«Ich bin in eine Falle getappt»

  02.05.2025 Baselbiet

Asylbewerber (27) wehrt sich nach Messer-Streit in Buus gegen Haftstrafe und Landesverweis

Ein Algerier steht wegen des Vorwurfs der versuchten Tötung eines Landmannes vor dem Baselbieter Strafgericht. Vorausgegangen war eine Schlägerei in einer Asylunterkunft im Oberbaselbiet im Januar 2024. Der Pflichtverteidiger plädiert auf Freispruch.

Thomas Immoos

Lang ist die Liste der Straftaten, die einem 27-Jährigen vorgeworfen werden, der am Montag vor dem Baselbieter Strafgericht in Muttenz sass. Die meisten der 20 Taten beging der Asylbewerber im Frühling und Sommer 2022. Er ist mehrfach dabei erwischt worden, wie er ohne Billett im Zug unterwegs war; einmal versuchte er, vor den Kontrolleuren zu fliehen. Ausserdem ist er mehrfach ohne gültige Papiere aus- und wieder in die Schweiz eingereist.

Im Weiteren hat er mehrere Ladendiebstähle begangen und dabei Schuhe, Kleider, eine Uhr oder ein Haarpflegegerät geklaut. Schliesslich hat er zwei Zugreisenden den Rucksack und den Koffer entwendet. Auch wird ihm mehrfaches «Fällele» vorgeworfen, also das Eindringen in parkierte Autos. Einige der Straftaten gab Ali* zu, andere bestritt er.

Neben diesen Vermögensdelikten soll der Algerier einen Landsmann in Basel mit Pfefferspray besprüht haben. Die Liste der Straftaten wird ergänzt durch Drogendelikte; unter seiner Bettdecke in einer Oberbaselbieter Asylunterkunft soll er 46 Gramm Haschisch versteckt haben.

Eine Racheaktion
In einer anderen Unterkunft, in Buus, in der er ebenfalls zeitweise wohnte, kam es im Januar 2024 zum schwerwiegendsten Delikt: Der schlafende Ali soll von zwei Mitbewohnern aus dem Bett gezerrt, verprügelt und mit dem Messer am Kopf verletzt worden sein. Die Wunden liess er sich im Spital in Liestal versorgen und kehrte danach zurück ins Heim. Und er sann offenbar auf Rache: Er forderte einen der Kontrahenten, Mehmet*, zu einem Zweikampf mit dem Messer heraus.

Zu Beginn des handgreiflichen Streits schlug Ali mit einem Holzpfahl auf seinen Kontrahenten ein. Als dieser ins Badezimmer flüchtete, brach Ali die Badezimmertür auf. Danach begaben sich die Streithähne ins Freie.

Unter anderem stach Ali von oben herab auf Mehmet ein. Dabei verletzte er ihn an der Wange und an der Lippe. Es war wohl nur glücklicher Zufall, dass es keine schwereren, ja tödlichen Verletzungen gab. So sah dies jedenfalls der Staatsanwalt.

Vor Gericht räumte Ali die Ladendiebstähle ein. Was den Diebstahl in den Zügen betraf, so gab er an, Koffer und Rucksack nicht gestohlen, sondern nach dem Durchsuchen nach Geld und Wertgegenständen wieder im Zug platziert zu haben. Die Messerstecherei in Buus sei aus Rache geschehen, zuvor habe Mehmet seine Mutter beleidigt, so Ali. Er beklagte sich, dass nur er vor Gericht stehe, während Mehmet sich ins (unbekannte) Ausland abgesetzt habe und offenbar straffrei ausgehe. Im Video werde nicht gezeigt, wie er, Ali, am Boden liegend, von Mehmet geschlagen und von diesem mit dem Messer angegriffen werde. «Bin ich denn kein Mensch?», fragte Ali.

Für den Staatsanwalt war indes klar, dass alle Straftaten von Ali begangen wurden, auch wenn er nicht immer geständig sei.Es gebe Aufnahmen aus Migros- und Manor-Läden. Die Diebstähle wiesen auf Gewerbsmässigkeit hin. Auch der Streit vor dem Heim sei mit Filmaufnahmen belegt. Dabei sei nicht erkennbar, ob die Tat unter Drogeneinfluss geschehen ist. Jedenfalls liege keine Notwehr vor, betonte der Staatsanwalt. Es sei davon auszugehen, dass es sich um versuchte vorsätzliche Tötung handle. Dem Angeklagten könne keine gute Prognose gestellt werden. Deshalb beantragte der Staatsanwalt eine Haftstrafe von 5 Jahren und 8 Monaten. Zudem soll der Mann für 10 Jahre aus dem Land ausgewiesen werden, was der Schengen-Informationsstelle zu melden sei.

«Keine Lebensgefahr»
Der Pflichtverteidiger plädierte auf Freispruch. Er verwies auf die schwierige Jugend seines Mandaten. Dieser sei von der Familie verstossen worden, weil er nicht das leibliche Kind seines «Vaters» war.

Zum Vorfall in Buus sagte der Pflichtverteidiger: «Ali ist nur knapp der Tötung durch Mehmet entkommen.» Es entspreche nicht der Gleichbehandlung, wenn nur Ali, nicht aber Mehmet vor Gericht stehe. Zumal Ali als erstes verletzt worden sei. Die Videoaufnahmen der Messerstecherei liessen nicht auf einen Tötungsversuch schliessen: «Es bestand zu keinem Zeitpunkt Lebensgefahr – weder für Ali noch für Mehmet», hielt der Verteidiger fest. Die Anklage fusse auf kulturbedingten Klischees von einem «rachsüchtigen, gewaltbereiten Araber».

Was die Diebstähle angeht, so könne nicht von Gewerbsmässigkeit ausgegangen werden; dafür sei die Schadenssumme zu gering. Deshalb sei von einer Haftstrafe abzusehen, wie auch vom Landesverweis. «Vor allem der Eintrag in das Schengen-Register wäre für Ali schwierig, da ihm dies das freie Reisen in Europa verunmöglichen würde, wo doch seine Grossmutter in Frankreich lebt.» Für die Haft, die seit März 2024 andauert, sei ihm eine angemessene Entschädigung zu leisten. Einig mit dem Staatsanwalt ist sich der Verteidiger darin, dass das mehrfache Schwarzfahren mit dem Zug inzwischen verjährt ist.

In seinem Schlusswort bedauerte Ali die Diebstähle: «Es waren Fehler.» Bei der Gewalttat sei er ungerecht behandelt worden und in eine Falle getappt. Wenn man ihn in das Schengen-Register eintrage, «zerstört man mein Leben», hielt er fest. Das Urteil soll nächste Woche gefällt werden.
* Namen der Redaktion bekannt


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