«In vielen Bereichen läuft es gut»
17.11.2023 BaselbietVBLG-Geschäftsführer Matthias Gysin zur Zusammenarbeit mit dem Kanton
Das Vags-System sieht vor, dass die Gemeinden bei Gesetzesanpassungen noch vor dem Vernehmlassungsverfahren vom Kanton miteinbezogen werden. Laut VBLG-Geschäftsführer Matthias Gysin funktioniere das ...
VBLG-Geschäftsführer Matthias Gysin zur Zusammenarbeit mit dem Kanton
Das Vags-System sieht vor, dass die Gemeinden bei Gesetzesanpassungen noch vor dem Vernehmlassungsverfahren vom Kanton miteinbezogen werden. Laut VBLG-Geschäftsführer Matthias Gysin funktioniere das System. Doch eine Direktion fällt aktuell aus dem Rahmen.
Janis Erne
Herr Gysin, 2016 wurde der Verfassungsauftrag zur Stärkung der Gemeindeautonomie (Vags) eingeführt. Wie sieht die Zwischenbilanz des Verbands Basellandschaftlicher Gemeinden (VBLG) aus?
Matthias Gysin: Äusserst positiv. Mit dem Vags haben wir ein Gefäss, um partnerschaftlich mit dem Kanton zusammenarbeiten zu können. Das vereinfacht die Kompromissfindung. Früher konnten wir uns bei Gesetzesprojekten jeweils erst in der Vernehmlassung einbringen. Doch da ist die Hauptarbeit meistens schon getan. Das führte seitens des VBLG eher zu einer konfrontativen Haltung. Heute müssen wir die Differenzen mit dem Kanton nicht mehr in der Öffentlichkeit austragen.
Haben die Gemeinden effektiv mehr Spielraum erhalten?
Es gibt Bereiche, wo das tatsächlich der Fall ist. Nehmen wir die Parkplatzpflicht: Hier konnten wir erfolgreich einbringen, dass die einzelnen Gemeinden von der kantonalen Regelung abweichen dürfen. Heute können sie die Pflichtzahl an Parkplätzen, die bei einem Hausbau erstellt werden müssen, unter- oder überschreiten. Das ist wichtig, weil die Baustruktur nicht in allen Gemeinden gleich ist: In manchen hat es viele frei stehende Einfamilienhäuser, in anderen mehr Reihenhäuser mit wenig Platz für oberirdische Parkplätze.
Eine Gesetzesrevision wird jeweils von gleich vielen Kantons- und Gemeindevertretern ausgearbeitet. Funktionieren diese paritätischen Arbeitsgruppen?
Grossmehrheitlich ja. Doch wir haben über die Jahre gemerkt, dass in kleinen Arbeitsgruppen mit jeweils nur zwei bis drei Gemeinde- und Kantonsvertretern zuweilen die Meinungsvielfalt fehlt. Deshalb haben wir andere Formen ausprobiert: zum Beispiel sogenannte Echogruppen. Diese umfassen ungefähr 12 Personen und stellen einer Arbeitsgruppe während der Ausarbeitung eines Gesetzes von Zeit zu Zeit kritische Fragen. So können die unterschiedlichen Meinungen der 86 Gemeinden besser eingebracht werden.
Kantonsvertreter sind Profis, Gemeindevertreter auf Milizbasis tätig. Ist dieses Spannungsverhältnis in den Verhandlungen spürbar?
Ja, durchaus. Die kantonale Verwaltung ist geprägt durch eine Fachrationalität; ihre Vertreter kennen häufig nur einen Fachbereich. Ihnen sind zudem Kontinuität, Aktenmässigkeit und Nachvollziehbarkeit wichtig. Währenddessen vertreten die Mitglieder des VBLG, also die Gemeinderäte, eine ganz andere Welt. Sie sind in den verschiedensten Berufen tätig und gehen mit einer anderen Logik an die Sache. Zudem sind sie näher an der Bevölkerung und spüren, was diese beschäftigt.
Das Ausarbeiten von Gesetzen scheint demnach eine Herausforderung für alle Beteiligten zu sein.
Tatsächlich prallen dabei verschiedene Sichtweisen aufeinander – häufig ergänzen sie sich gut. Doch manchmal setzt sich nicht die Lösung durch, die fachlich die beste ist, sondern diejenige, die politisch anschlussfähiger ist. Denn am Ende muss der Landrat und allenfalls die Bevölkerung Ja zu einem neuen Gesetz sagen. Das kann für Kantonsvertreter zuweilen etwas mühsam sein, aber für Gemeindepolitiker gehört dies zur täglichen Arbeit.
Die Kompromissfindung klappt also?
In vielen Bereichen läuft es gut. Doch es hat auch schon Situationen gegeben, wo die Gemeinden und der Kanton keinen gemeinsamen Nenner gefunden haben.
Wo zum Beispiel?
Bei der Revision des Kinder- und Jugendzahnpflegegesetzes gab es grosse Diskussionen. Weniger wegen der Zahngesundheit, sondern mehr wegen der Finanzen. Der Kanton wollte das Gesetz mit einer Anpassung des Finanzausgleichs verknüpfen. Fachlich war die Idee sicher nicht schlecht, politisch war sie aber nicht durchsetzbar. Das führte schliesslich zum Abbruch der Gesetzesrevision, weil wir uns nicht einig geworden sind. An einen anderen Projektabbruch kann ich mich nicht erinnern.
Demnach funktioniert das Vags-System grossmehrheitlich. Dennoch monierte der VBLG kürzlich, dass er bei einer Gesetzesrevision aus der Bau- und Umweltschutzdirektion (BUD) «wiederholt» nicht frühzeitig eingebunden worden sei.
Es gab in jüngster Vergangenheit tatsächlich zwei, drei solche Fälle – zuletzt bei der Revision des Raumplanungs- und Baugesetzes. Dabei geht es um die Reduktion von Hitzeinseln im Siedlungsraum. Die Gemeinden sollen bei der Gartengestaltung künftig neue Vorschriften erlassen und mehr Unterlagen von den Grundeigentümern einfordern können. Wir hätten uns gewünscht, vor der Vernehmlassung einbezogen zu werden, da diese Gesetzesrevision die Baureglemente der Gemeinden betrifft. Wir denken, dass die jetzige Vorlage zu stark aus der fachlichen Sicht geschrieben worden ist. Die Kostenfolgen für Privatpersonen etwa wurden zu wenig berücksichtigt. Zuvor hatte die BUD auch schon bei der Mehrwertabschöpfung ohne uns eine Vorlage ausgearbeitet …
Es ist also eine Tendenz zu erkennen, dass die BUD den VBLG aussen vor lässt.
Im Moment werden wir von der BUD nicht in dem Mass miteinbezogen, wie wir das wünschen würden. Das ist schade – auch weil die Zusammenarbeit mit den anderen Direktionen sehr gut funktioniert. Sei es bei Vags-Projekten oder informellen Zwischengesprächen. Wie das Thema Parkplatzpflicht zeigt, gibt es aber auch sehr gute Beispiele in der Zusammenarbeit mit der BUD.
Weshalb hapert es Ihrer Meinung nach gelegentlich mit der BUD?
Ich kann nur spekulieren: Womöglich ist die fachliche Sicht im Baubereich besonders stark ausgeprägt. Das könnte ein Grund dafür sein, weshalb die aufwendige politische Diskussion mit uns gescheut wird. Vermutlich gibt es aber noch andere Ursachen, die ich nicht kenne.
Jedes angepasste Gesetz muss durch den Landrat. Immer wieder einmal kritisieren Gemeinderäte in ihrer «Carte blanche» in der «Volksstimme», dass das Parlament die Gemeindeautonomie nicht genügend berücksichtige. Wie sehen Sie das?
Natürlich wünschen wir uns, dass der Landrat und insbesondere diejenigen Mitglieder, die gleichzeitig Gemeinderäte sind, unsere Haltung jeweils mittragen. Doch es ist klar, dass Landräte auch parteipolitisch denken müssen. Zudem haben wir die Gewaltenteilung: Das Parlament darf eine andere Meinung haben als die Regierung und sonstige Anspruchsgruppen. Aus demokratischer Sicht ist das gut so.
Wann gab es bei den Gemeinden zuletzt grossen Missmut?
Ziemlich genau vor einem Jahr, als es um die Entlastungslektion für Klassenlehrpersonen auf Primarstufe ging. Da wünschten sich die Gemeinden eine variable Lösung: Sie wollten selber entscheiden können, ob Klassenlehrpersonen eine Lektion weniger unterrichten oder eine Stunde weniger Büroarbeit erledigen.
Der Landrat sprach sich mit einer Stimme Unterschied für eine einheitliche Lösung aus …
Da waren einige Gemeinderätinnen und Gemeinderäte wütend. Sie fragten sich, weshalb man die aufwendigen Vorbereitungsarbeiten überhaupt macht, wenn der Landrat das Gesetz später ohnehin umschreibt, ohne dabei Rücksicht auf die Gemeinden zu nehmen. Doch es gibt auch genügend Gegenbeispiele. Bei der Beratung der Vorstösse, welche die direktdemokratischen Instrumente wie Initiative oder Referendum auf Gemeindeebene vereinheitlichen wollten, wurden unsere Bedenken ernst genommen. Der Landrat lehnte sie ab und sprach sich für die Variabilität und damit die Gemeindeautonomie aus.
Zum Abschluss: Welche Entwicklung strebt der VBLG an?
Was den Landrat betrifft, machen wir uns derzeit Gedanken, wie wir den Kontakt zu seinen Mitgliedern intensivieren können. Erste Ideen sind vorhanden. Betreffend der vorparlamentarischen Vags-Projekte sind wir in ständigem Austausch mit dem Kanton. Dabei steht vor allem die Frage im Raum, wie die gemeinsamen Arbeitsgruppen weiterentwickelt werden können, sodass eine möglichst breite Meinungsvielfalt vertreten ist. Mit den eingangs erwähnten Echogruppen sind wir eine erste Massnahme am Testen. Das ist wichtig. Denn bei 86 eigenständigen Mitgliedern wird es im VBLG immer unterschiedliche Haltungen geben.
Zur Person
je. Matthias Gysin (51) ist seit April 2019 Geschäftsführer des Verbands Basellandschaftlicher Gemeinden (VBLG). Zusätzlich zu diesem Mandat unterstützt seine Beratungsfirma verschiedene Gemeinden und Non-Profit-Organisationen. Der studierte Ökonom hat während seiner Karriere unter anderem für den Immobilienberater Wüest Partner und den Kanton Basel-Stadt gearbeitet. Die Gemeindearbeit kennt Gysin als ehemaliger Gemeindeverwalter von Aesch und als amtierender Gemeinderat von Duggingen. Nebenberuflich ist der verheiratete Familienvater von zwei Kindern als Dozent an der FHNW sowie für den Europarat in Strassburg tätig.
Vags: früh mitreden
je. Vor sieben Jahren ist im Baselbiet der «Verfassungsauftrag Gemeindestärkung» (Vags) eingeführt worden. Seither werden die 86 Gemeinden, vertreten durch den Verband Basellandschaftlicher Gemeinden (VBLG), vom Kanton frühzeitig in die Ausarbeitung neuer Gesetze miteinbezogen.