Ist der Öko-Rabatt gerechtfertigt?
30.07.2024 BaselbietGünstige Abgaswerte haben Plug-in-Hybrid-Autos vor allem auf dem Papier
Plug-in-Hybrid-Autos vereinen das beste aus zwei Welten, heisst es: vom fossilen Antrieb die Reichweite und Unabhängigkeit von Strom-Tankstellen, vom Elektromotor die Umweltfreundlichkeit. Die traumhaft ...
Günstige Abgaswerte haben Plug-in-Hybrid-Autos vor allem auf dem Papier
Plug-in-Hybrid-Autos vereinen das beste aus zwei Welten, heisst es: vom fossilen Antrieb die Reichweite und Unabhängigkeit von Strom-Tankstellen, vom Elektromotor die Umweltfreundlichkeit. Die traumhaft tiefen Verbrauchswerte auf dem Papier dürften in der Praxis kaum erreicht werden.
Christian Horisberger
Der Marktanteil von Autos, die ganz oder teilweise mit Strom fahren, nimmt stetig zu. Im ersten Halbjahr 2024 haben sich drei von fünf Neuwagenkäufer in der Schweiz und Liechtenstein für ein Auto mit alternativem Antrieb entschieden. Am beliebtesten sind dabei Hybrid-Fahrzeuge mit einem Marktanteil von 31,8 Prozent, gefolgt von Elektroautos mit 17,6 Prozent und Plug-in Hybrid Electric Vehicle (PHEV) mit 8,8 Prozent.
Der Plug-in-Hybrid verfügt wie der Vollhybrid über einen Benzin- und einen Elektroantrieb, dessen Batterie beim Bremsen und im Schiebebetrieb geladen wird – in der Fachsprache: rekuperiert. Anders als der Vollhybrid kann dessen Batterie zusätzlich an einer externen Stromquelle aufgeladen werden. Was bei den aktuell auf dem Markt verfügbaren Plug-in-Hybrid-Personenwagen auffällt: Selbst Kleinwagen verfügen über Systemleistungen von mindestens 180 Pferdestärken. In der vom TCS herausgegebenen Neuwagenübersicht 2024 aller Hersteller sind 220 bis 320 PS die Regel, Fahrzeuge mit 400 PS und mehr sind bei SUVs und in der Oberklasse reichlich vertreten.
Wer Öko am Steuer ernst nimmt, macht sich die häufig brachiale Leistung aber nicht zunutze, sondern fährt wenn immer möglich elektrisch und nur dann mit dem Verbrenner, wenn die Batterie leer ist. Das Konzept des PHEV: Das Auto wird hauptsächlich für kürzere Strecken eingesetzt, dabei elektrisch gefahren und die Batterie bei jeder sich bietenden Gelegenheit aufgeladen – auch an der Haushaltssteckdose. Denn die Hersteller verbauen in den Fahrzeugen eher kleine Batterien mit Reichweiten von zumeist nur 50 bis 80 Kilometern. Grössere Batterien würden zusätzliches Gewicht und einen höheren Verkaufspreis bedeuten.
Theorie und Praxis
Für die Hersteller und Importeure sind die PHEV-Fahrzeuge interessant, weil sie, optimal betrieben, einen sehr tiefen Verbrauch und C02-Ausstoss aufweisen. Damit sinkt der Kohlendioxid-Ausstoss der Flotte, womit sich beim Import Bussen vermeiden lassen. Aber: Der von den Autobauern angegebene Verbrauch beziehungsweise CO2-Ausstoss entspricht nicht der Realität.
So ermittelte der Verkehrsclub der Schweiz (VCS) bereits 2021 in einem Versuch, dass im Fahrbetrieb je nach Fahrzeug tatsächlich drei- bis achtmal mehr CO2 produziert wird, als von den Herstellern angegeben. Eine im Frühling dieses Jahres veröffentlichte Untersuchung der EU-Kommission bescheinigt Plug-in-Hybrid-Autos im Alltagsbetrieb den dreieinhalbfachen CO2-Ausstoss gegenüber den Hersteller-Angaben. Dies auch, weil die Fahrzeuge, die in den seltensten Fällen schnellladefähig sind, oft nicht vollständig aufgeladen würden und die Lenkerinnen und Lenker dann im Fahrbetrieb auf die Benzinreserve zurückgreifen müssten. Anette Michel, Projektleiterin Eco-Auto beim VCS Schweiz, sprach im «Tages-Anzeiger» bezogen auf das Ergebnis der EU-Untersuchung von einer «Schummeltechnologie».
Gestützt werden die Erkenntnisse durch Abgasmessungen im rollenden Strassenverkehr, die das Lufthygieneamt beider Basel (LHA) 2023 angestellt und kürzlich im Infoheft des Kantons Baselland publiziert hat. Die Messungen an der Feldberg- und an der Zürcherstrasse in Basel sowie an der Bruderholzstrasse in Bottmingen zeigten unter anderem, dass nur 17 Prozent der 5464 erfassten Hybrid-Autos im Elektromodus unterwegs waren, wobei keine Unterscheidung zwischen Voll- und Plug-in-Hybrid-Fahrzeugen gemacht wurde. Dieser Anteil sei im Vergleich mit Untersuchungen im Ausland (rund 40 Prozent) tief und führe dazu, dass Hybrid-Fahrzeuge nur begrenzte Vorteile in Bezug auf die Luftqualität bieten, folgert das LHA.
Steuerrabatt für schwere Boliden
Am ökologischen Nutzen der PHEV-Fahrzeuge bestehen also begründete Zweifel. Dennoch werden im Baselbiet die Käufer von Plug-in-Hybrid-Autos mit einen Verkehrssteuerrabatt von jährlich 300 Franken belohnt. Denn alle PHEV, die auf dem Schweizer Markt aktuell erhältlich sind, weisen auf dem Papier CO2-Ausstoss-Werte von unter 125 Gramm/km auf, was zum Maximal-Rabatt berechtigt.
Keine Rolle spielt beim Verkehrssteuerrabatt die Energieeffizienz-Kategorie eines Fahrzeugs. So profitiert beispielsweise ein Porsche Cayenne E-Hybrid Turbo mit 740 PS mit nur 47 Gramm CO2/km vom vollen Steuerrabatt. Das vergleichbare Modell ohne Strom-Aggregat stösst 319 Gramm aus. Für dieses Modell wird ein Verkehrssteuer-Zuschlag von 300 Franken fällig.
300 Franken Rabatt erhalten übrigens Käuferinnen und Käufer eines Volvo XC 60, mit 1111 Verkäufen im ersten Halbjahr der beliebteste Plugin-Hybrid der Schweiz. Das Spitzenmodell hat gemäss Datenblatt eine Leistung von 455 PS, beschleunigt in 4,9 Sekunden von null auf hundert und wiegt leer 2,15 Tonnen. Der Benzinverbrauch wird mit 1 Liter/100 km angegeben, der C02-Ausstoss mit 22 Gramm/km. Im reinen Strombetrieb komme der 4×4-SUV (innerorts) bis zu 99 Kilometer weit. Dann dauere es 3 Stunden, bis die Batterie wieder aufgeladen ist. Oder man fährt fossil – bei einem Verbrauch von mehr als 6 Litern Benzin auf 100 Kilometern. Dabei braucht man sich über die Reichweite nicht den Kopf zu zerbrechen: Der Benzintank hat ein Volumen von 71 Litern. Dieses «Öko-Auto» gibt es ab 83 700 Franken.
NACHGEFRAGT | CHRISTOPH KEIGEL, GARAGIST, FRENKENDORF
«Natürlich prägt der Fahrstil die Abgaswerte»
Trotz Kritik: Plug-in-Hybrid-Autos seien wesentlich besser für die Umwelt als Verbrenner, sagt der Frenkendörfer Garagist
Christoph Keigel – vorausgesetzt, sie werden fleissig aufgeladen und mit Bedacht gefahren.
Herr Keigel, aus unterschiedlichen Untersuchungen geht hervor, dass Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge deutlich mehr Dreck produzieren als von den Herstellern angegeben wird. Überrascht Sie dieses Ergebnis?
Christoph Keigel: Wenn man in der Studie des Lufthygieneamts nur die Plug-in-Hybride auswerten würde, sähe das Resultat wohl anders aus. Der Vorteil des Plug-in-Hybrids, der heute über eine rein elektrische Reichweite von mehr als 50 Kilometern verfügt, ist gerade der, dass er im langsamen Stadtverkehr mehrheitlich elektrisch und nicht im Verbrenner-Modus unterwegs ist.
Vertreter von Umweltorganisationen monieren, der Plug-in-Hybrid sei eine Mogelpackung, weil die Verbrauchswerte, mit denen für die Autos geworben wird, in der Praxis nicht erreicht würden. Widersprechen Sie?
Bei den Verbrauchsangaben handelt es sich um Werte, die nach einer standardisierten Vorgabe gemessen werden. Weil diese Vorgaben in der Vergangenheit nach Laborbedingungen gemacht wurden, hat man die Messverfahren geändert. Bei heutigen Neuwagen stimmen die Werte im normalen Gebrauch mit den Vorgabewerten mehr oder weniger überein. Natürlich prägt der individuelle Fahrstil die Werte. Das war aber schon immer so. Ob Verbrenner oder alternativer Antrieb spielt hier keine Rolle.
Weshalb setzen die Hersteller auf diese Technik?
Die EU-Normen verlangen von der Automobil-Industrie eine deutliche Reduktion der CO2-Werte. Die EU-Vorgaben für den Durchschnitt aller verkauften Neuwagen pro Marke lagen vor einigen Jahren noch bei 130 g/km, liegen jetzt bei 95 g/km und dürfen ab 2030 60 g/km nicht mehr überschreiten. Diese Werte sind auch mit optimierten Verbrennungsmotoren nicht zu erreichen. Der einzige Weg dazu ist die Hybridisierung der Antriebe.
Weshalb soll man als Kunde so ein Auto kaufen?
Der Verbrauch von fossilen Treibstoffen und damit der CO2-Ausstoss ist deutlich geringer. Damit sind diese Fahrzeuge wesentlich besser für die Umwelt als Verbrenner. Wer mit einem Plug-in-Hybrid verbrauchsoptimierend und bewusst fährt, braucht nur noch etwa 2 Liter Treibstoff pro 100 Kilometer Fahrdistanz. Das hat auch bezüglich Betriebskosten einen erheblichen Vorteil.
Warnen Sie Interessenten an Plugin-Hybrid-Fahrzeugen vor einem höheren Verbrauch gegenüber den Hersteller-Angaben?
Wir weisen unsere Kunden darauf hin, wie sie verbrauchsoptimierend fahren können, sodass sie die Hersteller-Angaben erreichen können. Auch darauf, dass es saisonale Unterschiede bezüglich Reichweiten mit elektrischem Antrieb gibt: Bei niedrigen Temperaturen reduziert sich die Reichweite aufgrund der chemischen Prozesse der Batterien um 20 bis 30 Prozent.
Raten Sie Kunden, die sich für einen Plug-in-Hybrid interessieren, allenfalls ab und empfehlen ihnen stattdessen, ein reines Elektro-Fahrzeug zu kaufen?
Nein, das tun wir nicht. Es ist wichtig, mit dem Kunden im Beratungsgespräch abzuklären, für welche Fahrstrecken er sein Auto nutzt. Wer einen Plug-in-Hybrid kauft, tut dies, weil er meistens kurze Distanzen in der Agglomeration zurücklegt, gelegentlich aber auch längere Strecken fährt. So ist er im Kurzdistanz-Verkehr mehrheitlich elektrisch unterwegs. Und auf langen Distanzen dann eben mit dem Verbrennungsantrieb.
Hat der Plug-in-Hybrid eine Zukunft, oder wird er mit zunehmender Elektrifizierung bald verschwinden?
Die gesetzlichen Vorgaben für die Hersteller sind ohne Hybrid-Antriebe gar nicht mehr zu erreichen. Sie werden daher auf jeden Fall im Angebot bleiben.
Interview Christian Horisberger