Jakob Schweizer – Erfinder aus Reigoldswil
16.10.2025 BaselbietSein Drehautomat revolutionierte die Uhrenindustrie
Im 19. Jahrhundert brachte Jakob Schweizer mit einer genialen Maschine die Feinmechanik auf ein neues Niveau. Der Tüftler aus Reigoldswil prägte die Schweizer Industrie entscheidend – doch während seine Erfindungen ...
Sein Drehautomat revolutionierte die Uhrenindustrie
Im 19. Jahrhundert brachte Jakob Schweizer mit einer genialen Maschine die Feinmechanik auf ein neues Niveau. Der Tüftler aus Reigoldswil prägte die Schweizer Industrie entscheidend – doch während seine Erfindungen weiterlebten, verschwand sein Name aus dem öffentlichen Gedächtnis.
Hanspeter Gautschin
Wenn von grossen Erfindern die Rede ist, fällt sein Name selten – und doch hat er mit seinem Drehautomaten einen technischen Meilenstein gesetzt: Jakob Schweizer, 1836 in Reigoldswil geboren, war einer jener unscheinbaren Köpfe, die mit ihrer stillen Beharrlichkeit Grosses bewirken. Seine Maschinen wurden zum Rückgrat der modernen Uhren- und Medizinaltechnik – und dennoch ist sein Leben heute fast vergessen.
Jakob Schweizer wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Wie so viele im oberen Baselbiet entstammte er einer Familie von Posamentern – ein Beruf, der Fleiss und Feingefühl erforderte. Doch während andere Kinder mit Holzfiguren spielten, faszinierte ihn alles, was sich drehte, klickte und bewegte. Schon früh zeigte sich sein mechanisches Talent. Die aufkommende Uhrenindustrie im Jura zog ihn magisch an – ein Ort, an dem Präzision, Technik und Zukunft zusammenspielten.
Nach Wanderjahren in Saint-Imier und Biel – Zentren der Uhrmacherei – kehrte Schweizer nach Waldenburg zurück. Die Region befand sich in einem schwierigen Umbruch: Der Bau der Hauensteinlinie hatte den einst florierenden Handelsort an den Rand gedrängt. Arbeitsplätze verschwanden, junge Talente wanderten ab. Umso mutiger war der Entschluss der Gemeinde, 1853 auf die Uhrmacherei zu setzen – ein Schritt, der Waldenburg eine neue industrielle Identität verlieh.
Schweizer übernahm zunächst das Post- und Telegrafenbüro in Waldenburg – ein sicherer Job in unruhigen Zeiten. Doch für einen wie ihn war das zu wenig. In der damals modernsten Kommunikationstechnologie, der Telegraphie, eignete er sich elektrotechnisches Wissen an – Wissen, das er später zur Entwicklung neuer Maschinen nutzte. 1871 kündigte er seine Stelle und ging ein Risiko ein: Er wollte Erfinder werden.
Schneller, präziser und flexibler
Mit dem «Langdrehautomat Typ Schweizer» gelang ihm in den 1870er-Jahren der grosse Wurf. Seine Maschine war schneller, präziser und flexibler als alles bisher Dagewesene. Besonders die feinen Uhrenteile, die andere Maschinen zu grob bearbeiteten, liessen sich nun in hoher Stückzahl herstellen. Der Clou war ein beweglicher Spindelstock, der das Werkstück drehte und gleichzeitig präzise Bewegungen ermöglichte – ein Prinzip, das bis heute in der CNC-Technik weiterlebt.
Unterstützt vom Unternehmer Georges-Frédéric Roskopf gründete Schweizer in Biel eine eigene Fabrik. Sein Automat wurde international patentiert und bald zum Standard in der Uhrenfertigung. Auch in den USA und Frankreich wurden seine Entwicklungen anerkannt.
Nach dem Erfolg in Biel zog es Schweizer nach Solothurn. Dort tat er sich mit dem Industriellen Josef Müller zusammen. Gemeinsam gründeten sie die Firma Müller & Schweizer, die in der Schanzmühle eine hochmoderne Fabrik errichtete. Müller war es auch, der 1886 die erste wirtschaftlich genutzte elektrische Energieübertragung der Schweiz in Gang setzte – von Kriegstetten nach Solothurn. Mit Charles Brown von der Maschinenfabrik Oerlikon realisierte er das Projekt, das Solothurn zur Technikhochburg machte.
Schweizer erkannte zudem ein Problem, das die Branche lähmte: fehlende Normen bei Schrauben und Gewinden. Mit dem «Système Thury» führte er ein metrisches Masssystem ein, das erstmals Austauschbarkeit und Standards ermöglichte – ein Meilenstein für die Industrieproduktion, nicht nur in der Schweiz.
Doch das Leben meinte es nicht immer gut mit dem bescheidenen Tüftler. Als er sich in den 1880er-Jahren mit der Entwicklung elektrischer Uhren befasste, schien sich ein neuer Erfolg abzuzeichnen. 1881 brachte er eine elektrische «Stockuhr» auf den Markt – damals eine technische Sensation. Doch sein Vertriebspartner ging pleite, Schweizer rutschte in den Konkurs. Er stand vor dem Nichts.
Er zog nach Zürich, voller Ideen, aber mit schmalem Budget. Dort entwickelte er Gasmotoren, Petroleumbrenner, Graviermaschinen – viele Patente wanderten in die USA. Doch der grosse Durchbruch blieb aus. 1913 starb Jakob Schweizer einsam, ohne Ruhm, ohne Reichtum – aber mit einem Werk, das in der Industrie bis heute nachwirkt.
Wer mehr über Jakob Schweizer und seine wegweisende Erfindung erfahren möchte, wird im Industriemuseum Waldenburgertal in Niederdorf fündig. Dort lässt sich nicht nur seine Lebensgeschichte weiterverfolgen – auch ein originaler Langdrehautomat Typ Schweizer ist ausgestellt und zeugt von der hohen Kunst der Feinmechanik im 19. Jahrhundert.
Künstler, Dichter, Macher und Visionäre
vs. In unserer Serie stellt Hanspeter Gautschin Menschen aus dem Oberbaselbiet vor, die einst prägend wirkten, heute aber fast vergessen sind. Es sind Künstlerinnen, Dichter, engagierte Macherinnen, stille Visionäre – ebenso wie Unternehmer, Tüftler und Gestalter der Industriewelt, die mit Innovationsgeist und Tatkraft die Entwicklung unserer Region vorantrieben. Persönlichkeiten, die das kulturelle, soziale, geistige oder wirtschaftliche Leben des Oberbaselbiets nachhaltig geprägt haben. Mit erzählerischem Gespür und einem feinen Blick für das Wesentliche lässt Gautschin diese Lebensgeschichten wieder aufleuchten – als Erinnerung, Inspiration und als Beitrag zur regionalen Identität.
Hanspeter Gautschin (1956) lebt in Oberdorf und blickt auf eine facettenreiche Laufbahn im Kulturbereich zurück. Als ehemaliger Impresario, Kulturförderer und Museumsleiter erzählt er mit Vorliebe Geschichten über Menschen, Kultur und das Leben im Alltag.