Freiheitsdichter, Intellektueller, Republikaner
04.04.2025 Bezirk LiestalVor 150 Jahren starb Georg Herwegh
Als Republikaner führte Georg Herwegh ein unstetes Leben. Als Dichter und Denker liebte er Bücher und Zeitungen. Am 7. April 1875 starb er in Lichtental bei Baden-Baden. Seine letzte Ruhestätte fand er in Liestal.
Martin ...
Vor 150 Jahren starb Georg Herwegh
Als Republikaner führte Georg Herwegh ein unstetes Leben. Als Dichter und Denker liebte er Bücher und Zeitungen. Am 7. April 1875 starb er in Lichtental bei Baden-Baden. Seine letzte Ruhestätte fand er in Liestal.
Martin Stohler
Georg Herwegh wurde am 31. Mai 1817 in Stuttgart geboren. Nach einem Konflikt mit einem militärischen Vorgesetzten setzte sich der junge Rebell in die Schweiz ab. Hier hielt er sich mehr schlecht als recht mit Beiträgen für Zeitschriften über Wasser. Seine Situation verbesserte sich schlagartig mit der Veröffentlichung seiner «Gedichte eines Lebendigen» im Jahr 1841. Herweghs Gedichte sprachen der jungen, aufmüpfigen Generation aus dem Herzen, das Buch wurde ein Bestseller.
Von diesem Erfolg beflügelt, wollte Herwegh mit anderen zusammen von Schweizer Boden aus eine politische Zeitschrift für den deutschen Markt lancieren. Auf einer Werbe- und Sammeltour für das Projekt lernte er in Berlin die Kaufmannstochter und überzeugte Republikanerin Emma Siegmund (1817–1904) kennen.
Die beiden kamen überein, nach Herweghs Rückkehr in der Schweiz zu heiraten. Dort drohte dem Württemberger Herwegh inzwischen die Abschiebung durch die konservative Zürcher Regierung. Die Abschiebung konnte Herwegh dadurch abwenden, dass er das Gemeindebürgerrecht von Augst und das Staatsbürgerrecht des Baselbiets erwarb. Die Hochzeit fand schliesslich am 8. März 1843 in Baden (AG) statt.
Revolutionäre Krise in Europa
Nach der Hochzeitsreise liess sich das Paar in Paris nieder und bewegte sich dort in Kreisen von fortschrittlich gesinnten europäischen Intellektuellen. Die Pariser Februarrevolution von 1848 weckte bei Emma und Georg Herwegh wie bei vielen anderen grosse Hoffnungen auf Veränderungen in Europa. In der Erwartung, dass es auch in Deutschland zu einem revolutionären Umschwung kommen werde, beteiligten sich die beiden am Freischarenzug der «Deutschen demokratischen Legion» aus Paris in führender Stellung.
Der sogenannte Herwegh-Zug (siehe Kasten), ebenso wie der Aprilaufstand der badischen Republikaner insgesamt, wurde allerdings zum Fiasko. Die blutige Niederschlagung der Revolutionen von 1848 und 1849 in mehreren Ländern und persönliche Konflikte führten bei Herwegh zu einer Krise, an der beinahe auch seine Ehe zerbrochen wäre.
Schaffenskrise
In den 1850er- und 1860er-Jahren lebten Emma und Georg Herwegh in Zürich. Dabei verfolgten sie mit Interesse und Sympathie auch die politischen Entwicklungen in Italien.
Zu ihrem Zürcher Bekanntenkreis gehörte auch der Komponist Richard Wagner, der sich nach seiner Beteiligung am niedergeschlagenen Dresdner Maiaufstand von 1849 in die Schweiz abgesetzt hatte. In Herweghs Jahre in Zürich fiel auch eine Schaffenskrise. Wenn überhaupt, schrieb er Zeitungsartikel oder kurze Gedichte. Um ein grosses Opus in Angriff zu nehmen, zu dem ihn Wagner wiederholt ermunterte, fehlte Herwegh die Kraft.
Als in Deutschland eine Amnestie für die Teilnehmer der revolutionä- ren Bewegung von 1848/49 erlassen wurde, zogen die Herweghs 1866 nach Lichtental bei Baden-Baden, um dort einen Neuanfang zu machen. Zuvor musste allerdings Herweghs umfangreiche Bibliothek verkauft werden, um einen Teil der Schulden zu begleichen.
Nach dem Umzug betätigte sich Herwegh auch als Übersetzer von Werken William Shakespeares. Zudem verfasste er wieder vermehrt Gedichte, in denen er politisch Stellung bezog.
Republikaner bis zuletzt
Georg Herwegh starb am 7. April 1875 an einer Lungenentzündung. Emma liess ihn, wie es sein Wunsch gewesen war, in Liestal «in unserem Heimatkanton in freier republikanischer Erde» beisetzen. Darin kam auch Herweghs Kritik an Bismarcks Politik zum Ausdruck, der im Gefolge des deutschfranzösischen Kriegs von 1870/71 den Aufstieg Preussens und die Schaffung des Deutschen Reichs vorangetrieben hatte.
Ihr gemeinsames republikanisches Credo hatte Emma Herwegh kurz nach der französischen Februarrevolution von 1848 in folgende Worte gefasst: «Ja, vive la république! aber eine solche, wie sie gross und keusch aus den Händen des armen Volkes hervorgegangen und von ihm weder als das ausschliessliche Eigentum seiner noch irgend einer anderen Nation, sondern als das beglückende Band aller Völker gedacht und geschaffen war.»
Republik wird hier nicht einfach als diejenige Staatsform angesehen, die per se die Freiheit der Bürger und Bürgerinnen ermöglicht. Mit dem Bezug auf das «arme Volk» beinhaltet die Republik auch einen sozialen Aspekt. Diese Sicht erhält mit dem Erstarken der Arbeiterbewegung in den 1860er-Jahren eine neue Dringlichkeit in Herweghs Denken. Deutlich wird das im Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, dessen Text Herwegh 1863 auf Bitte seines Freundes Ferdinand Lassalle verfasste. Das Lied geriet im Lauf der Zeit weitgehend in Vergessenheit. Allerdings nicht ganz. Insbesondere die folgende Strophe erfreute sich an 1.-Mai-Feiern noch lange einer gewissen Beliebtheit: «Mann der Arbeit, aufgewacht! Und erkenne deine Macht! Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.» Das Lied endet mit den Zeilen: «Brecht das Doppeljoch entzwei! Brecht die Not der Sklaverei! Brecht die Sklaverei der Not! Brot ist Freiheit, Freiheit Brot!»
Das Liestaler Herwegh-Denkmal
sto. Nach Georg Herweghs Tod 1875 lebte Emma Herwegh erneut in Paris. Der Unterhalt des Grabs in Liestal erwies sich für sie von dort aus als schwierig. Als im Frühling 1881 einige Sozialdemokraten aus Basel und Zürich das Grab auf dem Liestaler Friedhof suchten, fanden sie es in einem traurigen, vernachlässigten Zustand ohne Grabstein. Darauf begannen sie Geld zu sammeln, um das Grab mit einem Denkmal zu schmücken. Dagegen erhob Emma Herwegh Einspruch. Ihr missfiel, dass es sich um einen Obelisken aus Holz handelte, der auf täuschende Weise als Sandstein bemalt wurde. Daran war ein Porträt Herweghs angebracht.
Der Liestaler Gemeinderat erlaubte den Stiftern darauf, das Denkmal in einer Anlage oberhalb der Eisenbahnbrücke «im Wetterkreuz» an der Strasse nach Seltisberg aufzustellen. Es wurde am 20. April des Jahres 1884 im Rahmen einer grossen Herwegh-Feier eingeweiht. Bereits im Mai wurde es von Vandalen derart beschädigt, dass es schliesslich wieder abgebaut wurde.
16 Jahre später kam es zu einem neuen Anlauf für ein Herwegh-Denkmal in Liestal. Dieses Mal wurde das Vorhaben von mehreren deutschen und schweizerischen Arbeiterorganisationen unterstützt. Das markante Denkmal beim Bahnhof unterhalb des Gerichtsgebäudes konnte am 16. Oktober 1904 feierlich eingeweiht werden.
Das künstlerische Arrangement stammt vom Basler Architekten Wilhelm Lodewig, das Marmorporträt ist ein Werk des Bildhauers Antoine Custor.
Emma Herwegh starb am 24. März 1904 in Paris. Wie ihr Ehemann wurde sie auf dem Liestaler Friedhof beigesetzt. Das gemeinsame Grab schmückte eine Grabplatte in Form eines aufgeschlagenen Buches. Das Grab ist schon länger aufgehoben, die Platte ist heute mit anderen Grabsteinen in einer Ecke des Friedhofs zu sehen.
Der Herwegh-Zug von 1848
sto. Begeistert von der französischen Februarrevolution von 1848 schlossen sich in Paris deutsche Handwerker und Emigranten zur «Deutschen demokratischen Legion» zusammen. Deren Absicht war es, den von Friedrich Hecker geführten Aufständischen in Baden zu Hilfe zu eilen und die Revolution im deutschen Südwesten voranzutreiben. Die militärische Leitung der «Legion» lag bei drei ehemaligen Offizieren, die politische Leitung war Georg Herwegh übertragen worden. Das Unternehmen stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Die Koordination mit Friedrich Hecker misslang, obwohl Emma Herwegh den Kontakt mit ihm suchte und sich unerschrocken zwischen den feindlichen Linien hin und her bewegte.
Die schlecht ausgerüstete «Legion» befand sich schon auf dem Rückzug in die Schweiz, als sie am Morgen des 27. April bei Oberdossenbach von württembergischen Soldaten überrascht und in einem kurzen Gefecht auseinandergejagt wurde. Emma und Georg Herwegh gelang mit knapper Not die Flucht ins schweizerische Rheinfelden.
Der Historiker und Geograf Wilfried Sauter wird am Freitag, 25. April, um 19.30 Uhr im Dichter:innen- und Stadtmuseum Liestal Distl über das gescheiterte Unternehmen referieren.
In seinem Vortrag über die beiden «Hochverräter» Emma und Georg Herwegh und ihre Flucht in die Schweiz wird er auch auf bisher nicht beachtete Quellen zu sprechen kommen.