeindepräsident von Laupersdorf im Naturpark Thal und «Mitte»-Kantonsrat), Piero Grumelli (Gemeindepräsident von Oberdorf), Fritz Sutter (Gemeindepräsident von Reigoldswil), Ernst Lüthi (Mitglied Naturund Landschaftsschutzkommission BL und Ramlinsburger Landwirt) sowie Michael Kumli (Geschäftsführer von Baselland Tourismus). Moderiert wird die Diskussion von Daniel Wirrlin von «regio-TVplus».