Gutes Kirschenjahr mit einem Aber
11.07.2025 BaselbietKirschessigfliege kam früher als sonst
Die Kirschenernte kommt mengenmässig nicht ganz an das Spitzenjahr 2024 heran, überzeugt jedoch mit gutem Aroma. Die Hochstammkirschen waren stark von der Kirschessigfliege befallen – sie trat dieses Jahr besonders früh ...
Kirschessigfliege kam früher als sonst
Die Kirschenernte kommt mengenmässig nicht ganz an das Spitzenjahr 2024 heran, überzeugt jedoch mit gutem Aroma. Die Hochstammkirschen waren stark von der Kirschessigfliege befallen – sie trat dieses Jahr besonders früh auf.
Nikolaos Schär
Die Kirschenernte neigt sich langsam dem Ende zu, und eines lässt sich bereits sagen: Es war ein gutes Jahr. Das Wetter spielte grösstenteils mit. So regnete es im Oberbaselbiet in den letzten Monaten nicht übermässig, und auch die überdurchschnittlich hohe Sonnenscheindauer trug zu einem üppigen Behang der Kirschbäume bei. Doch die Herausforderungen für die Bauern bleiben gross – wie ein Augenschein bei der Sammelstelle von Nebiker in Sissach zeigt.
Es ist kurz vor 16 Uhr. Hansueli Nebiker wartet auf die Anlieferung der Kirschen. Heute haben sich nur zwei Bauern gemeldet. Das Geschäft mit den Kirschen ist bei Nebiker nicht mehr zentral. Zwar nimmt das Landwirtschaftsunternehmen noch selbst Kirschen für die Brennerei an, die den bekannten Baselbieter Kirsch herstellt, ansonsten dient Nebiker den Bauern jedoch nur noch als Sammelstelle für den Grosshandel.
Heute kämen in einer Saison noch 10 bis 15 Tonnen Kirschen zusammen – um die Jahrtausendwende waren es an einem einzigen Spitzentag so viele, sagt Nebiker. Der erste Transporter fährt an die Rampe. Sonja Degen vom Hof Habsen in Eptingen bringt mehrere Paletten Tafelkirschen und hilft gleich selbst beim Ausladen mit. Ihr Hof liegt in höherer Lage, weshalb sie noch mitten in der Ernte steckt. Mit dem bisherigen Verlauf sei sie zufrieden, sagt Degen.
Sie verfügt über eine gedeckte Anlage mit Niederstammbäumen. Auf das Stichwort Hochstamm angesprochen, winkt sie ab: «Diese Zeiten sind vorbei.» Einerseits fehlten heute die helfenden Hände aus der Familie, die früher auf hohen Leitern die Früchte pflückten. Andererseits befalle die Kirschessigfliege seit zehn Jahren die Bäume und mache die Früchte ungeniessbar. Selbst mit Netzen müsse man ständig aufpassen, dass die Anlage nicht befallen werde, sagt Degen.
Die Kirschen der Hochstammbäume werden ohne Stiel gestrupft und eignen sich heute nur noch für Konserven, etwa für Joghurt oder Dörrfrüchte. Doch seit die Louis Ditzler AG in Möhlin keine Konservenkirschen mehr verarbeitet, hat Nebiker Mühe, diese loszuwerden.
Ein weiteres Auto mit Anhänger fährt vor. Niklaus Häfelfinger aus Diegten bringt einige Kisten Hochstamm-Biokirschen. Er kann seine Ware über Nebiker bei der Genossenschaft Biofarm zur Weiterverarbeitung abgeben.
Im nationalen Wettbewerb
Die Mengen sind überschaubar. Dank zugelassener Spritzmittel habe er dennoch einen gewissen Ertrag. Doch nicht alle Bäume könne er behandeln – sie stünden teils weit auseinander, der Aufwand beim Spritzen lohne sich nicht, so Häfelfinger. Degen und Häfelfinger kommen ins Gespräch. Der Diegter Bauer erzählt, wie der Hagel sein Dorf heimsuchte und beträchtliche Schäden an den Obstbäumen anrichtete. Kirschen seien halt eine Leidenschaft: «Viel leiden und schaffen.»
Heute erhalten die Bauern nicht nur Konkurrenz von ausländischer Importware, die früher im Laden ist, sondern auch von anderen Schweizer Regionen. Kirschen aus dem Waadtland oder dem Wallis reifen früher und machen es schwer, die Baselbieter Früchte zu Beginn der Ernte zu verkaufen. Dafür hätten sie gegen Ende der Ernte in höheren Lagen Vorteile, wenn sich die Abnehmer um die letzten Kirschen rissen, so Degen.
Ein Anruf bei der Landi Reba AG, der mit Abstand grössten Abnehmerin von Tafelkirschen in der Region. Geschäftsleiter Beat Gisin sagt, der Markt sei dieses Jahr zufriedenstellend. Die Erwartungen liegen schweizweit bei 2400 Tonnen. «Das Jahr dürfte ähnlich gut sein wie das letzte», so Gisin. 2024 war mengenmässig ein Spitzenjahr. Das Aroma sei jedoch wegen des vielen Regens weniger ausgeprägt gewesen. Die vielen Sonnenstunden hätten heuer deutlich besser schmeckende Kirschen hervorgebracht. Die Hitzeperiode Anfang Juni habe die Bäume allerdings unter Stress gesetzt, was sich auf das Fruchtwachstum ausgewirkt habe. Und die Grösse ist entscheidend: Für die Premiumklasse braucht es einen Durchmesser von 28 Millimetern. Vergangenes Jahr erfüllte rund die Hälfte der Tafelkirschen diese Vorgabe – heuer sei es rund ein Drittel, sagt Gisin.
Auslaufmodell Hochstamm
Neben Tafelkirschen nimmt die Landi auch Brennkirschen an. Für Konservenkirschen fehle das Angebot: «Es gibt im Baselbiet nur noch wenige Betriebe mit grösseren Schüttelkirschenanlagen.» Diese speziellen Sorten werden mittels maschinellem Schütteln geerntet. Auf die Hochstammkirschen angesprochen, sagt Gisin: «Seit der Kirschessigfliege ist das mehrheitlich Geschichte.» Früher habe er als Kind in den Sommerferien selbst auf dem Hof Kirschen gepflückt – eine schöne Zeit sei das gewesen. Heute lasse sich mit Hochstammbäumen keine produktive Anlage mehr betreiben.
Grosshandel und Logistik sind heute zentralisiert und IT-gesteuert. Von der Landi in Gelterkinden gelangen die Tafelkirschen nach Sursee, wo sie sortiert und verpackt werden. Grossverteiler wie Coop oder Migros verteilen die Ware von grossen Logistikzentren in ihre Läden. Vor über 20 Jahren waren die Detailhändler noch regionaler organisiert und haben entsprechend eingekauft. Die Kirsche als Tagesfrucht – angewiesen auf Frische – sei eine Herausforderung für zentralisierte Logistikketten, wie Gisin sagt. Die Verkaufspläne der Grossverteiler würden lange im Voraus erstellt, bevor man wisse, wie die Ernte ausfällt. Zwar bestehe eine gewisse Flexibilität in der Planung, so Gisin, doch die Produzenten müssten sich der Marktnachfrage anpassen.
Auf Anfrage der «Volksstimme» teilt Lidl Schweiz mit, dass die Kirschen mehrheitlich aus der Ostschweiz stammten – vereinzelt seien auch Baselbieter Früchte darunter. «Aldi Suisse» schreibt, man beziehe seit Anfang Juni alle Kirschen aus Schweizer Produktion und sei nicht auf Importware angewiesen. Die Migros Basel bezieht die Hälfte ihrer Tafelkirschen direkt von «Kellerhals» aus Füllinsdorf, die andere Hälfte über eine Plattform, die von kleineren Betrieben beliefert wird. Seit Mitte Juni seien nur noch lokale Kirschen im Angebot. Bei Engpässen greife man auf Früchte aus der ganzen Schweiz zurück – was dieses Jahr nur selten nötig gewesen sei, schreibt Migros Basel. Coop wiederum kann angesichts der grossen Ernte ebenfalls vollständig auf Schweizer Kirschen setzen. Man führe Ware von 40 regionalen Produzenten im Sortiment. Die meisten Kirschen aus der Nordwestschweiz würden auch in der Region verkauft, so Coop.
Neben den gestiegenen Anforderungen durch den Grosshandel und die Logistik macht auch die Kirschessigfliege den Hochstammbäumen zu schaffen. Eleonor Fiechter vom Ebenrain-Zentrum für Landwirtschaft, Natur und Ernährung in Sissach sagt, dass die Kirschessigfliege dieses Jahr besonders früh aufgetreten sei. «Es ist ein Riesenproblem, das einen enormen Zeit- und Kostenaufwand verursacht», so Fiechter.
«Früher hiess es, dass die Männchen bei Temperaturen über 30 Grad unfruchtbar würden – heute zeigt sich, dass dem nicht so ist», so Fiechter. Ein natürlicher Gegenspieler sei bisher nicht in Sicht. Die Zulassungsbehörden seien vorsichtig, da ein eingesetzter Gegenspieler selbst zum Problem werden könnte. Man müsse lernen, mit der Kirschessigfliege zu leben – das Problem werde eher noch grösser, so Fiechter.
Der Präsident des Baselbieter Obstverbands, Stefan Ritter, sagt, dass das Geschäft mit Hochstammbäumen in der Tendenz langsam auslaufe. Es gebe jedoch noch einige Produzenten, die mit viel Aufwand Tafelkirschen ernten könnten. Die Tendenz gehe jedoch klar zur Spezialisierung: Früher wurde Ausschussware zu Kirsch verarbeitet – heute müsse auch bei Brennkirschen Qualität geliefert werden. Diese werde von den Brennereien dann auch entsprechend honoriert, so Ritter.