250 Jahre lang galt die Kirche St. Michaelis, kurz Michel, als das unbestrittene Symbol Hamburgs. Doch seit die Elbphilharmonie vor neun Jahren in Betrieb genommen wurde, steht der Sakralbau im Schatten des Konzerthauses, das die beiden Basler Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron ...
250 Jahre lang galt die Kirche St. Michaelis, kurz Michel, als das unbestrittene Symbol Hamburgs. Doch seit die Elbphilharmonie vor neun Jahren in Betrieb genommen wurde, steht der Sakralbau im Schatten des Konzerthauses, das die beiden Basler Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron entworfen haben. Längst lästert niemand mehr darüber, dass der Zeit- und Budgetrahmen schamlos überschritten wurde. Majestätisch wacht das neue Wahrzeichen über die Hansestadt.
Erst auf den vierten oder fünften Blick entdecken die Besucher eine weitere Sehenswürdigkeit, die Hamburg zu bieten hat: die öffentlichen Mülleimer. Anstatt die Leute höflich oder mit etwas Nachdruck und einem Bussenkatalog aufzufordern, ihre Abfälle ordentlich zu entsorgen, werden sie mit kecken Sprüchen dazu ermuntert. «Füll mich ab!», steht dort etwas derb, oder «Fill me up, before you go, go». Um bei der Musik zu bleiben, es wird auch auf altes Schlagergut zurückgegriffen: «Ich will keine Schokolade, ich will lieber das Papier.» Auf dem Eimer bei einer Bushaltestelle ist zu lesen: «Ihre Papiere, bitte!»
«Herzlich Müllkommen», «Ich fress dir aus der Hand», «Hamburgs kleinste Müllkippe» und «24 Stunden geöffnet» sind weitere Beispiele. Da die Stadt neu mit zwei Mannschaften in der höchsten Liga vertreten ist, darf Fussball natürlich auch nicht fehlen. So stehen auf den Eimern wahlweise «You’ll never waste alone», «Der beste Einwurf aller Zeiten», «Das Comeback des Ausputzers» und «Knapp daneben ist auch vorbei».
Auch beim Titel für die gesamte Aktion gegen das Littering verzichtete die Stadt darauf, sich bei Otto eines seiner besseren Blödel-Bonmots zu bedienen. Man wolle «dem Müll eine Abfuhr erteilen», laferte er einst. Gewählt wurde dafür: «Wir geben dem Müll einen Korb.» Ob die Sprüche auch wirken, ist schwer abzuschätzen. In Hamburg beeinträchtigt jedenfalls sicherlich nicht mehr Müll den Blick auf die Sehenswürdigkeiten als in anderen Grossstädten.
Statt immer nur mit dem Knüppel wedeln zu müssen, kostet es die Sprachpolizei aus, wenn Sprache und Witz im Verbund Bussen und Reglemente erfolgreich ersetzen. Und sie überlässt der Stadtverwaltung nach langer Wortjonglage einen weiteren Spruch, der zwischen Michel und Elbphilharmonie hoffentlich noch nicht zu lesen ist: «Das Sammeln ist des Müll(eim)ers Lust.»
Jürg Gohl