«Ich denke, wir essen zu viel Fleisch»
05.12.2023 BaselbietMuttenz | Podiumsdiskussion zum Thema Ernährung mit Oberbaselbieter Beteiligung
Die Biobäuerin Manuela Lerch und der Obstbauer Ernst Lüthi diskutierten am Gymnasium Muttenz mit dem Agrarwissenschaftler Urs Niggli und 150 Schülerinnen und Schülern ...
Muttenz | Podiumsdiskussion zum Thema Ernährung mit Oberbaselbieter Beteiligung
Die Biobäuerin Manuela Lerch und der Obstbauer Ernst Lüthi diskutierten am Gymnasium Muttenz mit dem Agrarwissenschaftler Urs Niggli und 150 Schülerinnen und Schülern über das Thema Ernährung und die verschiedenen Formen der Landwirtschaft.
Tobias Gfeller
Eigentlich tun und wollen sie beide das Gleiche: Lebensmittel in der Schweiz für die hiesige Bevölkerung produzieren. Ihre Herangehens- und in manchen Punkten auch Denkweise sind im Detail aber eine andere: Manuela Lerch vom Hof Engelsrütti in Läufelfingen ist Biobäuerin, Ernst Lüthi produziert in Ramlinsburg nach den Standards der Integrierten Produktion (IP). Während Lerch nur natürliche Pflanzenschutzmittel einsetzt, nutzt Lüthi auch synthetische Produkte. In der Produktion gemäss IP setze er aber nur so viel ein, wie nötig ist, sagte der Ramlinsburger am Donnerstag an einem Podium am Gymnasium Muttenz.
Die Schule fragte: «Bio oder konventionell? Mit oder ohne Fleisch? Vegan? Was wollen wir essen, und wie werden unsere Nahrungsmittel produziert?» Mit Manuela Lerch und Ernst Lüthi diskutierte unter der Moderation von Lehrer Markus Hilfiker der Agrarwissenschaftler Urs Niggli, der vor seiner Pensionierung 30 Jahre lang das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (Fibl) leitete und noch immer in der Materie tätig ist.
Lerch und Lüthi sind beide leidenschaftliche Landwirte. Das wurde in der Diskussion deutlich. Die Läufelfingerin will mit ihrem Partner, der extra eine zusätzliche Ausbildung zum Metzger absolviert hat, ethisch vertretbar Fleisch produzieren. «Wir schlachten und verarbeiten die Tiere selber auf dem Hof», erklärte sie. Die Produktion solle naturnah und tierfreundlich sein.
Ernst Lüthi machte deutlich, dass er vom «Auseinanderdividieren» der verschiedenen Labels nichts hält. Moderator Markus Hilfiker ging vor der Diskussion einkaufen und brachte landwirtschaftliche Produkte mit unterschiedlichen Labels mit. «Was sollen wir kaufen?», fragte er in die Runde. Es sei falsch, zu meinen, das eine sei gut, das andere schlecht, sagte Lüthi: «Wir sind in den Produktionssystemen näher zusammengerückt.» Für ihn ist sowieso klar: «Wichtig ist, dass Schweiz drin ist. Dann kann ich garantieren, dass Sie gute und gesunde Produkte bekommen.»
Kupfer gegen Pilzkrankheiten
In der Schweiz ist es nicht gestattet, auf einem Hof in unterschiedlichen Standards zu produzieren. Die Entscheidung für IP habe er bewusst getroffen, weil beim Obstanbau Bio nicht nachhaltig unterwegs sei, so Ernst Lüthi. Als Beispiel nannte er Biokirschen, die am Markt keine Chance hätten. Agrarwissenschaftler Urs Niggli berichtete von einer Langzeituntersuchung, die zeigte, dass bei Bioprodukten der Ertrag zwar um 18 Prozent tiefer ist als beim konventionellen Anbau, aber die negativen Einflüsse auf die Umwelt deutlich geringer sind. Als untersuchte Beispiele nannte Niggli den nachgewiesenen Stickstoff im Grundwasser, die Bodenerosion und die Fortpflanzung der für die Bodenqualität wichtigen Würmer.
Doch bei Bio sei längst nicht alles perfekt, stellte Urs Niggli klar. Noch immer werde Kupfer als Fungizid eingesetzt. «Für den Menschen ist Kupfer kein Problem, für die Böden aber schon. Deshalb muss Kupfer weg.» Es sei ein «Totalversagen» der Forschung, dass noch kein Ersatz für Kupfer gefunden wurde.
Wie schwierig die Lebensmittelproduktion für Landwirtinnen und Landwirte manchmal sein kann, zeigte Ernst Lüthi anhand der Äpfel auf. Am meisten nachgefragt werde die Sorte Gala. Doch diese sei schädlingsanfällig und es müssten verhältnismässig viele Fungizide eingesetzt werden, weshalb er auf diese Sorte am liebsten verzichten würde, sagte der Obstbauer.
Bewusst einkaufen und essen
Im biologischen Obstbau müsste diese Apfelsorte in einem nassen Frühling noch viel mehr gespritzt werden. Lüthi gab zu, dass in der Vergangenheit zu wenig auf den Schutz der Böden geachtet wurde. Manuela Lerch ist trotz der negativen Begleiterscheinungen vom Bioanbau überzeugt. Sie setzt grosse Hoffnungen auf weitere Fortschritte durch die Forschung.
Bei den Fragen der rund 150 anwesenden Schülerinnen und Schüler waren die drei Protagonisten gefordert. Was sie denn von veganer Ernährung halten, wurden sie gefragt. Ernst Lüthi antwortete dezidiert: «Ich denke, wir essen zu viel Fleisch. Der ganze Hype um Veganismus und Vegetarismus ist aber total überrissen. Das hat keinen Einfluss auf die Produktion.» Er ärgere sich über die «krampfhafte Suche» nach Fleischersatz, der erst noch gleich schmecken muss. «Wenn Sie denn schon weg wollen vom Fleisch, seien Sie wenigstens konsequent.» Ein Verzicht auf Fleisch sei mit der weltweiten Bevölkerungszahl nicht möglich, ordnete Urs Niggli dies aus wissenschaftlicher Sicht ein. Manuela Lerch betonte, dass auch Pflanzen Lebewesen sind, zu denen man Sorge tragen muss.
Zum Abschluss gefragt nach dem, was sie sich von den Schülerinnen und Schülern in Bezug auf die Ernährung wünschen, erinnerte Manuela Lerch daran, dass sie mit ihren Einkäufen entscheiden, was die Bauern produzieren. Urs Niggli forderte, sich immer auch zu fragen, was man esse und nicht nur den Bauern zu sagen, was sie produzieren sollen. Ernst Lüthi wünscht sich, dass die Schülerinnen und Schüler bewusst essen und hinterfragen, was sie essen wollen. «Dann ist schon viel getan.» Am Ende waren sich die drei fast schon einig.